michelgeschichten

Gesammelte Werke der Seelengeschichten des Prof.Dr.Strampelcheck. Kuckt mal auf meine Fotowebseite unter www.solarphoto.blogspot.com

Freitag, Juli 07, 2006

Namibia

Meine Zeit in Namibia vom 04.05 bis 19.05.2006 …ein etwas anderer Reisebericht.
Fotos dazu siehe unter: www.solarphoto.blogspot.com

Unser „weißer Elefant", der große weiße MAN-Reisebus der Namibischen Reiseorganisation: „Sense of Afrika" ist fast voll besetzt, 41 von 44 Plätzen sind belegt. Die Reisegäste sind alles schon etwas ältere Leute, ich bin mit meinen 42 Jahren mit Abstand der Jüngste, der Älteste ist 72. Die meisten sind Rentnerpaare und alle haben ihr ganzes Leben hart gearbeitet, haben all ihre Jahre fleißig in den verschiedensten Berufen um ihre finanzielle Existenz gekämpft, haben sich damit einen gewissen Wohlstand erschuftet und sind froh sich jetzt diesen Luxus leisten zu können.
Sie können sich vielleicht erst jetzt diesen Traum erfüllen das ferne Afrika zu bereisen. Doch ich hab ein solch anderes Leben gehabt wie sie, konnte mir so viele Träume schon in meinen jungen Jahren erfüllen. War auch schon öfters in Afrika (Marokko) mit den verschiedensten Verkehrsmitteln gewesen. Darum war es für mich jetzt wie das große wilde Afrika auf einem bequemen Sofa zu bereisen. Eben diesem bequemen Luxussitz dieses modernen Reisebusses. Der Reisebus war perfekt ausgestattet, die Klimaanlage ließ nur gefilterte und kühle Luft zu uns hindurch, die extra starke Federung ließ einem die üblen Wellblechpisten Namibias kaum spüren. Der weit vergrößerte Bodenabstand des Fahrwerks mit den fast nagelneuen und riesigen Michelinreifen und der bärenstarke MAN-6-Zylinder Diesel, schnaubte mit über 30Litern pro 100Km problemlos einfach überall hinauf und hindurch.
In den Hotels, in den Restaurants und an all den Ausflugsorten wurde uns eine europäische Standartwelt vorgegaukelt. Die Reisenden nahmen das scheinbar selbstverständlich und sichtlich erleichtert an. Es gab sogar einfache Toiletten an einigen eingezäunten Parkplätzen mitten in der Pampa. Und niemand hier wollte auf seine heiße Dusche am Abend verzichten. Das wurde recht deutlich, als mal an einem offiziellem Rastlager der Regierung die Wasserversorgung zusammenbrach. Die Angestellten brachten Wasserkanister an jedes Apartment, aber das Thema wurde sogar noch nach Tagen sehr gerne aufgegriffen und die schlechten Zustände dort immer wieder bemängelt. Merkwürdig fand ich, denn fast niemand sonst im Land dort hat fließend Wasser zuhause.
Das Essen war reichhaltig und wurde, bis auf das Wildfleisch so gut wie immer aus Südafrika oder gar Europa importiert. Es gab Obst aus der Dose, diverse Salate aus dem Glas und Joghurt aus Plastikbechern, was uns dann aber immer in großen edlen Porzellanschüsseln am Buffe dargeboten wurde.
Die Realität abseits all dieser Luxushotels sieht in Afrika so oft ganz und gar anders aus. Kulturen prallten hier schon immer aufeinander. Die meisten Menschen hier sind bitterarm. Die Hauptstadt Windhoek mit etwa 800000 Menschen, besteht aus einem sehr europäischen modernen Kern und endlosen kilometerweiten Hügelketten voller Slums ringsherum. Windhoek beherbergt fast die Hälfte der Einwohner Namibias.
Die Appartheit hat sehr tiefe Wunden in all diese Menschen geschlagen, Hass und Neid zerren noch immer sehr am Wohlergehen dieses Landes, denn nun sind es einige mächtige Schwarze die es den Weißen mit einer korrupten Vetterleswirtschaft heimzahlen wollen.
Viele Weiße leben in Angst, und je reicher sie sind desto mehr grenzen sie sich ab, schützen ihre Häuser mit Stacheldraht, hohen Mauern oder gar Elektrozäunen. Doch die meisten Schwarzen sind ganz einfache und auffallend fröhliche Menschen die mit dem wenigen was sie haben erstaunlich glücklich sind. Sie kommen meist von den kleinen Dörfern aus dem Buschland, lebten ein Leben ganz nahe der Natur, sind die vielen Entbehrungen gewohnt.
