michelgeschichten

Gesammelte Werke der Seelengeschichten des Prof.Dr.Strampelcheck. Kuckt mal auf meine Fotowebseite unter www.solarphoto.blogspot.com

Dienstag, Dezember 03, 2013

Mein Guillain Barre Syndrom

Mein Guillain Barre Syndrom
Hallo alle zusammen !
Endlich sind die Nervenbahnen in meinen Fingern wieder soweit hergestellt, dass ich mich wieder an die Tasten wagen kann. So vieles wartete schon so lange in meinem Kopf endlich niedergeschrieben zu werden, und ich weiß natürlich dass viele von euch auch schon gespannt auf meinen Erlebnisbericht warten. Ja, wer hätte gedacht dass mir so etwas passiert !? Die Erfahrungen, die ich mit meiner Krankheit machte, haben (vorsichtig ausgedrückt) alles in mir verändert. Das Foto hier zeigt mich mit meinen 48 Jahren, kurz vor meiner Erkrankung im September 2012.

Was ist ein Guillain Barre Syndrom ?

Es ist eine schon seit 200 Jahren bekannte Autoimmunkrankheit, bei der das eigene Immunsystem durch einen Virus umgepolt wird und es dann anfängt die Isolierschicht (Myelinschicht) der Nervenbahnen zu zerstören. Die Kurz-Erklärung für Elektriker wie mich: Totaler Kurzschluss im gesamten Kabelbaum.
Die fatalen Folgen sind Lähmungen am ganzen Körper bis hin zu Atmungsunfähigkeit. Behandelt wird mit Immunblockern um den Zerstörungsprozess zu stoppen. Danach baut der Körper das Immunsystem und die Myelinschicht wieder langsam auf und bei den meisten können alle Lähmungserscheinungen innerhalb eines Jahres wieder geheilt werden.
Aber es ist echt ne harte Nummer sag ich euch !
Ein Guillain Barre Syndrom ist also keine moderne Zivilisations-krankheit. Sie kann jeden und in jedem Alter treffen, sie ist Geschlechts unspezifisch und es entsteht durch den Verlauf keine Immunisierung. Sie scheint einfach nur ein seltener aber fataler Fehler des eigenen Abwehr-Systems zu sein.

Die Danksagung:


Aber bevor ich jetzt anfange über mich zu erzählen, möchte ich an erster Stelle erst mal ein dickes Danke sagen für all die Liebe und guten Gedanken die all meine Freunde mir, in dieser schweren Zeit, immer geschickt haben. Ganz besonders auch für meine tapfere Frau Claudia, meine beiden Kinder, meine Eltern und viele gute Freunde. Und ein riesen Dankeschön für alle, die versucht haben, so oft es eben ging, bei mir im Krankenhaus zu sein.
Ich bin so tief berührt und immer noch sehr erstaunt wie weit sich der Kreis der Betroffenen gezogen hat. Von überall her bekam ich mitfühlende Nachrichten und Segenswünsche. Es hat so unglaublich viele Menschen berührt und in Bewegung gesetzt, die von meinem Schicksal erfuhren.
So oft bekam ich Besuch im Krankenhaus und einige haben sich noch weiter engagiert, wie z.B. Claudias Idee, mir Kollektiv jeden Tag um 9 Uhr abends Kraft zu schicken. Auch ein paar Meditationskreise in Orgiva haben für mich gebetet.

Das alles ging sogar soweit, dass Anna, die Leiterin hier vom buddhistischen Retreat-Center Oceling, wo ich gelegentlich arbeite, eine Email nach Nord-Indien schickte und daraufhin 5000 tibetische Mönche, die dort im Exil leben, für mich gebetet haben !

Eure Gebete gaben mir sicher die Energie, tieftraurig wie ich war, gleichzeitig das Vertauen aufzubringen, dass alles wieder gut werden würde. Also nochmals 1000 Mal Danke !

All das hat mich immer dann ganz besonders tief berührt, wenn sich, wie bei den meisten, durch meine schwere Krankheit auch noch ein Bewusstseinswandel über das Leben eingestellt hat.

Ich habe den Eindruck, dass meine Krankheit nicht nur mir selbst die Augen und das Herz geöffnet hat, sondern auch bei vielen meiner Freunde und Bekannten. Es hat mir wirklich mein Herz weit geöffnet, denn so oft musste ich schon weinen über all diese Liebe und Tiefe die ich zur Zeit erfahren darf, aber es sind eigentlich immer Tränen der Freude gewesen. Und ich erlebe zur Zeit von überall her nur große Freundlichkeit.
Aber nun gut, wie soll ich denn nur anfangen.....?


Die Krankheit:

Alles kam so plötzlich und wie aus heiterem Himmel. Wie jede Krankheit begann auch diese mit einem kleinen Zimperlein. Meine ersten Symptome hatte ich erst eine Woche zuvor bemerkt: Fehlender Geschmackssinn, verändertes Wärme/Kälte-Empfinden auf den Handrücken, und nach ein paar Tagen dann Kribbeln und Taubheit in Fingern und Zehen. Zuerst dachten wir, ich hätte nur irgendwelche Durchblutungs- Störungen, vielleicht durch starke Verspannungen in meinen Schultern. Ja irgend etwas saß mir da buchstäblich im Nacken.
Aber als meine Beine dann auf einmal so schwach wurden, dass ich an meiner kleinen Türschwelle einfach zusammenklappte, ging es am 07.Oktober 2012 auch schon schnurstracks in die Klinik nach Granada. Ein guter Freund den ich einige Monate vorher mit einer Daumenverletzung ins Krankenhaus brachte fuhr jetzt mich dort hin. Wir beide witzelten noch über diese Sittuation.
Schon innerhalb dieser einen Stunde Autofahrt hatte ich schon keine Kraft mehr zu laufen und musste mit einem Rollstuhl vom Auto in die Notaufnahme geschoben werden. Ich hatte großes Glück, dort wurde binnen weniger Stunden die richtige Diagnose erstellt und sofort behandelt. Es war knapp, denn zwei Tage später wäre ich ohne ärztliche Hilfe vermutlich einfach erstickt.

Ja, es war wirklich schlimm für mich......,vor allem am Anfang.
Ich war innerhalb einer Woche völlig gelähmt und konnte nur noch hilflos daliegen. Bis auf den Kopf etwas zur Seite drehen, konnte ich mich nirgends auch nur einen Millimeter mehr bewegen. Sogar meine rechte Gesichtshälfte war gelähmt.

Meine Lungenmuskulatur hatte auch keine Kraft mehr und ich musste 6 Wochen lang auf der Intensivstation (hier in Spanien UVI, Unidad-Vigilando-Intensivo genannt) künstlich beatmet werden. Ich bekam Morphium in hohen Dosen gegen die abartigen Nerven-Schmerzen. Vergleichbar vielleicht mit denen einer Zahnwurzel-Entzündung, nur im ganzen Körper !
Ich konnte nicht einmal mehr sprechen, nur noch mit dem Mund lispeln, weil ich durch einen Schlauch an meinem Hals beatmet wurde und so mein Kehlkopf keine Luft mehr bekam (Luftröhrenschnitt). Die Meisten konnten mich dadurch kaum verstehen. Ich war einfach nur ein Kopf mit einem hilflosen Klumpen Fleisch dran, das bei jeder Berührung auch noch höllisch weh tat. Ich war in meinem Leben nie ernsthaft krank, oder gar in einem Krankenhaus gewesen. Doch da lag ich nun, umgeben von piepsenden Maschinen, die mich am Leben hielten.
Ich kann mich an die ersten 2 Wochen auf der UVI nur schwach erinnern, weil ich so viel Schlaf- und Schmerzmittel bekam. Doch zu diesem Zeitpunkt wusste ich bereits, dass all dies schon bald wieder vorbei gehen würde. Denn Claudia versuchte mir, in meinen wenigen klaren Augenblicken zu erklären, was mit mir los war, und dass ich wieder ganz Gesund werden würde. Dem Himmel sei Dank, denn ansonsten wäre das Ganze wirklich ein richtig schlimmer Horrortrip geworden.


