michelgeschichten

Gesammelte Werke der Seelengeschichten des Prof.Dr.Strampelcheck. Kuckt mal auf meine Fotowebseite unter www.solarphoto.blogspot.com

Donnerstag, März 19, 2015

Marokko 2015


Wiedermal hat mich die Wüste sehr tief berührt. Es ist, als wenn sie mich immer auf meine eigenen nackten Füße stellt, und mich die schon oft zitierte „nackte Rinde unseres Planeten“ unter meinen Sohlen spüren lässt. Wenn wir Nachts zum klaren Sternenhimmel aufschauen und dabei wieder mal einen Hauch von einer Ahnung bekommen, wie unermesslich groß das Weltall ist, sehen wir uns selbst wieder in unserer wahren Größe. Wir sind nur ein Staubkorn aus dem Sternenstaub eines längst gestorbenen Sterns. Und sie, die Erde, unsere Heimat, unser Raumschiff, sie ist die einzige die wir jemals haben werden. 
 
Die Wanderungen in den endlos weiten Ebenen, umringt von schroffen Bergen, beeindruckten mich besonders. Wenn man in solch eine Ebene hineinläuft ist es genau so wie auch im Leben: Man kann einfach überall hin laufen, doch man sucht sich irgend ein markantes Ziel am Horizont und fängt an darauf los zu gehen. Die Wege, wenn es überhaupt schon welche gibt, entstehen hier auch erst beim gehen. Sie führen uns manchmal durch wunderschöne wilde Flusstäler, fast etwas Ziellos schlängeln sich viele kaum erkennbare Ziegenpfade durch das sehr steinige Gelände. Oft verliert man dabei sein Ziel aus den Augen, nur auf leichten Erhebungen kann man seine Richtung dann wieder neu erkennen. Und vor allem, der Weg ist viel weiter, als es am Anfang aussieht. Wir verlieren hier viel öfter unser gewohntes Maß, was uns dann aber glücklicher Weise viel mehr im Hier und Jetzt sein lässt. Es spielt dann kaum noch eine Rolle wohin man eigentlich geht. Der Weg wird das Ziel. Denn es spielt auch keine Rolle mehr ob man hier irgendwo ankommt. Nur das, was man beim gehen alles findet, wird hier zum Lebenselexir.

Die Sonne und der Wind sind unerbärmlich und als seien sie hier ein ewiger Gast. Man spürt diesen kleinen inneren Stolz der blanken Existenz, und das wir vielleicht noch ein Weilchen die Kraft haben werden ihnen trotzen zu können. Doch dieses Weilchen ist gewiss nicht mehr lange, im Vergleich zu den Zeiträumen in der Wüste. Hier ticken die Uhren ganz anders, ein Jahr ist hier nur wie eine Sekunde. Darum spüren wir so sehr, dass die Ewigkeit hier schon ganz direkt vor unserer Nasenspitze beginnt. Es gibt in der Wüste einfach nichts was uns davon ablenken könnte.

Man kann spüren, dass die Stille der Ewigkeit schon all seine Bewohner tief durchdrungen hat. Die Nomaden, die Kamele, die Esel, Schafe und Ziegen, an unserem Lieblingsplatz in Merzouga... alle tragen irgendwie die Ruhe der Wüste in sich. Alle bewegen sich hier nur ganz langsam, so als wollten sie ihre Kraft damit sparen. Sie bleiben oft einfach stehen und machen lange Pausen, so als würden sie lieber in Ruhe einem Gedanken nachgehen, oder etwas in weiter Ferne beobachten. Zeit spielt hier absolut keine Rolle. Auch wir vergaßen bald welchen Tag wir gerade hatten, und mussten dann immer auf dem Händy nachsehen. 
 
Wir waren jeweils eine ganze Woche auf zwei original Nomaden-Plätzen, die meist alle etwas versteckt und abseits der Straße lagen. Manchmal hatten wir sogar kurze Begegnungen mit Nomaden, die uns von Weitem scheu wie Tiere vorkamen, doch die dann alle sehr herzlich waren, sobald wir uns mal Auge in Auge gegenüberstanden. Aber die Meisten vermieden eher den direkten Kontakt, sie ließen uns in Ruhe, was für Marokkaner doch eher sehr bemerkenswert ist.

Bei einer Fluss-Wanderung bei Tata begriff ich, das all diese Steine und selbst das viele Geröll für die Erde auch nur wie feiner Sand ist. Wasser, Wind und Wetter haben diese Rinde zermahlen, gespalten, zerfetzt, geschliffen oder poliert. Man findet die seltsamsten Steine hier. Ein kleiner Stein sieht hier manchmal genauso aus, wie ein ganzer Gebirgszug. Mikro und Makro-Kosmos in Einem. Und es gibt auch hier keine Wiederholungen, jedes noch so kleinste Steinchen ist einzigartig in Größe, Form und Farbe. Was für eine bodenlose Kreativität der Natur! Ich begriff, dass nur Sand die gesamte Oberfläche dieser Erde bedeckt, sei er auch manchmal etwas grobkörniger.

Unsere Marokko-Reise war, so im Nachhinein gesehen, eigentlich auch wie eine Zeit-Reise in die tiefe Vergangenheit der Menschheit. Je weiter wir in den Süden fuhren, und uns dabei der Sahara immer mehr annäherten, desto weiter kamen wir auch in unsere kollektive Vergangenheit. Von nur vereinzelten Nomaden in ihren Zelten, ihren Ziegen und Schafen. Und das in einer nahezu menschenleeren weiten und stillen Welt. Über sesshaft gewordene Bauern in den Oasen, die dort Gartenbau betreiben und in selbstgebauten Lehmhäusern leben. Zu den ersten großen Ansiedlungen, die aber oft noch über 100Km auseinander lagen, wo es vielleicht schon ein oder zwei kleine Läden und manchmal auch schon ein Café gibt. Bis hin zu richtigen Städten, vorallem ganz im Norden, wo (schon auch wie in Europa) Industriegebiete und separate Wohnsiedlungen entstanden sind. Für uns dann schon wieder ein krasser Kulturschock, nach dieser inneren Einkehr-Zeit in der Wüste. 
 
Dieser Schock wurde aber nochmals getoppt sobald man dann ganz im Norden die Grenze ins spanische Melilla überschreitet. Der Hafen in dem auch unsere Fähre vor Anker ging. Es kommt einem dann doch sehr Absurd vor auf afrikanischen Boden eine echte spanische Stadt vorzufinden, mit all den irgendwie überflüssigen Luxusartikel-Läden, mit mehrfarbigen LED-Springbrunnen-Beleuchtungen, mit den gepflegten Haus-Fassaden, den kunstvollen Pflasterstein-Aleen und den Verkehrs-Ampeln an jeder kleinen Kreuzung. Eine gute Vorbereitung an das Europäische Festland, das wir am nächsten Tag nach einer 5 stündigen und sehr windigen Schiffsreise erreichten.
Nun hat uns die Neuzeit wieder. Schnell gelingt es uns geübten all das wieder normal zu finden, doch etwas in uns ist noch immer in der Wüste, und wir betrachten unsere moderne Welt auch noch immer mit staunenden Nomadenaugen.