michelgeschichten

Gesammelte Werke der Seelengeschichten des Prof.Dr.Strampelcheck. Kuckt mal auf meine Fotowebseite unter www.solarphoto.blogspot.com

Montag, Juli 03, 2006

Parallelwelt Berlin

Ich hab diese Geschichte
„Parallel-Welt-Berlin“ genannt.

Auf meiner Reise im Juni 2005 hatte ich in Berlin ein recht seltsames Erlebnis das insgesamt zwar nur etwa 8 Minuten, aber doch auch eine halbe Ewigkeit, dauerte. Es geschah als ich einmal am Berliner Ostbahnhof in eine S-Bahn einstieg, da saß (wer hätte das gedacht) eine schöne junge Frau am Fenster. Sie fiel mir gleich auf und ich setzte mich ihr gegenüber. Ich hatte meinem neuen MP3-Walkman auf und hörte Musik im Kopfhörer von Notwist (Neon Golden) und war so ganz wo anders, …ein bischen wie verzaubert in meiner eigenen geheimen musikalischen und emotionalen Welt.
Sie las ein dickes Buch dessen Titel oder Autor ich nicht erkennen konnte. Sie schien auch total versunken zu sein in ihrer eigenen Welt. Wir beide saßen uns zwar recht nahe gegenüber, aber doch schienen wir wie durch mehrere Welten voneinander getrennt zu sein. Sie war versunken in ihrer ganz eigenen literarischen Welt und ich befand mich in einer ganz seperaten akkustischen Welt.
Da sitzen sich zwei Leute gegenüber und sehen sich nicht mal wirklich. Ich war etwas belustigt über diese, hier in Berlin aber schon so alltägliche Absurdität und musste darüber in mich hineinschmunzeln. In Andalusien wär sowas fast undenkbar. Dort ist alles immer sehr familiär, und die Menschen sehen sich viel öfter an und alle reden auch immer miteinander.

So saßen wir uns nun also gegenüber. Sie war hübsch, sogar sehr hübsch. Ich wartete ja nur darauf dass sie endlich mal kurz aufschauen würde, um vielleicht eine Brücke schlagen zu können zwischen unseren Welten. Ich hätte sie so gerne einfach nur mal angelächelt. Doch sie starrte gebannt immer nur in ihr Buch, was mich ein wenig traurig machte, aber so konnte ich sie mir wenigstens auch mal ganz ungestört etwas genauer ansehen.
Sie erinnerte mich irgendwie an Silke, meine große unerfüllte Jugend-Liebe. Ich überlegte kurz ob sie vielleicht tatsächlich Silke sein könnte. Ich habe sie jetzt schon seit über 15 Jahren nicht mehr gesehen. Doch das würde mit ihrem Alter nicht übereinstimmen, diese hier war vielleicht anfang 30, Silke müsste jetzt wie ich auch schon anfang 40 sein.
Ich fand sie sehr sexy und anziehend. Sie trug eine leichte schwarze Kordhose, Lederturnschuhe von Adidas, ein enges T-Shirt das ihre schöne, etwas mädchenhafte Figur sehr betonte. Sie hatte schulterlange, leicht gewellte, dunkelbraune Haare.
Wow, eine absolute Traumfrau. Sehr interessant auch ihr feines Gesicht, das wie die meisten Gesichter in Berlin ein wenig blass und von zu wenig Sonne gezeichnet war. Auch so manche Endtäuschung und tiefe Verletzung stand schon darin geschrieben und doch hatte sie sich ein warmes, tapferes und noch immer unschuldiges Leuchten darin erhalten können. Oh man, sie sah echt wahnsinnig sympathisch aus.
Und meine Hormone fingen natürlich an zu rumoren…
Sie mochte recht groß sein, hatte lange Beine mit reizend kleinen und wohlgeformten Füßen, ihr Becken hatte genau die richtige Breite für meinen Geschmack und ihr Oberkörper war genial schmal und dennoch hatte sie recht kräftige Schultern, die ihr insgesamt eine sehr sportliche Figur verliehen. Ich war einfach total hingerissen wie schon lange nicht mehr von einer Frau und ich malte mir in meiner Phantasie aus wie es wäre mit ihr zusammen zu sein. Wie schön es wäre ihren Körper überall berühren zu können. Mit ihr guten Sex zu haben…
Ich betrachtete sie Zentimeter für Zentimeter und ihr Körper fühlte sich plötzlich überall so eigenartig vertraut an, vielleicht so als währen wir schon etliche Jahre verheiratet. Es schien als hätte ich sie schon tausend Mal berührt. Als kannte ich all ihre Gerüche, jeden Muskel und jedes einzelne Haar an ihr...
War es einfach das universell Weibliche in ihr ? Diese immer gleichen Reize eines wohlgeformten Frauenkörpers ? Waren es nur wieder meine Hormone die mir zu Kopf stiegen? War es die eigenartige Vertrautheit ihrer Klamotten, die auch ganz meinem eigenen Geschmack entsprachen ? Oder war ich einfach nur voll am projezieren, bildete ich mir das alles nur wieder ein ?
Oder war es viel viel mehr ? Ich war echt verdattert, es war plötzlich alles so erschreckend realistisch ! Was ging hier nur vor sich !? Es war ein wenig so, als wär ich in ein anderes Parallel-Universum gerutscht. Etwas nahm mich gerade mit auf eine Reise. Die Zeit schien plötzlich wie rasend rückwärts zu laufen. Ich kam in eine andere Welt, …sah auf einmal unser gemeinsames Leben dort in Berlin, all die schönen Zeiten, aber auch unsere Streitereien und einige Meinungsverschiedenheiten. Dachte an unsere gemeinsamen Freunde und an deren Probleme, die uns beide sehr beschäftigen. An all die schlecht bezahlten Jobs und die gelegentlichen Geldsorgen um wenigstens noch die Miete bezahlen zu können…
Ich spürte meine tiefe Liebe zu ihr, aber auch meinen Frust und die Enttäuschung über ihre Launenhaftigkeit. Ahnte ihren Charakter, ihre ganze Art und kostete einen Hauch von unseren gemeinsamen Plänen und den vielen Zukunfts-Träumen die man in so einer großen grauen Stadt so träumt, um darin nicht allzu niedergeschlagen zu werden.
Ich lebte plötzlich in einem ganz anderen Leben, in einem Leben mit ihr in Berlin. Es war plötzlich so, als wär das Leben hier in Berlin mit ihr viel realer und wirklicher und ich würde jetzt gerade mit ihr nach Hause in unsere gemeinsame Wohnung fahren.
Und es wurde so extrem, dass sich alles kurzerhand total umdrehte …und ich würde mir gerade nur vorstellen sie jetzt hier das erste mal zu sehen, würde sie gar nicht kennen, und würde dabei den Reiz des Anonymen auskosten um jetzt einfach nur mal wieder total hingerissen von ihr zu sein wie am Anfang, und so endlich mal wieder wie frisch verliebt sein zu können.
Es erschien mir alles so verblüffend real. Ich spürte sogar, wie man sich hier als Berliner so fühlt…