Meine Nahtoderfahrung:

Ich kam in dieser Zeit dem Tod auch einmal so nahe, dass ich die Gelegenheit hatte, einen kleinen Ausschnitt aus meiner eigenen Zukunft wie in einem Kurzfilm zu sehen. Ich war kurz, aber sehr bewusst in anderen Dimensionen in der ich der Zeitlosigkeit viel näher war als der Zeit, wie wir sie normalerweise erleben können. Es kam mir dort alles viel realer vor als alles andere zuvor. Es war wie ein Erwachen aus einem langen Traum, den ich für die Wirklichkeit gehalten hatte. Oder wie ein tiefes Erinnern, vielleicht so, wie wenn man an einen Ort aus seiner frühen Kindheit zurückkehrt.
Diese Erfahrung begann so:
Ich konnte meinen Unterleib wegen starker Schmerzen in den Hüften nicht mehr spüren und ich hyperventilierte deswegen schon eine ganze Weile. Alle Versuche der Nachtschwester meine Beine in eine angenehmere Position zu bringen waren erfolglos. Ich war sehr verzweifelt und unsicher, wie es nur mit meinem Leben weitergehen sollte. Ich hatte Angst, dass ich vielleicht den Rest meines Lebens stark behindert sein würde, oder sogar als ewiger Pflegefall dahin siechen müsste. 

 
Vermutlich kommt jeder Mensch am Ende seines Lebens an einen Punkt, an dem er sich dem Tod endgültig stellen muss. Dieser Moment erfordert sehr viel Mut, denn wir spüren vielleicht dabei dass dies nicht wieder rückgängig gemacht werden kann. Es ist unsere letzte große Entscheidung die wir zu treffen haben, ob wir uns dem Tod stellen oder uns nur winselnd davor drücken wollen. Doch bleibt uns in diesem Moment meistens nicht viel anderes übrig. Jedoch die Haltung die wir vor diesem großen Unbekanntem einnehmen finde ich sehr entschiedend. Ich war bereit zu gehen, ich wollte es wissen, und ich hatte plötzlich keine Angst mehr davor.
 
Alle Alarmsignale meiner Überlebensmaschinen piepsten schon seit einer Weile wie verrückt und ich fragte mich ernsthaft, ob ich jetzt vielleicht einfach sterben würde ? Doch dieser Gedanke beunruhigte mich kaum noch, sollte ich etwa so weiter machen, verzweifelt nach mehr Luft kämpfen, um diesen Schmerz ertragen zu können ? Irgendwie hatte ich genug davon. Etwas in mir wollte jetzt vielleicht einfach sterben, denn ich machte dann einfach weiter mit dem Hyperventilieren.

Mein Bewusstsein machte dann plötzlich einen großen Sprung, es dehnte sich auf den ganzen Raum aus in dem ich lag, und ich konnte alles um mich herum wahrnehmen ohne dabei wirklich hinzusehen. Ich wusste, welche Krankenschwestern und Ärzte gerade um mich herum waren, obwohl ich meine Augen geschlossen hatte. Ich hatte sogar das Gefühl, nur im Geiste mit ihnen Kontakt aufnehmen zu können, ohne dabei zu sprechen.
Ich wusste, dass meine zuständige Krankenschwester große Angst um mich hatte. Sie war sehr besorgt über meinen Zustand. Einmal hörte ich sie ganz laut und verzweifelt meinen Namen sagen und ich versuchte sie im Geiste zu beruhigen. Ich hatte keine Angst. Ich wusste, ich war vielleicht auf dem Weg in den Tod, aber selbst wenn, es war mir egal. Ich wollte wissen, wohin es mich bringen würde. Ja, und irgendwie war ich auch einfach neugierig darauf, was da jetzt kommen würde. Und was hatte ich jetzt auch schon zu verlieren.
Ich fühlte mich ein wenig wie als Kind, wie ein trotziger kleiner Junge, der nicht das tat was er tun sollte. Und doch fühlte ich mich irgendwie im Recht. Es war alleine meine Entscheidung was ich jetzt tun wollte. Jeder sollte das Recht haben frei zu entscheiden, ob er weiterleben möchte oder nicht. Und vielleicht war das hier jetzt meine einzige Chance noch auszusteigen, denn schon bald könnte ich nichtmal mehr dazu die Kraft haben. Ich atmete also weiter gegen die Maschinen, so stark ich nur konnte.
Ich gab alles was ich noch in mir hatte, immer weiter und weiter und weiter....

Dann schwebte ich auf ein Mal immer höher und war bald schon etwa 1000 km über der Erde und kreiste dabei mit meinem Körper in einer Art Geburtsstellung um eine Achse. Dort verließ ich dann sogar meinen Körper und betrachtete mich dabei von noch weiter oben. Ich war hier diesem grenzenlosem, leerem Weltall so nahe.
Ich staunte über den Anblick dieses gigantischen Planeten unter mir, und es ergriff mich eine tiefe Ehrfurcht, weil mir deutlich wurde, dass diese Erde auch nur ein winzig kleiner Ort in diesem Universum ist. Diese Leere und Grenzenlosigkeit schien mir Überwältigend. Ich fühlte mich wirklich kleiner als klein, ein winziges Tüpfelchen Seele, allein in dieser Unermesslichkeit des Weltraumes. Aber ich war nicht alleine hier, ich fühlte mich begleitet, ja sogar geführt und doch war hier niemand außer mir zu sehen.

Dann sah ich genauer in diese schwarze Leere hinein und mein Blick wurde dabei schärfer und klarer. Es erschien mir dann alles so unermesslich bunt und reich. Ich konnte darin all diese Informationen erkennen, die mir ganz dicht zusammen gepackt wie eine Chronik der ganzen Welt vorkamen. Der Weltraum war gar nicht leer, im Gegenteil, er war übervoll. Ich hatte das Gefühl als könnte man es nur mit einem sehr scharfen Messer schneiden. Alles hier schimmerte wie viele kleine Lichtpünktchen in einem soliden Granitstein, in allen möglichen Farben.
Oder vielleicht auch so, wie all die Informationen, die auf einer DVD gebrannt sind.

Einige diese Lichtpünktchen schienen wie auf magische Weise miteinander verbunden zu sein. Man brauchte nur einen Anfangspunkt anvisieren und konnte so einem Strang dieser Punkte folgen. So konnte man dann die Informationen wie in einem Film im Bewusstsein sehen.

Alles war hier gleichzeitig enthalten. Die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft aller Wesen. Und was mich vor allem sehr erstaunte, sogar alle möglichen Parallelwelten aller Wesen, also alle Lebenswege, die jedes Wesen je hätte einschlagen können ! Nichts schien mir dabei vorherbestimmt zu sein, denn all die möglichen Wege und Entscheidungen waren einfach unermesslich viele.

Ich konnte mich dann an einem Punkt entscheiden, ob ich mich in diesen Ozean der Zeitlosigkeit auflösen wollte, oder wieder ins Leben und in die Zeit zurück kehre. Ich wollte an diesem Punkt dann gerne wissen wie mein Leben mit dieser schlimmen Krankheit aussehen würde und mir wurde ein kurzer Einblick in meine eigene Zukunft erlaubt: Ich sah mich mit meinen Kindern in der Nähe unseres Holzhauses die staubige Piste hochlaufen. Es war ein warmer, sonniger Tag mit einem makellos tiefblauen Himmel. Ich konnte einigermaßen gut laufen, und ich war sehr glücklich und zufrieden. Ich dachte nur ganz spontan: Ja ok das nehm ich.

Ich vernahm dann auch noch so etwas wie eine Stimme, die mich sehr an meine eigene innere Stimme erinnerte. Sie sagte mir, dass ich wegen meiner Krankheit ein paar Monate früher sterben würde als sonst. Aber auch das erschien mir nicht wirklich ein Grund zu sein, jetzt hier oben zu bleiben.
Und doch war alles sehr gemütlich und nett hier. Der Tod ist durchaus bequem im Vergleich zu unserem Leben auf der Erde.
Wer weiß, hätte ich nicht gespürt, dass viele von euch mich so gerne wieder zurück haben wollen, wär ich vielleicht wirklich einfach dort geblieben. Ja es war vermutlich echt knapp, aber ich entschied mich ganz spontan wieder für das Leben.
Ich wachte dann einige Augenblicke später einfach wieder auf, wie aus einem langen Traum, als mich mein mürrischer Narkosearzt lautstark anschrie und schüttelte, ich solle mich gefälligst zusammenreißen und endlich wieder ruhiger Atmen.
Am nächsten Morgen stand er ganz verblüfft vor dem Bildschirm meiner Beatmungs- Maschine. Als er meine Werte kontrollierte, murmelte er so vor sich hin und sagte dann wie zu sich selbst: Wieso nur regenerierst du dich so schnell ?
Das viele Hyperventilieren war wohl ein sehr gutes Training für meine schwache Lungenmuskulatur gewesen.