Erschreckend das Aids Problem im Land. Jeder fünfte hat Aids, von den sexuell aktiven zwischen 16 und 36 sogar jeder zweite ! Dieses Land wird schon bald noch mehr ausgestorben sein, denn das Problem wird offensichtlich auch nicht besonders ernst genommen.
In unzähligen Familien hier liegt ein Todkranker, der mit durchgefüttert und gepflegt werden muss. Die Menschen machen hier kein allzu großes Drama um den Tod, es gibt hier immer mehr als genug Nachwuchs, aber allein der volkswirtschaftliche Schaden durch Aids ist unvorstellbar.
Hinter der getönten Scheibe des Reisebusses ziehen die endlosen Weiten Afrikas vorüber, Hunderte von Kilometern wildes und scheinbar unberührtes Land, und doch fühle ich mich hier im dem Reisebus so sehr in Deutschland wie schon lange nicht mehr. Bin ich wirklich hier in Afrika ? Oft erscheint es mir nur wie ein Traum. Diese köstliche Stille der Wüste bleibt draußen hinter der Scheibe, direkt vor meiner Nase und doch unerreichbar.
Nur wenn der Reisebus mit dieser ewig schnatternden Touristen-Meute mal für eine Pinkel-Pause anhält und ich für 15 Min ein wenig herumlaufen darf, beginnt mein Körper zu fühlen das ich wirklich da bin. Ich spüre das diese Weite wirklich um mich ist, das die Zeitlosigkeit und Ewigkeit dieser ältesten Wüste auf unserem Planeten hier meine kleine Nasenspitze berührt, und ich mit meinem ach so kurzen Leben meine selbige für einen winzigen Augenblick hier hineinstecken darf. Ich sehnte mich so sehr nach der Stille die dort um uns war und doch nahm das Geplapper der Leute nie ein Ende, und es verfolgte mich, so weit ich in diesen kurzen Stopps auch weglaufen konnte. Ich gebe bald auf, ich begriff und akzeptierte das ich diesem Geräusch auf dieser Reise einfach nicht entfliehen würde, und manchmal tat das sehr weh, dann wurde ich sehr traurig dass ich dieser kostbaren Stille so greifbar nahe war und sie aber doch nicht erleben und in mich aufsaugen durfte.
Doch ich erkannte dadurch auch etwas sehr kostbares. Als ich damals in Marokko das erste mal in der Wüste war verliebte ich mich unsterblich in diese fast schon unheimliche Stille. Wie viele andere Wüsten-Vernarrte ließ mich die Wüste nie wieder los und all die Jahre schon sehnte ich mich nach ihr zurück. Als ich jetzt nun endlich wieder in ihr war erkannte ich, dass ich diese ersehnte Stille in all diesen Jahren in mir selbst gefunden hatte. Das Geplapper der Leute erschien einerseits so unerträglich zu sein das ich manchmal sogar etwas weinen musste, und doch war es auch völlig unbedeutend, denn ich konnte einfach in meine innere Stille eintreten, die völlig identisch war. Ich hatte die Zeitlosigkeit und Ewigkeit der Wüste in mir selbst gefunden.
Schon bald würde Volker, unser Fahrer und Reiseleiter, den Motor wieder anlassen und damit das endgültige Zeichen zum Aufbruch geben. Und sobald diese große Diesel-Maschine wieder vor sich hin schnurrte und das kleine bisschen Stille, das zwischen all den Gesprächen noch übrig blieb, augenblicklich Kilometerweit verscheuchte, strömten alle, die sich ein wenig vom Bus entfernt hatten eilig wieder zusammen.
Mir war als folgten sie alle diesem Ruf der Maschine wie brave Schäfchen unserer Zivilisation. Wie gerne wär ich oft einfach dageblieben, hätte mich für ein paar Tage irgendwo hingesetzt… doch wir alle waren da wie Gefangene unserer modernen Überlebensmaschinerie, und wir alle gehorchten ihr ohne zögern. Denn niemand konnte wirklich alleine dort verbleiben, die Tödlichkeit der feindseligen Wüste ohne Wasser und Schatten lauerte hier schon seit Urzeiten. Mir war als kroch in jedem von uns eine tiefe Angst plötzlich aus dem Unterbewusstsein, der Bus wurde plötzlich zur einzigen Rettung, zur beschützenden Mutter der Zivilisation und alle versammelten sich lässig, ihre Angst dabei überspielend, vor der gläsernen Türe und warteten geduldig bis sie kurz darauf, einer nach dem andern, wieder im Bauch des großen weißen Metall-Elefanten verschwanden, der sich dann alsbald mit röhrendem Getöse und seinen 44Sofa-Sitzen wieder von dannen machte.