Doch dann ertappte ich mich dabei, wie ich sicher schon seit einigen Minuten vor mich hinstarrte und dabei vertäumt und hemmungslos auf ihre großen, hellen, türkisblauen Augen schaute. Ich erschrak und schämte mich ein wenig darüber und auf einmal war ich sehr erleichtert darüber, dass sie immernoch ganz fest in ihr Buch vertieft war. Sie hatte wohl gar nichts davon bemerkt.
Aber ich wartete natürlich auch immer noch darauf, dass sie mal zu mir aufschauen würde.
Was mochte sie da wohl gerade lesen ?
Was fesselte sie denn nur so sehr ?
Was beherrschte nur diese wunderbaren strahlenden Augen.
Und plötzlich spürte ich einen tiefen inneren Schmerz. Vielleicht würde sie ja niemals aufblicken, und ich würde für immer gänzlich ungesehen und unerkannt bleiben müssen, denn plötzlich erinnerte ich mich auch wieder daran, dass ich schon bei der nächsten Haltestelle aussteigen musste. Ich wollte ja noch auf diese Puppen-Theater-Vorstellung gehen. Ich wurde plötzlich wieder aus diesem Tag-Traum gerissen und die Realität drehte sich wieder um.
Und sie hatte sehr wahrscheinlich überhaupt nichts von all dem bemerkt. Und sie würde sicher auch nichts merken wenn jetzt nicht endlich irgendwas geschehen würde.
Was sollte das denn jetzt alles bedeuten ? Hatte ich etwa sowas wie eine Vision ? Was wollte das Schicksal denn von mir ? Sollte ich etwas in Berlin bleiben ? Sollte ich jetzt einfach mit ihr weiterfahren, auch dort mit aussteigen wo sie aussteigen würde ? Würde sie dann womöglich Angst vor mit bekommen, wenn ich ihr heimlich durch die Straßenschluchten folgen würde ? Nein, das wollte ich auf gar keinen Fall.
Oder sollte ich sie jetzt einfach aus ihrer Buch-Welt reißen und sie ansprechen, aber wie ? Hätte ich ihr die Wahrheit sagen sollen, aber wie zum Teufel sollte ich ihr nur all das erklären.
Und was hätte ich ihr denn sonst schon sagen können, außer vielleicht dass ich sie sehr schön finde ?
Ich würde mir selbst dabei nur wie ein Idiot vorkommen, vielleicht rot werden und nur so schnell wie möglich wieder verschwinden wollen.
Nein, sowas wollte ich jetzt einfach nicht riskieren.
Aber dann dachte ich auch, vielleicht ist diese entzückende Frau hier die wahre Liebe meines Lebens. Sollte ich diese einmalige Chance jetzt einfach so verstreichen lassen ? Und ihre Augen, die wie für alle Ewigkeiten in dieses Buch zu starren schienen, strahlten so hell dass es mir fast weh tat !
Die Zeit raste mir davon. Mir blieb vielleicht nur noch eine Minute oder weniger. Ich mußte jetzt handeln, aber mir fiel so spontan einfach gar nix ein. Was war es nur, was ging hier eigentlich vor sich ?
Hatte ich mich nur selbst verarscht und nur mal wieder gnadenlos Projiziert und in ihr wieder mal diejenige gesehen, die mich vielleicht retten könnte ? Oder wollte ich sie vielleicht irgendwie retten aus ihrer Welt dort in Berlin, um sie dann in meine Welt nach Spanien zu bringen und mit welchem Recht ? Sie lebte hier ihr Leben und ich lebte meines in Spanien.