Impressionen aus dem Jenseits:


Dort oben zu sein war ein bischen so, als wenn du mit deinen Eltern an einen Ort aus deiner frühen Kindheit zurückkehrst, an dem du vielleicht mal ein paar Jahre verbracht hattest. Zuerst erinnerst du dich an nichts, und wenn du dich dann ein wenig umschaust, zieht dich irgend etwas an, und du erkennst, dass es ganz tief in dir drinnen ein Teil von dir ist. Etwas in dir erinnert sich dann an diesen Ort, und du freust dich einfach wieder dort zu sein.
Dort in der Zeitlosigkeit kam mir alles wie ein weiter, leerer Ozean vor. Es beschäftigten mich keinerlei Ängste mehr. Nichts, nur abwartende Gleichgültigkeit ohne jede Emotion. Alles erschien mir von hier aus irgendwie bedeutungslos und belanglos zu sein. Nichts kann dort je verloren gehen, und doch ist nichts davon mehr, als der Tropfen, der ins Meer zurück fällt.

Mir wurde später dadurch klar, dass Bedeutung nur durch Grenzen, die wir selbst ziehen erst entsteht: Gut und schlecht, schön und hässlich, innen und außen, ich und du, usw.
In der Zeitlosigkeit gibt es all diese Grenzen einfach nicht. Dadurch bekommt alles den gleichen Geschmack. Nichts ist wichtiger oder wertvoller, als etwas anderes. Kein Lebensweg ist dort besser oder schlechter. Dort ist alles nur, wie es ist, ganz neutral, ohne jede Bewertung. Es ist sicher schwer, sich das vorzustellen, doch wenn man es einmal gespürt hat, bleibt es einem für immer in Erinnerung.

Es war ein Ort an dem es absolut kein Zeitgefühl mehr gab. Es kam mir vor als wär ich schon immer hier gewesen, und als würde ich für immer hier sein. Ein einziger Moment kann einem hier wie ein ganzen Leben vorkommen, oder viele Leben wie ein einziger Moment. Erst jetzt verstehe ich wirklich die volle Bedeutung dessen wenn man beim sterben sagt: „Er hat das Zeitliche gesegnet“.

Die Erde erschien mir von dort aus wie eine Zeitfalle inmitten dieser unendlichen Leere und Fülle der Zeitlosigkeit. Denn hier auf der Erde haben wir eigentlich nur die Gegenwart. Vergangenheit und Zukunft sind für uns hier nicht wirklich mehr erreichbar.
Aber auch nur hier auf der Erde haben wir unsere Sinne die uns all diese wunderschönen Erlebnisse und Emotionen bescheren können. Gefühle wie Liebe, Glückseligkeit, Lust, Licht und Farben, Wind und Wasser auf unserer Haut, all diese Düfte und der Geschmack von leckerem Essen, der Anblick all der Vielfalt dieses wunderschönen Planeten mit all seinen wunderbaren Geschöpfen......
Diese Erfahrung dauerte vielleicht nur etwa 10 Minuten, doch sie wird mein zweites Leben, das ich nun hier beginne, immer begleiten und mich ermahnen, all diese weltlichen Geschenke viel dankbarer und bewusster wahrzunehmen.
Was für ein kostbares Geschenk !!!
Jeder Tag ! Jeder Augenblick !

Tot sein können wir immer noch eine halbe Ewigkeit lang. Aber nur jetzt sind wir hier lebendig auf der Erde, nur jetzt gilt unser Ticket in dieser einzigartigen, wunderbaren Zeitfalle, wonach sich sicherlich so viele Seelen verzehren, die auch so gerne hier her kommen möchten. Es ist vermutlich eines der größten Geschenke des Universums, oder vielleicht die größte Attraktion des Kosmos.
Mir wurde mal wieder bewusst, dass ich hier auf der Erde nur ein Gast bin, ein Zeitreisender, und wir alle sind wirklich nur eine sehr sehr kurze Zeit hier, denn die Tage und Jahre vergehen so schnell. Und verglichen mit der Ewigkeit. werde auch ich mich schon ganz bald wieder von hier verabschieden müssen.

Bis heute sind die dominantesten Gefühle, die mir aus dieser Erfahrung zurück geblieben sind: Die Liebe und das Glück. Natürlich war ich überglücklich wieder bei den Menschen sein zu dürfen die ich liebe.
Liebe ist ohne Zweifel die Basis von allem. Und ich meine hier nicht irgend eine abstrakte oder reifere Form der Liebe. Diese Liebe fühlt sich so gewöhnlich an wie jede Liebe die wir zu unseren Mitmenschen oder auch zu Dingen oder Sittuationen haben können.
In ihrer reinsten Form ist sie nicht eifersüchtig oder egoistisch, sondern bedingungslos. Ich spürte dort eine allumfassendere Liebe, eine Liebe die einfach alles durchdringt. Ich weiß nun auch, das jedes Wesen für immer zutiefst geliebt und geschätzt wird, niemand hat wirklich etwas zu befürchten, oder kann irgend etwas falsch machen.
Und jeder, der diese allumfassende göttliche Liebe in sich auch nur ein einziges Mal gespürt hat weiß, dass sich das ganzes Leben bis zu diesem Zeitpunkt gelohnt hat. Sie ist die Realität der Realitäten, die unbegreiflich herrliche Wahrheit der Wahrheiten, die im Kern von allem, was existiert oder je existieren wird, lebt und atmet. Und niemand der sie nicht kennt, kann auch nur ein annähernd exaktes Verständnis davon erlangen, wer oder was wir sind.
Vielleicht hatte auch die Tatsache etwas mit diesem wilden Glück in mir zu tun, dass ich zum ersten Mal verstand, wer ich wirklich bin und in was für einer Welt wir leben.

Die Stimmung dieser „anderen“, zeitlosen Welt blieb noch lange in mir präsent. Dort war ich wie losgelöst von persönlichen Anhaftungen. Ich machte mir keine Sorgen mehr um weltliche Dinge. Es gab keine Orte, die ich vermisste, oder Menschen um die ich hätte trauern können. Ich war eine Seele, die nichts mehr zu verlieren hatte. Ich bin aus dem Nirgendwo gekommen und ich war ein Niemand, und ich hatte auch keine persönliche Geschichte mehr. So akzeptierte ich auch meine Umstände ganz uneingeschränkt und völlig gelassen.
Zum ersten Mal in meinem Leben war ich besänftigt, nicht zufrieden oder glücklich, aber besänftigt. Es war, als hätte eine große Hand die Uhr in meinem Kopf still stehen lassen. Eine Uhr die sonst immerzu vor sich hin getickt hatte, und die mir nie diese innere Ruhe ließ, die ich jetzt dort verspüren durfte, fast völlig gelähmt in meinem Krankenhausbett auf der UVI in meiner Lieblings-Stadt Granada, aber all das spielte überhaupt keine Rolle mehr.
Es war, als hätte die Ewigkeit angefangen in mir Wurzeln zu schlagen, und mit meinem Hirn seine eigenen ewigen Gedanken zu denken. Vor meiner Erkrankung war es mit mir noch nicht so weit gekommen, die Grenzen waren noch streng gezogen. Viel zu oft noch, verwirrten sich meine Gedanken.
Aber auch jetzt fiel es mir oft schwer, mein früheres und mein jetziges Ich auseinander zu halten. Mein neues Ich, von dem ich nicht sicher bin, dass es nicht langsam von einem größeren Wir aufgesogen wird.

Schon vor vielen Jahren bahnte sich diese Verwandlung in mir an. Aber nun war es mir faßt unmöglich geworden, in dieser summenden und piepsenden “Stille” der UVI, unter all den Menschen in diesem Krankenhaus, mich wie ein einzelnes abgesonderdertes Ich zu fühlen. Ein kleines, blindes, eigensinniges Leben, dass sich nicht einfügen will, in die große Gemeinschaft !? Einmal war es mein ganzer Stolz gewesen, ein solches Leben zu sein. Aber jetzt schien es mir plötzlich sehr armselig und lächerlich. Ein aufgeblasenes Nichts. Wer war ich denn, wenn nicht eines von vielen Augen Gottes. Wir alle sind doch des gleichen Ursprungs.

Und ich erkannte auch, dass nur durch unsere Sterblichkeit hier alles eine tiefere Bedeutung bekommt. Vor allem auch mit all den lieben Menschen die uns hier umgeben. Ganz besonders diejenigen, mit denen wir in liebevollem Austausch sind.
Die bedingungslose Liebe und Akzeptanz, die ich auf meiner Reise in diese andere Dimension erlebte, ist die wichtigste Entdeckung, die ich je gemacht habe.

