michelgeschichten

Gesammelte Werke der Seelengeschichten des Prof.Dr.Strampelcheck. Kuckt mal auf meine Fotowebseite unter www.solarphoto.blogspot.com

Montag, September 05, 2016

Mein Fallschirmsprung

Die Idee dazu bekam ich von diesem wirklich reizenden Foto das mir eine Freundin aus Berlin von sich geschickt hatte. Ich fragte sie, was sie denn da gemacht hatte, und keine fünf Minuten später suchte ich schon spontan in Netz nach Anbietern rund um Berlin. Der Preis war schockierend. Doch ich dachte mir: Sowas tut man vermutlich nur einmal im Leben, aber diese spannende Erinnerung bleibt einem jedoch fürs ganze Leben erhalten. Sogesehen ist der Preis schon in Ordnung. Ich schaute mir einige Videos darüber an, und nach einigem Hin und Her buchte ich dann einfach. Ich konnte es selber eigentlich kaum glauben. Und allein die Vorfreude und das Adrenalin, das ich ab nun jedes Mal nur bei dem Gedanken daran bekam, war ja schon mal einiges Wert. Außerdem brauchte ich auch noch ein leckers Bonbon, um mir meine Zeit in Deutschland etwas versüßen zu können.

Meine Reise und die Tage davor verliefen so turbulent, dass ich leider kaum noch daran denken konnte. Doch ich wunderte mich schon auch ein wenig, dass sich irgendwie gar keine große Aufregung dazu einstellen wollte. Selbst am Tag meines Sprungs, als ich meine definitive Teilnahme zwei Stunden zuvor nochmal telefonisch bestätigen musste, fehlte mir fast schon ein wenig diese Angst, die ich eigentlich dabei erwartet hatte. Sie kam einfach nicht!
Auch nicht, als wir dann an diesem netten kleinen Sport-Flughafen eintrafen, und wir die ersten Fallschirmspringer mit ihren bunten Schirmchen vom Himmel fallen sahen.... Auch nicht, als mir Wolf mein netter Flugbegleiter den genauen Ablauf erklärte und ich mir den schicken Overall und das Gurtzeugs anzog....
Ja, nicht mal, als wir uns mit 18 recht wild aussehenden Fallschirm-Piloten in dieses kleine (aber 1000PS starke) Flugzeug hineinquetschten. Es gab drinnen keine Sitze, wir saßen einfach alle auf dem Boden, und die große Öffnung an der Seite mit dem Rolltor, wurde erst auf dem Rollfeld während des Beschleunigens zugezogen. Die Maschine hob sehr schnell ab und flog recht steil in den Himmel hinauf. Ich genoß es wie immer sehr die Welt an diesem wolkenlosen und strahlend blauen Sommertag von Oben zu betrachten. Sah mir die Gesichter der anderen Fallschirm-Piloten an, die alle auch keinerlei Anzeichen von Angst zeigten. Die Stimmung in der Maschine war freudig erregt und kameradschaftlich. Sie tauschten sich wegen des Motorenlärms mit diversen Handzeichen aus, die wohl “Alles Ok” oder “viel Glück” bedeuteten.

Auf 1200m hielt das Flugzeug kurz an. Ein Wing-Suit-Schüler machte hier seinen allerersten Solo-Sprung, mit nur ganz wenigen Sekunden des freien Falls. Das Rolltor wurde hochgzogen und ein kühler Schwall Luft ströhmte durch die Kabine. Wie wenn man auf der Autobahn kurz alle Fenster öffnet. Der Mann stand in der Hocke vor der Türe und zögerte nur kurz, als er sich mutig aus dem Flugzeug in die Tiefe stürzte. Aus dem Seitenfenster sah ich, dass er noch kurz zurück zur Maschine hoch blickte, als er unter uns in der Leere verschwand.
Der Flug ging nun weiter, das Rolltor wurde wieder geschlossen und der starke Motor brauste erneut auf, Wir stiegen in nur 10 Minuten auf unsere Absprunghöhe auf 4000m. Die Landschaft war so klein unter uns, und so weit weg. Hier oben waren wir dem tief dunkelblauen Himmel schon viel näher, als dem blassen Boden unter uns. Die Sonne tauchte hier alles in ihr helles gleißendes Höhenlicht. Die ganze Mannschaft verließ das Flugzeug binnen weniger Sekunden. Sie purzelten einfach aus der großen Klappe und binnen einer Sekunde waren sie schon nicht mehr zu sehen.
Vor uns saß noch ein weiteres Tandem-Team, das jetzt den Weg zur offenen Luke antrat. Sie saßen dann dort, fest aneinandergegurtet, noch einige Sekunden, die Beine aus der Türe heraus hängend, bis auch diese beiden in der Tiefe verschwanden.