Es würde nichts zurückbleiben außer ein Wölkchen Abgase oder vielleicht ein kleines Schnipsel Plastikfolie von irgendeiner industriellen Schokoriegel Verpackung. Nichts was diese Wüste hier stören könnte in ihrer majestätischen Ruhe. Und selbst wenn wir mit dem ganzen Reisebus dort liegen bleiben würden und uns vielleicht niemand mehr finden könnte, nach spätestens ein paar Jahren wär absolut nichts mehr von uns zu sehen. Die Wüste würde uns alle mit nur einem kleinen Quäntchen Zeit verschlucken, so als wären wir nie dagewesen, und würde weitere Hunderttausende von Jahren genau so weiterexistieren wie sie es hier schon seit Hunderttausenden von Jahren tat.
Unser Auftauchen hier war nur wie ein Flügelschlag einer einsamen verlorenen Fliege über die sich niemand schert, am Fenster einer selten benutzten Besenkammer.
Die so lange ersehnte Wiederbegegnung mit Rudi meinem Vater vollzog sich langsamer als ich es mir vorgestellt hatte. Ich wollte ihn nicht mit allzu tiefen Fragen bedrängen, versuchte einfach eine schöne unbeschwerte Zeit mit ihm zu verbringen. Hatte Angst bei ihm alte Wunden aufzureißen, die ihm diese schöne Zeit in Afrika vielleicht vergiftet hätten. Und er wusste einfach nicht man bei mir die richtigen Fragen stellt, er konnte sein Interesse an mir nur über Alltäglichkeiten zeigen, die ich zuerst als zu oberflächlich abwertete.
Ja, wir waren beide sehr behutsam miteinander, doch unser Vertrauen zueinander wuchs dabei sehr viel in dieser Zeit.
Sie Stimmung unter den Reisenden war gut. Doch die anfängliche Offenheit unter den Mitreisenden, diese Mischung aus Neugierde und Freundlichkeit verlor nach einer Woche für mich dieses stimulierende Element des Interesses. Vielleicht fehlte mir wieder nur der passende Schüssel zu diesen Menschen. Rudi bewegte sich sehr sicher auf diesem Terrain er schien einen Schlüssel zu diesen Menschen zu haben, wobei ich sehr viel von ihm lernen konnte. Er schaffte es mit seiner locker flockigen Art fast immer die Stille zu brechen und angeregte Gespräche zu eröffnen.
Aber wirklich tiefer und vertrauter wurde es dabei nie. Ich dachte mir irgendwann, vielleicht gibt es bei diesen Leuten auch gar keinen Tiefen-Schlüssel mehr, weil sie sich von selbst immer dann verschließen wenn es mal wirklich etwas näher und persönlicher werden könnte ?
Sie verharren lieber in sicherer Distanz und in freundlicher Oberflächlichkeit, doch auch sie dürsten dahinter nach Nähe und Liebe wie jeder Mensch.
Einige wirklich gute Komiker schafften es dann öfter mal diese Menschen zum lachen zu bringen und dabei schien mir manchmal eine warme Herzlichkeit durch alle Herzen zu gehen. Kurz öffnete sich der Vorhang, alle Augen leuchteten, die Gesichter entspannten sich und die Stimmen wurden plötzlich schrill und laut. Es war als wollte etwas aus ihnen hinaus das schon sehr lange nur darauf wartete. Doch schon nach kurzem wurde es dann wieder still, sehr still… Hatte man sich etwa daneben benommen, hatte man vielleicht etwa zu laut gelacht, vielleicht eine doch etwas zu anzügliche Bemerkung von sich gegeben, jemanden zu sehr damit auf den Schlips getreten oder sich selbst gar vor anderen damit entblößt ?
Hier in dieser alten deutschen Welt wird noch so viel Wert auf das Prestige gelegt, dass das Menschliche viel zu oft dahinter verborgen bleiben muss. Aber sie taten mir leid, sie alle machen sich damit nur selbst unglücklich, schneiden sich selbst von der Liebe ab die sie haben könnten, und die wir alle doch so dringend brauchen.
So versuchen sie es dann Paarweise, halten daran fest, hüten ihre Ehe wie den einzigen Schatz den sie haben. Doch manchmal ist dieser Schatz auch schon etwas marode und verfault und bei einigen stinkt die Verlogenheit bis über die Mauern ihrer Angst hinweg.
Und doch fand ich sie alle sehr tapfer. Sie liebten einander trotzdem. Sie alle kannten gar kein anderes Leben, sie waren auch nur das Opfer ihrer Zeit, denn wie jede Generation machten sie auch nur das Beste aus dem was sie für sich vorfanden.