An einem Ort ohne Zeit werden alle Ereignisse und alle Getrenntheit völlig unbedeutend. Denn sie sind vielleicht nur das Salz in der Suppe. Mir wurde klar, dass es in unserer Welt der schier endlosen Vielfalt nur darum geht irgend etwas davon gern zu haben. Die Vielfalt offeriert sich uns, sie bietet sich uns an um irgend etwas davon auszuwählen. Wir können die Dinge lieben die wir besitzen oder die wir sehen. Wir lieben Musik die uns verzaubert, oder auch bestimmte Ereignisse im Leben.... aber vor allem doch können wir Individuen lieben, unsere Mitmenschen oder auch Tiere, die unseren Weg ein Stück weit begleiten.

Es geht vielleicht wirklich nur darum, dass wir etwas finden was wir überaus gern haben können. Denn wir sind buchstäblich im Glück, wenn wir lieben können. Wir lieben unsere Kinder, unseren Partner, Familie und Freunde, unser Zuhause, unsere “Spielsachen”, unsere Gesundheit, unser Leben.... und die Art wie wir es zu leben vermögen.
Zugegeben geliebt zu werden erleichtert es uns manchmal selber auch lieben zu können, aber darum geht es im Grunde gar nicht. Es geht nur um unser eigenes Gefühl der Zuneigung, das sich mit dem von anderen anderen addiert und manchmal, bei Gegenseitigkeit, auch multipliziert.

Diese Welt ist nur dafür geschaffen worden, um das Gefühl der Liebe so effektiv wie möglich zu vervielfältigen. Wie in einem Gemüsegarten wird auf diesem Planeten Liebe angebaut. Wenn wir alles lieben könnten, auch das Unangenehme und unsere Feinde, dann wären wir vollständig realisiert, dann wären wir wahrlich erleuchtet. Es ist doch das wonach so viele Suchende im Grunde suchen. 
 
Wären da nicht die Ungerechtigkeit, die Gemeinheit und der Hass, dann wär das Paradies schon längst hier auf diesem Planeten vollendet. Sie sind das Ungeziefer und das Unkraut in Gottes Garten, welche die Liebe vielleicht eindämmen, aber doch niemals besiegen können. Denn die Liebe ist immer stärker, und sie kommt spannender Weise eben genau da ganz leuchtend zum Vorschein, wo auch die meisten ihrer Schädlinge sind. Dort wo die Menschen leiden, erbarmen sich andere Menschen und beginnen ihnen zu helfen.

Wir Menschen haben die überaus schlechte Angewohnheit, das wärmende Feuer der Liebe leicht wieder zu vergessen, wenn wir darin baden. Wir gewöhnen uns daran und vergessen unsere Kinder und unseren Partner zu lieben, wenn wir es als etwas Selbstverständliches betrachten. Erst wenn es uns genommen wird, erkennen wir den immensen Verlust. Wir betrachten auch die Liebe zu unseren Besitztümern als selbstverständlich, weil wir uns ihrer Sicher glauben, aber auch nur solange bis uns diese eines Tages wieder genommen werden. Oder wir vergessen sehr schnell wie überaus kostbar unsere Gesundheit ist, bis wir einmal krank werden und Schmerzen erleiden. Und wir vergessen immer wieder das Leben gebührend zu feiern, weil wir uns schon so sehr daran gewöhnt haben, und es gar nicht wahr haben wollen, dass es so endlich und so kurz ist. Dabei schweben wir hier doch eigentlich alle zu jeder Zeit in größter Lebensgefahr !

Das Leben ist der absolute Außnahmezustand, und die Liebe in unseren Herzen ist das allergrößte Geschenk dabei. Denn die Liebe ist die Kraft die uns lebendig hält, und die unsere Spezies vermehrt und fortpflanzt. Ohne die Liebe vermehren wir uns nicht. Ohne Liebe sterben wir bei lebendigen Leib. Ohne Liebe wäre unser Leben einfach nur wertlos und leer.
Und nichts wird uns einmal bleiben, wenn wir eines Tages “das Zeitliche segnen” werden, außer all der Liebe die wir jemals liebten. Denn nur die Liebe entstammt aus dieser zeitlosen Welt und wird dort auch für immer bestehen bleiben. Sie ist das Einzige was uns einmal noch bleiben wird, in unserer “jüngsten Stunde”. Wir können nichts anders mitnehmen als all unsere Liebe. Und wer das erst dann erkennt, wenn es einmal soweit ist, dem wird sein Leben als vergeudet und verloren erscheinen müssen.

Vielleicht ist die Liebe ja das einzig wirklich Zeitlose hier auf Erden, und damit unsere einzige Brücke zur letztendlichen zeitlosen Realität. Ich denke, sie ist vermutlich das Wichtigste und das Schönste, zu dem wir Menschen imstande sind.

Und ich kann allen jetzt nur immer wieder sagen: Hey, genießt das Leben. Es ist soooo wunderbar !!!

Diese positive Grundstimmung über das Leben hat mich nach diesem Nahtod- Erlebnis die ganze Zeit begleitet. Ich war danach eigentlich immer gut drauf, war einfach nur froh und zutiefst dankbar, noch lebendig zu sein und hatte einfach nur Spaß am Leben, auch wenn ich völlig gelähmt war. Ich hatte einfach mein Schicksal angenommen, nichts in mir wehrte sich mehr dagegen. Es war eben wie es war, und ich würde schon wieder da herauskommen. Denn ich wusste ja, nichts bleibt wie es ist, und alles verändert sich immerzu.


Das Foto hier zeigt mich am ersten Tag, an dem ich wieder aus eigener Kraft atmen konnte und ich endlich von der Lungenmaschine befreit wurde.

Ich weinte in dieser Zeit sehr oft, war ganz schnell tief gerührt wegen klitzekleiner Begebenheiten, z.B. ein Stückchen tiefgründiger Text in einem schönen Lied das ich irgendwo hörte. Ein tiefer, wissender, liebevoller Blick von jemandem der vorbeikam. Eine schöne Erinnerung oder ein Gedanke an jemand, den ich sehr mochte. Oder einfach, weil die Putzfrau heute gute Laune hatte und bei ihrer Arbeit ganz gemütlich und wunderschön vor sich hin summte.

Es machte mir seltsamer Weise nicht so viel aus, dass ich vollkommen hilflos war. Auch wenn es für mich, als alten Kontroll- Freak und Selbermacher, wirklich keine leichte Übung scheint. Im Gegenteil, ich war von mir selbst überrascht, dass ich all diese Hilfe so gerne und zutiefst dankbar annehmen konnte.
Ich gebe aber zu, ich habe manchmal durch rumjammern und Theaterspielen versucht, Situationen zu kontrollieren, die mir unangenehm waren. Vor allem in der Anfangszeit, als ich noch viele Schmerzen hatte und ganz oft meine Liegeposition verändert haben wollte und später dann auch beim Sitzen lernen. Manchmal war es wie ein kleiner Machtkampf um Hilfe oder Aufmerksamkeit, und oft wurde ich dabei von den sehr erfahrenen Krankenschwestern schnell durchschaut.

Die ganze Zeit über begleitete mich die wunderschöne und außergewöhnliche Musik von Johanna Kunin. Ich hörte eigentlich nichts anderes. Sie war wie die warme Hand eines guten Freundes, die mich durch die Dunkelheit der vielen einsamen Nächte begleitete. Wenn ich sie gerade nicht auf meinem MP3 Player hörte, spielte sie in meinem Kopf weiter wie ein Ohrwurm und ich verstand und liebte ihre tiefgründigen, spirituellen Texte, täglich ein wenig mehr. Sie hat mir so unglaublich viel menschliche Wärme und Mut und Hoffnung gegeben mit ihrer eigenwilligen, sanften und gleichzeitig so kraftvollen Musik. Ich bin ihr zutiefst dankbar und ich wünschte ich könnte ihr eines Tages mal ins Gesicht sagen, was für ein unglaubliches Genie sie ist. Denn vielleicht bin ich nur durch sie so erstaunlich schnell wieder gesund geworden. 