Ein letzter Check: Schutzbrille fest, Mütze auf, Gurte fest..... alles war bereit. Ich fühlte mich sicher und richtig fest mit meinem Piloten zusammen verschnürt. Doch ich hatte das Gefühl das mir hier noch etwas sehr wichtiges fehlte. Es war aber nicht die Reißleine zum öffnen des Rettungs-Fallschirms, oder das letzte Stoß-Gebet zum Schöpfer, nein.... es war meine Angst, die sich auch jetzt partu nicht bei mir einstellen wollte! Bereitwillig zum Sprung bewegte sich nun mein 
gefesselter Körper zusammen mit meinem Tandem-Piloten richtung Ausgang. Die kühle frische Luft hier oben war köstlich und sehr erquickend. Auch wir saßen ein paar Sekunden noch an der Flugzeug-Kante, bis mich ein kräftiger Ruck von Hinten hinaus in die offene Weite vor uns katapultierte.
Das erste Gefühl war: Hilfe wir fallen. Es gab einfach nirgendwo ein Halten mehr.
Dann trudelten wir schnell ein wenig kopfüber und seitlich hin und her, was für meinen Orientierungs-Sinn und mein dann doch etwas erschrockenes Herz zunächst ein gutes Stückchen Arbeit war. Wo war oben und unten? Alles vermischte sich mit dem ohrenbetäubenden Sausen in meinen Ohren. Nach der eingepferchten Enge im Flugzeug umgab mich hier nun eine unfassbar große und schier grenzenlose Weite. Es war irgendwie fast wie eine Geburt und wie Sterben zugleich.
 
Doch die erste innere Panik beruhigte sich ganz schnell wieder, als sich unsere Flugposition nach ein paar Sekunden stabilisierte und wir auf dem Bauch in der Luft liegend zusammen durch die tosende Luft sausten. Das Freiheitsgefühl dabei ist wirklich unbeschreiblich.
Ich war hier ja nicht allein, ich spürte Wolf meinen Piloten direkt hinter mir, der mir nun auf die Schulter klopfte und mir damit das Zeichen gab, dass ich meine Hände vom Gurtzeugs loslassen konnte. Ich ließ nun die frische Lufthülle unserer Erde wie feinen Sand durch meine Finger gleiten. Probierte mal den Mund auf zu machen, doch der trocknete ganz schnell dabei aus. Ich schaute nach oben um zu sehen ob ich unser Flugzeug noch sehen könnte. Doch es war schon ganz ganz klein geworden und flog ganz weit irgendwo da oben in der blauen Weite.

Ich blickte herum und suchte an diesem Tag leider vergeblich nach ein paar Wolken, an denen ich irgendwie unsere Fallgeschwindigkeit von ca. 200 Sachen hätte erkennen können. Der Boden war noch viel zu weit entfernt, als das man ihn hätte schnell näherkommen sehen können. Wir flogen hier einfach zusammen durch die Luft, wie ein dicker schwerer Vogel in einem ohrenbetäubenden Sturm.

Mein Herz beruhigte sich nun für mich ganz deutlich spürbar
und schlug wieder sehr langsam. Die erste Panik, die durch das in die Tiefe fallen in mir ausgelöst wurde, zentrierte sich nun wieder in mir und ich fand dort einen erstaunlich tiefen Ruhepol. Mein Körper und mein Geist entspannte mich nun völlig und genoß einfach meinen schnellen und fast wie schwerelosen Flug durch diese weiche Lufthülle unserer geliebten Erde. Die Luft wurde dabei fast so fest wie Wasser, und wiedermal fühlte ich mich von Mutter-Natur so getragen und geborgen wie ein kleines Baby bei seiner Mama.

Die fantastische weite Aussicht auf die tolle Berliner Seen-Landschaft unter uns, das tiefdunkle Blau des unbefleckten Himmels über uns, und der riesig weite und weiße Horizont der uns hier oben rings herum mit vielleicht über hundert Kilometern Radius umgab, erzeugte ein unermesslich großes Freiheitsgefühl im Außen. Dieses war aber auch nur wie eine Spiegelung meiner inneren Freiheit. Eine Freiheit von jeglichen Gedanken. Denn alle Gedanken verebbten hier oben, vielleicht wurden sie vom starken Gegenwind einfach davongeweht, und das ewige Jetzt des Augenblicks erfüllte mal wieder völlig meine Gegenwart. Alles hätte gerne genau so weitergehen können bis ans Ende aller Zeit.

Doch das zufriedene Lächeln auf meinen Lippen wurde jetzt von einem weiteren Schulterklopfen vom Piloten Wolf und einem Ruck an den Gurten unterbrochen, als sich nun unser Fallschirm über uns öffnete. Die kostbaren 50 Sekunden des freien Falls waren leider auch schon wieder vorbei. Unsere Flug-Gefühl wechselte jetzt von “dicker freier Vogel” zu “schwerer gefesselter Sack”. Da hingen wir nun, in unserem dicken Seilzeugs und waren wieder der krassen Schwerkraft dieses Planeten ausgesetzt, die uns die Gurte jetzt wieder in die Schenkel hinein presste.