Und nur ich unter ihnen hatte vielleicht die Gnade gehabt ein anders Leben leben zu können. Ich in meiner Generation musste mir schon nicht mehr all diese existenziellen Sorgen machen, all die Ängste ausstehen, all diese Scham ertragen, all den strengen gesellschaftlichen Normen entsprechen, all meine Hoffnungen vergessen. Ich in meiner Generation hatte den Luxus, die Freiheit und vor allem auch schon die Möglichkeiten gehabt fast all meine Träume zu verwirklichen.
Ich war wohl eher geschockt von der Tatsache wie schwer es diese Leute in ihrem Leben hatten, denn jetzt wollte ich all diese tapferen Leute auch gar nicht verurteilen, wie ich es sonst so gerne tat, und hinter all den alten Fassaden ihrer Selbstbilder erkannte ich nun jeden einzelnen Menschen, und ich lernte auf dieser Reise ausnahmslos alle lieb zu haben.
Ja sie waren alle wirklich großartig wie sie waren, und wir wurden zu einer kleinen eingeschworenen Gemeinschaft. Wir grüßten und freuten uns, wenn wir in einer Stadt zufällig aufeinander trafen, lachten uns an oder setzten uns zusammen an einem Tisch wenn wir uns abends mal im selben Restaurant wiederfanden. Tauschten Bonbons, Taschentücher, Filme und Ladegeräte untereinander aus.
Ja, am Ende der Reise ergriff uns alle die Traurigkeit des Abschiednehmens, auch wenn einige das gar nicht zeigen konnten. In meinem Herzen blieb viel Liebe und eine tiefe Achtung vor diesen Menschen, auch wenn ich sie alle wahrscheinlich niemals wiedersehen werde, ich werde die Zeit mit ihnen niemals vergessen.
Ja, diese Reise nach Afrika mit meinem Vater hat mich irgendwie mit der ganzen Generation meiner Eltern wieder versöhnt. Mir wurde klar das ich all die Jahre eben diese Generation verantwortlich gemacht hatte für all das Elend in der Welt. Für all die schreienden Mißstände in Wirtschaft, Medizin, Politik, für die Umweltzerstörung, die Gewissenlosigkeit, ja sogar für die Ignoranz und Dekadenz unserer Spezies.
Ich wollte immer anders sein und wie jeder gute Teenager wollte ich damals nur noch raus aus diesem tödlichen Spiel. Doch es dauerte bis jetzt, das ich erkannte, das man all dieses Elend niemals einer einzigen Generation anheften kann. Denn die Struktur dieser ganzen Misere besteht ja schon viel viel länger, schon immer bekriegten sich die Menschen, taten einander weh, unterdrückten und mißachteten sich gegenseitig. Schon immer regierte die Angst, …und Wut, Eifersucht und Rache brachten endlose Ketten der Gewalt und Zerstörung über unseren Planeten.
Und was nun diese Nachkriegs-Generation meiner Eltern auf der Erde angerichtet hat ist nur die logische und konsequente Folge einer viel viel größeren und sehr schwierigen Entwicklung zur Menschwerdung. Wir alle (mich eingeschlossen) haben unser eigenes Potential noch lange nicht ausgeschöpft, und es wird uns auch nicht mehr genug Zeit bleiben, ein Menschen-Leben scheint mir heute dazu viel zu kurz. Doch jede Generation lernt eben nur von den Fehlern der letzten.
Meine Generation hat zwar eine große Gegenbewegung auf die Beine gebracht, wir haben geschimpft, disskutiert und demonstriert gegen Atomkraft, Umweltzerstörung, politische Skandale. Wir haben ökologischen Landbau betrieben und Bio-Läden errichtet, haben versucht neue Lebensformen zu finden, haben Kommunen und WG’s gegründet, haben versucht mit der freien Liebe die alten Strukturen der Ehe auszuhebeln. Doch was ist aus all dem geworden ? Die Grünen sind heute genauso korrupt und systemkonform, die Umweltzerstörung und Artenvernichtung schreitet genauso unaufhaltsam weiter, die Beziehungslandschaft gleicht einem Schlachtfeld an dem jetzt vor allem unsere Kinder zu leiden haben. Und Ignoranz und Dekadenz macht sich auch hier schon überall breit. Wir haben das Pulver unserer Generation auch schon verschossen, konnten aber auch nicht wirklich viel damit ausrichten.
Diese Reise machte mir noch mal etwas wichtiges deutlich: Wir alle hier sitzen im gleichen Boot!
Und keiner weiß genau wohin die Reise geht, und es kommt hier sowieso keiner lebend raus…
Was uns allen bleibt ist das Hier und Jetzt, versuchen jeden Augenblick zu genießen, einfach Zufrieden sein mit dem was man hat und was man ist. Und hier sind wir doch alle gleich, sind liebende, fühlende Menschen die sich auf den nächsten Tag freuen…