 
Einige Morfium-Träume:

Ich erinnere mich noch an ein paar lustige und schreckliche Erlebnisse, die wohl sehr stark vom vielen Morphium geprägt waren. Oft war ich so high davon, dass ich einen trockenen Mund hatte und meine Zunge sich halb taub anfühlte.
Auch bekam ich oft Muskelzuckungen und hatte deswegen Nachts manchmal Angst, aus dem Bett zu fallen, denn oft schwebte ich mit meinem Krankenbett etwa 100 Meter hoch über den Lichtern der Stadt.

Ich war in einem Universitäts- Krankenhaus in Granada und einmal kam eine Ärztin mit zwei Auszubildenden zu mir, um ihnen zu zeigen, wie man die Zahnpflege bei gelähmten Patienten macht. Sie erklärte ihnen ausführlich die zwei verschieden bunten Flüssigkeiten, die sehr übel zu riechen schienen, denn alle verzogen ihr Gesicht als sie daran schnupperten. Ein Lehrling wollte sich zuerst weigern das Zeug bei mir anzuwenden, er sagte es wäre doch sowas wie Benzin und gewiss nicht gesund, wenn ich es schlucken würde. Ich bekam langsam höllische Angst und es kam mir bald vor, als wär ich dummerweise in einer Art Folteranstalt geraten, in der Hexen ihr Unwesen treiben. Die Ärztin spritzte mir dann eine riesen Ladung von dem Zeug in den Mund und saugte es unter schrecklichem Getöse mit einem Schlauch wieder ab. Es schmeckte widerlich. Aber ich schaffte es gerade noch, so lange die Luft anzuhalten, dass ich nicht viel davon verschluckte.
Dann sollte ein Lehrling mit einem kleinen Schwamm und der anderen Flüssigkeit meinen Mund reinigen. Er entschuldigte sich zuerst bei mir, dass ich nun sein Versuchskanninchen sei, und versprach mir dabei so vorsichtig zu sein wie er könnte. Er gab sich wirklich Mühe und es war gar nicht so schlimm, wie ich dachte. Ich lächelte ihn dankbar an und nickte ihm freundlich zu. Ich war so froh, wenigstens einen gutgesinnten, mitfühlenden Menschen hier unter all diesen vermeintlichen Hexen zu haben.....

Einmal steigerte sich mein Misstrauen dermaßen, dass ich dachte ich sei gar nicht mehr in einem Krankenhaus, sondern in einer privaten Pflege- Klitsche in der gerade ein Streit unter den Krankenpflegern ausgebrochen war. Sie beschimpften sich übel untereinander und als eine nach der anderen verschwand, kam mir der Gedanke, als wär der ganze Laden womöglich illegal und die Polizei sei ihnen vielleicht schon auf den Fersen.
Ich hatte richtig üble Gedanken, vielleicht war ich ja doch ein hoffnungsloser Fall und das Krankenhaus hatte mich einfach schon abgeschoben und ich würde vielleicht nie wieder gesund werden. Ich war total verzweifelt und am Ende.
Als ich dann draußen eine Polizeisirene hörte, war ich froh, dass der ganze Spuk hoffentlich bald vorbei sein würde und ich hoffentlich wieder in ein ordentliches Krankenhaus kommen würde. Ich hatte Angst, ich hoffte so sehr, dass Claudia und die Kinder da nicht mit hineingezogen würden. Vielleicht wurden sie ja sogar entführt, wieso sonst bekam ich denn gar keinen Besuch mehr ?
Doch die Männer die kamen, sahen dann gar nicht aus wie Polizisten. Waren es verdeckte Ermittler ? Ich war unsicher ob ich etwas unternehmen sollte, doch wie auch, ich konnte ja nicht einmal sprechen.
Ich hatte mich noch nie so hilflos gefühlt wie in diesen Momenten. Ich gab auf und schlief dann irgendwann einfach wieder ein und als ich später wieder aufwachte war Claudia mit meinen Eltern da.
Ich war so froh, sie zu sehen. Ich versuchte ihnen klar zu machen, dass die Bullen da waren und sie mich schnell hier raus holen müßten. Gott sei dank konnte Claudia mich dann wieder beruhigen und mir erklären, dass alles nur ein übler Traum gewesen war.

Aber ich hatte manchmal auch wirklich schöne Träume. Eimal war ich mit Claudia und unserem Wohnmobil-Truck im Urlaub am Cabo de Gata. Wir reisten zusammen mit einem anderen sehr netten jungen Pärchen, die auch so ein altes Wohnmobil hatten. Es war Sommer, wir hatten viel Spass zusammen, wir alle waren braungebrannt und vergnügten uns dort an den wunderschönen Stränden. Als ich davon erwachte konnte ich es erst kaum glauben, dass ich in Wirklichkeit gelähmt und im Krankenhaus, und es auch noch Winter war. Draußen regnete es in Strömen. Wie gerne wär ich noch etwas länger in meinem Traum geblieben....

Ich hatte auch ein sehr lustiges Morphium- Traum Erlebnis. Ich hörte, dass ich Besuch bekam von Armin und Jessi. Doch sie kamen nicht in mein Zimmer, sondern redeten mit den Krankenschwestern im Vorraum. Sie alle hatten wohl sehr viel Spaß, denn oft konnte ich ihr Lachen hören. Ich war irgendwie ein wenig eifersüchtig. Doch dann kamen sie doch noch zu mir, aber sie waren auch in grüne Krankenhaus- Kittel verkleidet und stellten mir nur allerhand altes Krankenhaus- Gerümpel in mein Zimmer. Ein altes verstaubtes Ultraschallgerät und diverse rostige Infusions-Ständer. Ich amüsierte mich sehr, weil ich dachte, dass Armin und Jessi die Sachen irgendwo auf dem Müll gefunden hatten, und sich einen ihrer wilden Streiche dazu ausgedacht hatten. Doch dass sie gar nicht zu mir kamen, machte mich schon etwas traurig. Aber klar, dachte ich, sie waren ja verkleidet und taten so, als kannten sie mich gar nicht....
Erst ganz am Ende der Besuchszeit kam dann Jessi noch mal kurz zu mir in Zivilkleidern. Ich sagte ihr: “Wie schön, dass du noch zu mir kommst...” doch sie konnte mich nicht verstehen und ging auch gleich wieder weg. Dann hörte ich draussen einen großen LKW und ich dachte sie seien jetzt wieder weg gefahren. Später diskutierten die Krankenschwestern, was sie jetzt mit all dem Zeug machen sollten und schienen sehr ratlos darüber. Sie bestellten erst mal eine Putzfrau. Doch irgendwann wurde dann Gott sei Dank doch alles wieder rausgeschafft aus meinem Zimmer.
Ich hab diese Geschichte später Armin und Jessi erzählt und sie haben sich kringelig gelacht. Nichts davon war wahr, ich hatte mir alles nur ausgedacht.

Aber so ist das eben auf Morphium, alles kommt einem völlig real vor, auch wenn es noch so absurd ist. Sehr oft wunderte ich mich z.B. dass die Krankenschwestern manchmal alle perfekt bayrisch oder schwäbisch redeten, und dann doch plötzlich wieder spanisch. Ich verstand manchmal einfach gar nix, oder nur wirre Satzfetzen ohne einen Zusammenhang.
Und sehr oft schielten meine Augen und mein Gehirn bastelte die beiden Bilder trotzdem zu einem Bild. So entstanden die komischsten und verwirrendsten Bilder, wie z.B. ein Blumentopf der auf einem Stuhl saß und ganz lange in ein Labtop starrte.... Oft fühlte ich mich einfach nur kaputt und lebensunfähig.


Der Abschied von der Intensiv- Station:


Mein neues Leben begann also auf der UVI des Krankenhauses „San Cecilia“ in Granada. Und wie jede Intensiv- Station ist sie in vieler Hinsicht der Ort, der wohl am meisten über Leben und Tod entscheidet. Ich sah hier viele Patienten kommen und gehen und manchmal bekam ich es auch mit, wenn einer starb.
In der Regel wurden die Menschen hier nach einem Unfall nur wieder zusammengeflickt und sie blieben nur für einige Stunden oder Tage, bis sie außer Todesgefahr waren um dann in andere Stationen verlegt zu werden.