Nun begann ein recht flotter Gleitschirmflug, was ich ja selber noch sehr gut aus den alten Tagen in meiner Erinnerung habe. Hier fühlte ich mich in der Luft schon wieder ganz wie Zuhause. Ein paar sanft geflogene Kurven und die netten Zentrifugalkräfte gaben mir das bekannte schöne Gefühl vom Gleitschirmfliegen zurück. Die Augen suchten instinktiv schon nach dem Landeplatz, versuchten mit Hilfe unseres Schattens auf der Erde die restliche Höhe zu erahnen, und mein Gehirn berechnete schon wieder automatisch und ganz fieberhaft den idealen Landeanflug. Nur dass der Fallschirm natürlich sehr viel schneller sinkt und im Gegensatz zum Gleitschirm sogar in seiner Flugbahn nach unten auch sehr gut steuerbar ist. Kurz vor der Landung wird hier dann noch mal richtig Gas nach unten gegeben, um etwas mehr Geschwindigkeit zu bekommen, die dann für genügend Gegen-Luft im Schirm und ein gutes Abbremsen bei der Landung gebraucht wird.
Wir landeten so ganz sanft auf dem Popo auf der grünen Wiese. Schutz-Brille ab, Mütze runter, Gurte los und dann gleich mal wieder die Beine ausprobieren. Dann gar nicht so wackelig, wie zuerst vermutet, der dort wartenden Familie entgegen, die dort eifrig Fotografierten. Noch immer mit diesem Lächeln im Gesicht das einem die 50 Sekunden freier Fall geschenkt hatte, und das mir auch bis heute noch übers Gesicht wandert, wenn ich nur daran denke.

Ich wäre sofort wieder ins Flugzeug eingstiegen und wäre am liebsten gleich nochmal gesprungen, wenn´s nicht gar so teuer wär. Keine Frage, es ist etwas was einen wirklich süchtig machen kann.
So richtig wie fallen fühlt sich das nämlich gar nicht an. Es ist nur am Anfang in den ersten Sekunden aus dem Flugzeug heraus ein reines Fallen. Denn wenn man seine Fallgeschwindigkeit einmal erreicht hat, ist es eher so, als würde einen die Luft tragen, und als schwebte man wie eine Feder wieder zu boden, wenn auch nicht ganz so galant und etwas schneller wie eine solche. Man fühlt sich dabei jedendoch genauso leicht und genauso klein wie eine Feder.....
Beim “Wiedereintritt” in diese überaus zärtliche blaue Lufthülle dieses riesigen, schweren Planeten Erde.
Einmal vom Himmel zu fallen, das sollte nicht nur den Meistern überlassen werden, die am Ende ja dann doch immer keine sind. Es ist schön, dass es heutzutage jedem frei steht diese Erfahrung machen zu können. Ich kann jedem nur empfehlen davon auch einmal Gebrauch zu machen. Es war mit Sicherheit eines der geilesten Erlebnisse meines (neuen) Lebens, und war somit auch ein weiter Meilenstein meiner Gensung nach meinem GBS das jetzt bald schon 4 Jahre her ist.
 
Aber ein bischen wunderte ich mich selbst auch ein wenig so im Nachhinein.
Ich hab mich dann nämlich wieder an meine Gedanken erinnert, die ich damals im Krankenhaus hatte, als ich so sterbenskrank war. Ich dachte dass ich nie wieder mein Leben aufs Spiel setzten würde, sollte ich je einmal wieder völlig gesund werden. Mir war das Leben selbst und meine Gesundheit damals plötzlich so überaus kostbar geworden. Und jetzt wo sie einem schon wieder so ganz normal und als natürlich gegeben vorkommt, setzt man sein Leben und seine Gesundheit wieder so gerne und fast schon leichtsinnig aufs Spiel:
Ich fahre Motorrad, ich gehe in die Wüste, ich wandere auf hohe Berggipfel, ich springe mit dem Fallschirm und esse auch manchmal gerne wieder Gummibärchen....
Mann glaubt einfach die Gefahr einschätzen zu können, ja sie sogar wirklich gut genug beherrschen zu können und das scheinbar kleine Rest-Risiko einfach in Kauf nehmen zu können. Das Leben ist nun mal gefährlich und gerade doch auch deswegen oft so überaus spannend.

Und ich scheine ja damit auch wirklich nicht der einzige zu sein. Die ganze Menschheit setzt ihr überleben täglich aufs Spiel. Verdrängt überall das sogennante Restrisiko und baut noch immer Atomkraftwerke, provoziert Kriege, spielt mit Gentechnik herum, stürzt sich in den Straßenverkehr und isst frech-fröhlich hormonbehandeltes Fleisch von lebenslang gequälten Tieren.....
Was soll man da noch sagen, es hat mich wohl irgendwie mitgerissen, gepackt, Und ich hab diese Liebe zu mir selbst und zu der Schöpfung vielleicht einfach wieder vergessen, die ich damals so deutlich in mir spürte. Diese kostbare Heiligkeit des Lebens, die ich so hautnah erlebte, als es mir fasst aus meinen Fingern entglitt.