Mir kam alles einfach zu absurd vor. Hoffnungslos, aussichtslos, unerreichbar, unvereinbar. Ich kapitulierte und diese melancholische Musik von Notwist spielte immernoch in meinem Ohr:
„…..Have you ever been, all this time…… ?“ Ja, hatte ich denn jeh schon wirklich gelebt ? Was war ich nur für ein Feigling, verklemmt und unfähig wenn es mal drauf ankam.
Aber wo war denn sie ? Sie hätte es mir ja auch etwas leichter machen können… Hatten wir denn beide schon jemals wirklich gelebt. Waren wir beide nicht auch genau gleich in unseren eigenen Welten gefangen, hatten uns selber versklavt in den Vorstellungen was wir beide glaubten zu sein.
Diese ganze Wucht des Da-Seins rollte auf mich zu und schien mich gleich zu erschlagen. Ich hatte plötzlich genug, ich wollte nur noch hier weg, raus hier. Mit einem Satz sprang ich zur Tür, meine Halte-Station kam schon, aber ich konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen und drehte mich noch mal um.

Und sie blickte mich an
und
SIE LÄCHELTE !!!
Wow, was für ein tolles Geschenk !
Ich lächelte verwirrt und weise zugleich zurück. Immernoch war es so als würde ich sie schon sehr gut kennen, die Türen der S-Bahn öffneten sich. Es war für mich wie ein tragischer Abschied zwischen zwei guten alten Freunden.
Aber in dem Moment spürte ich auch, dass dieses Lächeln von ihr eigentlich schon genug war.
Was gab es denn noch zu sagen zwischen zwei so Vertrauten ? Was wollte ich denn noch mehr. Klar hätte ich einfach nicht aussteigen können, hätte versuchen können sie wirklich kennenzulernen, aber ich ließ sie einfach wieder los, ich ließ dieses ganze Leben mit ihr einfach hinter mir, um jetzt mein eigenes Leben zu leben, meinen eigenen Weg weiterzugehen.

Ich plumpste ins Hier und Jetzt und wollte nur wieder dieses wahre SEIN endlich wieder neu entdecken. Und dazu war es ganz egal was ich hatte, wo ich war oder was ich tat. Und plötzlich war ich so voller Energie, dass ich leicht wie eine Feder aus dem Zug hüpfte, und aus lauter Übermut noch schnell eine kleine Pirouette vor dem Fenster rannte, natürlich so, dass sie es noch sehen konnte, wie als ein kleines Abschiedsgeschenk, wenn sie nicht schon wieder am lesen war, um dann glücklich und traurig zugleich so schnell ich konnte den Bahnsteig entlang zu rennen, die Treppen hoch, bis mir oben die Puste ausging.

Dort oben auf der Brücke war dann niemand mehr, ich war wieder ganz allein und etwas brach auf ein Mal in mir zusammen, ich musste plötzlich ganz heftig weinen, einfach weil ich diese wundervolle Frau, die gerade noch so unheimlich viel für mich war, schon nach wenigen Minuten wieder verlor. Der Zug fuhr mit ihr schon unter der Brücke durch auf der ich stand. Ich spürte mit all meinen Fasern dass sie irgendwo da drin saß, spürte wie ihr Körper darin verschwand, wie sie von mir wieder fortgerissen wurde, ich wusste es war ein Lebewohl für immer, ich würde sie niemals wieder sehen. Dieser Zug war in der Tat abgefahren.
Und doch lachte ich gleichzeitig dabei vor Freude über mein eigenes Leben das jetzt wieder so unmittelbar vor mir lag. Mein ganz und gar eigener Weg, hier und JETZT.
Ja und ich spürte in allen Fasern wie sehr ich gerade Lust habe auf diesen eigenen Weg. Ich war wieder angekommen in diesem anderen Parallel-Universum, in meinem eigenen Traum, in dem ich jetzt gerade nur mir ganz allein gehöre. Und alles war wieder gut und richtig so wie es war…
Und das alles hatte vielleicht nur etwa 8 Minuten gedauert. Ja, wie relativ die Zeit doch manchmal ist…. und wie unheimlich subtil die Träume doch sind, in denen wir alle so leben…