Nur ich und ein halb toter Mann im Bett schräg gegenüber blieben hier für viele viele Wochen. Zu Beginn vernahm ich von ihm auch noch gewisse Lebenszeichen, hier und da ein Röcheln, ein Hüsteln, oder auch nur mal ein unregelmäßiges Piepsen seiner Überlebensmaschinen. Doch bald schon erschien er mir nur noch wie ein Toter, der hier künstlich am Leben erhalten wurde. War seine Seele etwa schon gegangen ? Seine Familie stand immer nur völlig ratlos vor seinem Bett herum, aber keiner hier schien sich zu trauen einfach mal den Stecker zu ziehen. Das ging so für viele Wochen.
Eines Tages dann, wurde der Körper des Mannes gründlich gewaschen und mit einer stinkenden Flüssigkeit eingeölt, und sein Bett wurde kunstvoll und aufwendig mit allerlei religiös anmutenden Dingen geschmückt. Ich dachte mir dabei, so sieht also der moderne Tod in Spanien aus, eine lustig absurde Mischung von alten katholischen Traditionen, andalusischer Magie und modernster Krankenhaus- Technik. All das vermutlich nur, um den Angehörigen den Abschied leichter zu machen.
Nach dieser Zaubervorstellung, bei der zuerst die gesamte Verwandtschaft ganz ehrfürchtig vor seinem Bett stand, wurde etwas später dann, klammheimlich von einer Schwester ohne jeden weiteren Zeugen, der Tod herbeigeführt. Alle Stecker wurden gezogen, alle Kabel abgeklemmt, alle Schläuche gekappt. Der Körper wurde in weiße Laken gehüllt und später von zwei Männern in schwarzen Kleidern auf einer kleinen Bare davongefahren. Alles hatte dann plötzlich gar nichts magisches mehr. Die Putzfrau kam gleich danach um sein Bett gründlich zu reinigen, und ein paar Stunden Später lag schon ein neuer Patient darin, an der selben Stelle.

Ja, es gab hier manchmal recht absurde Dinge zu sehen. Einmal starb ein kleiner Junge an den Folgen eines Autounfalls. Die Mutter weinte so heftig, dass sie schnell aus der Station gebracht wurde. Seine Oma wollte dann neben seinem Bett eine riesige Petroleumlampe anzünden, wohl um seine Seele in den Himmel zu geleiten. Doch das gab natürlich richtig Ärger, als die Krankenschwestern das entdeckten. Die alte Frau wurde auch gebeten zu gehen. Sie war sehr verzweifelt und bat, dann wenigstens eine Haarlocke von dem Jungen abschneiden zu dürfen, um Zuhause mit ihr besser für ihn beten zu können, was ihr dann noch gewährt wurde.

Nach über 7 Wochen auf der Intensiv- Station fühlte ich mich dort schon wie Daheim. Sie war mein erstes neues Zuhause in meinem neuen Leben. Und wie damals als kleiner Junge bei meiner Mutter, wurde ich auch hier wie ein kleines hilfloses Baby, aller bestens versorgt und wirklich sehr intensiv beobachtet. Beinahe stündlich wurde mein Blutdruck und die Temperatur gemessen und notiert. Das Bündel all dieser Aufzeichnungen war schon ein dicker Packen Papier. Das Team dort war fantastisch, alle rannten den ganzen Tag fleißig von links nach rechts und von rechts nach links. Oft kam ich mir vor, wie ein Zuschauer bei einem Tennisturnier.
Ich kannte bald alle Ärzte und Krankenschwestern, ja sie wurden faßt ein bischen wie meine neue Familie. Ich mochte alle sehr gerne und fühlte mich auch sehr gemocht von allen. Alle kannten mich bis unter die Unterwäsche, sie hatten mich schon oft gewaschen, geputzt, gefüttert. Mit einigen führte ich sogar manchmal lange philosophische Gespräche über das Leben.

Es war wirklich hart für mich dieses neue Zuhause nach 8 langen Wochen wieder zu verlassen. Alle kamen, einer nach dem anderen, um sich ganz persönlich von mir zu verabschieden. Sie alle wünschten mir gute Gesundheit und gaben mir nützliche Tipps für meine weitere Genesung. Ich war so sehr berührt jedes Mal, dass ich faßt immer dabei weinen musste. Ich wurde dann für die nächsten Wochen in die Neurologie verlegt.

Meine Eltern halfen immer beim Umzug. Ich bekam ein Zimmer mit schöner Aussicht, Richtung Norden, auf einen Berg, wo ich einst meinen allerschönsten Gleitschirmflug absolvierte.
Ich hing noch am Tropf und bekam immernoch starke Schmerzmittel. Meine Beine schmerzten schrecklich, vor allem Nachts. Fast täglich kam Lola zu mir, meine Physio- Therapeutin, die Übungen mit mir machte. Mit ihrer Hilfe stand ich das erste Mal ganz kurz auf meinen unfassbar wackeligen Beinen.


In der Reha- Klinik:


In der ersten Dezemberwoche wurde dann schon ein Platz in der nahegelegenen Reha- Klinik „San Raffael“ für mich frei. Ich kam dort am ersten Tag in ein Durchgangszimmer, in dem außer mir noch ein sehr sehr alter Mann lag. Ich dachte mir noch, der machts bestimmt nicht mehr lange... Und tatsächlich, schon eine Stunde später machte er seinen letzten Atemzug. Er hatte nur noch damit gewartet bis seine Frau bei ihm eingetroffen war.

Ich war sehr gefasst darüber, es gruselte mich in keinster Weise mehr, denn ich wusste ja jetzt, wo er hingehen würde. Ich war eher froh für ihn, und fasst mehr traurig über seine Angehörigen, die wegen seinem Tod ganz außer sich vor Schmerz waren und deswegen die Heiligkeit dieses stillen, aber so wichtigen Moments dieses Mannes, gar nicht mehr würdigen konnten.

Die Reha- Klinik war super, ich bekam sogar ein helles Zimmer auf der Südseite des Gebäudes und hatte so zum ersten Mal wieder direkte Sonnenstrahlen in meinem Bett. Hier wehte ein ganz anderer Wind. Es gab hier sehr viele alte Leute, aber auch viele junge und gutgelaunte Krankenschwestern. Meine Eltern hatten sich 3 Wochen Zeit für mich genommen und verwöhnten mich nach Strich und Faden.
Körperlich war das schlimmste eigentlich das wieder sitzen lernen. Sie haben schon sehr früh damit angefangen. In der Intensivstation haben sie mich mit Hilfe eines kleinen Krans aus dem Bett in einen Sessel gehievt. Das erste Mal hatte ich noch große Mühe, nur meinen Kopf gerade zu halten. Ich hatte in meinem Hintern noch nicht so viel Gefühl, als dass ich dort Schmerzen empfinden konnte. Doch das änderte sich schon bald und es wurden meine allerschlimmsten Stunden. Lange Zeit konnte ich nicht länger als 1 bis 2 stunden. sitzen, dann tat mir alles weh. Das änderte sich erst hier in der Reha- Klinik, als ich dort eines Tages die 5 Stunden Marke geschafft hatte und ich dann endlich auch mit einem Rollstuhl rumfahren durfte und von meinem Vater dazu noch ein bequemes spezial Silikonkissen bekam, das ich bis heute noch gerne benutze wenn ich lange sitze.


Ich erfreute mich täglich über all die kleinen Dinge, die ich wieder erlernte. Jeden Tag eroberte ich mir ein Stückchen meiner Freiheit zurück. Ich weiß noch wie stolz ich auf mich war, als ich von meinem Rollstuhl aufs Klo rüber rutschen konnte und ich nicht mehr ins Bett kacken musste.
Oder wie ich das erste Mal im Rollstuhl sitzend wieder unter freiem Himmel in der warmen Sonne war und mir die Wolken und das Himmelsgewölbe so unfassbar riesig erschienen. Ich nahm alles viel viel intensiver wahr.

All meine Ärzte, Krankenschwestern und vor allem mein Physio-Therapeut machten sich immer große Sorgen um meinen Genesungs-Prozess weil ich Vegetarier bin. Alle sagten mir, dass ich doch niemals gesund werden würde, wenn ich kein Fleisch essen wollte. Wie sonst sollte ich all die benötigten Proteine für meinen Muskelaufbau bekommen. Einige waren sogar etwas sauer auf mich, denn sie fanden meine Einstellung kontra-produktiv für all ihre Bemühungen. Ich versuchte sie alle zu beruhigen indem ich ihnen erzählte, dass ich viele Nüsse essen würde, doch wirklich überzeugend war ich wohl nicht.

Aber ich blieb hart, schließlich bin ich schon seit 33 Jahren ein „eingefleischter“ Vegetarier und ich kannte all diese Sprüche und Beschuldigungen nur zu genüge.
Ich erinnere mich deswegen nur zu gut an das Gesicht meines Physio- Therapeuten, der mich gegen Ende einmal wirklich erstaunt fragte, wieso ich denn nur so sagenhaft schnell wieder auf die Beine kam, und ich ihm dann ins Gesicht sagte: Tja, ich bin eben Vegetarier... !

In der Rehaklinik traf ich auf viele ältere Patienten, die entweder einen Herzinfarkt hatten, oder sich mit Krebs konfrontiert sahen. Ich war immer so froh über meine Krankheit, denn ich hatte im Gegensatz zu den meisten hier, wirklich gute Heilungschancen. Ich erholte mich, im Vergleich, in einem rasenden Tempo. Viele waren wirklich neidisch auf mich, und mir blutete oft mein Herz, wenn sie mir dabei zusahen, wie ich „poco a poco“ wieder laufen lernte. Ich wusste, dass viele von ihnen vielleicht niemals wieder laufen würden, und froh sein mussten, wenn sie noch ein paar Jahre durchhalten würden.
Es gab hier sogar noch einen Patienten mit Guillain-Barre-Syndrom. Er war 6 Jahre jünger wie ich und schon ganze 7 Monate im Krankenhaus. Er konnte kaum sprechen und nicht mal im Ansatz laufen. Schon in den ersten Wochen überholte ich ihn mit meinen Fähigkeiten. Ich werde den Tag nie vergessen, wie er mir dabei zujubelte, als ich meine ersten Schritte ohne jegliche Hilfe schaffte, es war sein 42 Geburtstag. Ich weinte noch den ganzen Tag wegen ihm. Er tat mir so unendlich leid.

Über Silvester durfte ich für 4 Tage nach Hause. Das erste Mal seit 3 Monaten Krankenhausleben in der großen Stadt Granada. Es tat mir und unserer Familie sehr gut. Auch wenn mich all der Krach meiner Kinder noch sehr anstrengte, spürte ich auch von ihnen so viel Liebe. Sie wollten mich gar nicht mehr in die Reha-Klinik zurückgehen lassen.
Ich bewundere meine Frau Claudia so sehr, mit welcher Ausdauer und guter Energie sie den ganzen Laden schmeißt. Sie leistet echt ungeheuer viel. Vor allem mit unseren beiden Kleinkindern.

Dabei muss ich immer doppelt gut auf mich aufpassen, denn mein Innerstes will ihr natürlich dabei helfen so gut ich kann, doch ich darf meine eigenen Aufgaben jetzt nicht aus den Augen verlieren: Nach Innen schauen anstatt nach Außen, spüren was ich brauche und wie viel ich meinem Körper zumuten kann. Und natürlich viel Üben, Üben, Üben.... 

 
Wieder Zuhause:


Sie haben mich schon am 18. Januar 2013 nach genau 103 Tagen aus der Reha- Klinik entlassen. Ich konnte gerade mal eine Woche wieder laufen. Ich habe meinen Rollstuhl einfach dort in der Reha Klinik stehen lassen und bin nur mit einem Spazierstock dort raus gelaufen. Ich nehme seit dem auch keine Medikamente oder Schmerzmittel mehr.

Claudia kocht mir hier die ganze Zeit ein Lieblingsessen nach dem anderen. Mir schmeckt es immer und ich futtere unglaubliche Mengen. So werde ich die 10 Kg die ich in der Klinik verloren habe sicher sehr schnell wieder drauf haben. Jetzt habe ich nur noch 2 Mal die Woche ambulante Reha hier im “Centro de Salud” in Orgiva. Der Arzt hier und die Physio-Therapeutin sind auch super nett. Und einmal pro Woche kommt auch noch der Olli, ein sehr erfahrener Physio aus Deutschland, der auch hier lebt mit seiner Familie. Ich bin also in allerbesten Händen.

Ich habe schon wieder angefangen zu basteln, was mir sehr viel Spaß macht. Doch nach wie vor habe ich nur sehr wenig Gefühl in den Füßen, und das Laufen geht noch etwas wackelig. Meine Beine sind noch sehr steif. Nachts plagen mich oft Muskel- und Gelenkschmerzen in den Beinen und Armen, aber ich werte es als gutes Zeichen, denn es bedeutet ja auch, dass sie jetzt wieder lebendiger werden.


Ich traue mich sogar mit meinem Solar-Moped herum zu fahren, aber bisher nur ganz langsam und behutsam. So komme ich jetzt schon ganz alleine hoch ins Dorf zur Reha.


Ich spiele wieder ein wenig auf dem Klavier und auf der Gitarre und ich bastle auch schon wieder zusammen mit meinem Lehrling Milan. Es geht also weiterhin steil aufwärts. Seit neuestem kann ich auch schon wieder mit dem Auto fahren.


Ich habe auch schon meine Ärzte und Krankenschwestern in der Intensivstation auf der Neurologie und in der Reha besucht. Es war so rührend, alle haben sich so sehr über mich gefreut, als wäre ich ein guter alter Freund. Ich war der Liebling auf der Intensiv-Station sagten sie mir dort, und alle sind sich einig, ich habe wirklich richtig Glück gehabt, denn sie hatten auch schon andere Fälle mit dieser Krankheit, die sich nicht so schnell wieder aufgerappelt hatten wie ich.

Mitte April war ich noch einmal da. Ich durfte diesmal sogar kurz in die Intensiv-Station hinein und sah dort mein altes Bett (Nr.8) und diese geniale Lungenmaschine stehen, die mir mein Leben gerettet hatte. Übrigens ein Deutsches Fabrikat der Firma Dräger !

Danach ging ich dort einfach hinaus, setzte mich in mein Auto und fuhr ganz alleine für 3 Tage in Urlaub ans Cabo de Gata, jener Ort, von dem ich dort einmal so schön geträumt hatte. Ja so werden manche Träume wahr.

Es scheint mir als hätte sich die Zeit für mich umgekehrt. Zuerst war ich fast tot, lange Zeit Bettlägrig, dann im Rollstuhl, und dann verließ ich das Krankenhaus etwa wie ein 90 Jähriger am Krückstock. Bis heute fühle ich mich immer noch, ganz im Gegensatz zu vielen meiner Mitmenschen, jeden Tag ein wenig jünger, kräftiger und flexibler. Ich bin gespannt wann sich dieser Verjüngungs- Effekt wieder umkehrt und ich mich dann so fühle, als ob ich wieder älter werde.


Die Spätfolgen:

Jetzt sind mittlerweile schon 7 Monate seit dem Ausbruch der Krankheit vergangen. Die ambulante Reha im „Centro de Salud“ ist, wegen der vielen Patienten dort, schon beendet worden.
Ich bin seit 2 Wochen also offiziell rehabilitiert und nun ganz auf mich allein gestellt. Habe mir jetzt auch meine eigene Therapie Kombination zusammengestellt: Fußreflexzonen- Massage, kognitives Ergo- Training und möglichst viel Barfußlaufen.

Ich habe mittlerweile eine Lebensqualität erreicht, die mich jetzt schon immer öfter mal für ein paar Stunden meine Krankheit fasst vergessen lässt. Wenn ich mich z.B. auf meine Arbeit konzentriere oder vorm Computer sitze, bemerke ich meine körperlichen Beschwerden nicht mehr wirklich.
Das führte dazu, dass ich jetzt plötzlich sehr müde wurde mich weiterhin mit meinem Körper auseinanderzusetzen. All die Monate habe ich mich nur auf ihn konzentriert, habe jede Stunde mit ihm trainiert und geübt. Und nun bin ich auf einmal so müde davon, ich bin einfach Urlaubsreif von all dieser Körperarbeit.

Das Taubheitsgefühl in den Füßen wurde in kleinen, kaum spürbaren Etappen immer besser und ist mittlerweile etwa bei der 50% Marke angelangt. Der Fußheber ist nach wie vor ein wenig schlapp und die Beine nur noch ein wenig steif und geschwollen. Ich komme noch nicht runter in die Hocke, bei dem Versuch schmerzen stark die Knie. Meine Hände lassen sich immer noch nur unter Schmerzen zur Faust schließen und die Bewegungsfähigkeit meiner Schultern ist vor allem nach hinten hin sehr eingeschränkt. Des weiteren leide ich unter schneller Ermüdung und geringer Streßtoleranz.
Nach 250 Tagen, also etwas mehr als 8 Monaten sehe ich mich das erste Mal wirklich mit den Gedanken konfrontiert, dass mir meine Spätfolgen jetzt für immer bleiben könnten. Der Genesungsprozess ist zum ersten Mal wirklich für längere Zeit stagniert. Ich bekomme Angst, dass es einfach nicht mehr weitergehen könnte. Doch genau diese Angst treibt mich jetzt endlich wieder voran. Mit ihr kann ich jetzt meine Therapie-Müdigkeit endlich überwinden und mein eigenes Übungs-Programm wieder aufnehmen. Ich werde jetzt weiter darum kämpfen wieder ganz Heil zu werden, werde wieder an etwas Unvorstellbares glauben.

Noch eine Woche, und es ist jetzt ein Jahr her dass ich ins Krankenhaus gekommen bin. Noch immer sind meine Füße ziemlich taub, wenn auch ein bischen weniger als noch vor einigen Monaten. Einige Wadenmuskeln sind auch noch gelähmt, die Beine werden schnell müde und sind allgemein noch etwas unbeweglich. Der Lagesinn ist noch nicht völlig wieder hergestellt, und manchmal stolpere ich, oder bleibe irgendwo hängen wenn ich über Hindernisse steigen muss.

In die Hocke gehen schaffe ich auch immer noch nicht, und beim Bergaufgehen schmerzen die Wadenmuskeln. Doch meine allgemeinen Kräfte und meine Ausdauer wachsen immernoch langsam aber stetig. Mein Nervenkostüm ist auch nochmal etwas stabiler und belastbarer geworden. Leider plagt mich noch immer sehr die Therapie-Müdigkeit, denn ich würde eigentlich gerne mehr Übungen machen als ich hinkriege.



Zum Sinn verdammt:


Viele meiner Freunde haben mich schon gefragt, was ich denn darüber denke, warum ich diese Krankheit bekommen habe. Ob sie für mich einen tieferen Sinn hat, oder eine „Message“ an mich Selbst. Nun, wir alle neigen dazu unseren Krankheiten eine Bedeutung zu geben.
Warum bekam ich diese Krankheit ?
Was habe ich falsch gemacht?
Was muss ich jetzt deswegen ändern an meiner Lebensweise ?

Ja oft erscheint es mir gerade so, als wären wir dazu verdammt, einfach irgend eine Bedeutung zu finden, denn sonst ergibt all das Leiden für uns einfach keinen Sinn. Vielleicht ist das Leiden ohne einen Sinn noch schlechter zu ertragen. Doch manchmal leiden wir sogar mehr an diesen Bedeutungen, als an der Krankheit selbst.
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr fällt mir dazu ein. Es ist in der Tat schon so viel, dass ich angefangen habe es auf verschiedenen Ebenen zu betrachten, um nicht ganz im Chaos zu versinken. Und doch ist jede Interpretation wohl auch immer eine Mischung von vielen Glaubens- Systemen und Bewusstseins-Ebenen. Hier nur mal ein paar mögliche Beispiele von Glaubens-Systemen:

1. Magisch - Krankheit als Vergeltung. Wenn ich zuviel Gutes erfahre, muss irgendwann was Schlechtes kommen. Oder, ich tue mich besser nicht so hervor, sonst passiert mir was Schlimmes.

2. Katholisch - Krankheit ist letztlich die Strafe Gottes für irgendeine Sünde. Je schlimmer die Krankheit, desto schauriger die Sünde.

3. Karma - Irgendein ungutes Handeln in der Vergangenheit (früheres Leben) reift jetzt zu einer Krankheit aus. Die Krankheit ist insofern "schlecht", als sie für frühere Missetaten steht; "gut" ist sie in dem Sinne, dass der Krankheitsprozess selbst für das Verbrennen und Läutern der früheren Missetaten steht.

4. Wissenschaftlich - Worin die Krankheit auch bestehen mag, sie hat eine bestimmte Ursache oder eine Gruppe von Ursachen. Einige dieser Ursachen sind ermittelt, andere sind unberechenbare Zufallserscheinungen. Jedenfalls hat die Krankheit keine Bedeutung oder gar einen tieferen Sinn. Es gibt hier nur Zufall und Notwendigkeit.

5. Schulmedizin - Krankheit ist im Wesentlichen eine bio-physikalische Störung aufgrund biophysikalischer Faktoren (von Viren über Traumata bis zur genetischer Veranlagung und auslösenden Umweltfaktoren). Bei den meisten Erkrankungen zerbricht man sich über psychologische und spirituelle Behandlungsformen am besten gar nicht erst den Kopf, denn meistens sind sie wirkungslos und verhindern eher, dass einem die richtige medizinische Behandlung zuteil wird.

6. Psychologisch - Verdrängte Emotionen können Krankheiten verursachen. Die extreme Form: Krankheit ist Todesverlangen.

7. New Age - Krankheit als Lektion: Du legst dir selbst diese Krankheit zu, weil du etwas Wichtiges durch sie zu lernen hast, um dann deine spirituelle Entwicklung fortsetzen zu können. Der Geist allein erzeugt die Krankheit, und der Geist allein kann sie heilen.

8. Ganzheitlich oder holistisch - Krankheit ist das Produkt physikalischer, emotionaler, mentaler, und spiritueller Faktoren, die nicht voneinander zu trennen sind und von denen keiner ignoriert werden kann. Die Behandlung muss alle diese Dimensionen berücksichtigen.

9. Existenziell - Die Krankheit an sich hat keine Bedeutung. Sie kann nur eine Bedeutung gewinnen, wenn ich ihr eine gebe, und ich allein bin verantwortlich für diese Entscheidung. Menschen sind sterblich und endlich, und die einzige authentische Haltung gegenüber der Krankheit besteht darin, sie als Aspekt unserer Endlichkeit zu akzeptieren, auch wenn wir ihr eine persönliche Bedeutung geben.

10. Gnostisch - Krankheit ist Illusion. Das gesamte manifeste Universum ist ein Traum, ein Schatten, und frei von Krankheit kann man nur sein, wenn man aus dem Traum erwacht und die Eine- Wirklichkeit hinter dem manifesten Universum entdeckt. Der Geist ist die einzige Wirklichkeit, und im Geist gibt es keine Krankheit.

11. Buddhistisch - Krankheit ist ein unausweichlicher Bestandteil der Erscheinungswelt. Die Frage nach dem Warum der Krankheit ist ebenso sinnlos wie die Frage nach dem Warum der Luft. Geburt, Alter, Krankheit und Tod - das sind die Kennzeichen dieser Welt, in der alle Phänomene flüchtig, leidvoll und ohne Selbst- Wesenheit sind. Erst in der Erleuchtung, dem reinen Nirvâna- Gewahrsein, ist Krankheit endgültig transzendiert, denn dann ist die Welt der Phänomene überhaupt transzendiert. (Quelle: Ken Wilber, Mut & Gnade)

Hierbei wird vielleicht deutlich wie stark unser eigenes Glaubens-System auch bei der Bedeutungsfindung Einfluss nimmt. Und sicherlich auch, wie sehr unsere selbst gewählte Bedeutung (oder Mischung von Bedeutungen) den Genesungsprozess einer Krankheit beeinflussen kann. Meine Vavoriten hier sind 8.+11.

Aber nun gut, meine eigenen Interpretationen umfassen dagegen fünf Bewusstseins- Ebenen:

Körperliche Ebene: Ich habe nie wirklich gelernt genug auf meinen Körper zu hören. Doch meine Genesung erfordert sehr viel Körperbewusstsein. Wenn ich es jetzt nicht lerne, werden mir unangenehme Überbleibsel zurückbleiben, die mich immer dran erinnern und anspornen werden, den Kontakt zu meinem Körper zu pflegen.

Emotionale Ebene: Ich wollte es immer allen recht machen, weil ich am liebsten von allen Menschen geliebt werden wollte. Dabei habe ich mich oft so verausgabt, dass ich sehr häufig über meine eigenen Grenzen gegangen bin, ohne es zu merken. Die Krankheit war meine Notbremse, um die Ruhe zu haben wieder zu mir selbst zu finden. Und ich werde wohl solange nicht wieder voll belastbar sein, solange ich meine innere Balance darin nicht ausreichend stabilisiert habe.

Rationale Ebene: Die Krankheit zerstört die Isolierschicht aller Nervenbahnen im Körper. Dadurch entsteht sozusagen ein kompletter Kurzschluss im Nervensystem, so dass die Signale vom Gehirn die Muskeln nicht mehr erreichen und auch umgekehrt die Rückmeldungen vom Körper nicht mehr zum Gehirn gelangen können. Und das geschieht mir..., dem Solarmichel, der ja ständig mit Kabeln und elektrischen Strömen zu tun hat. Diese Krankheit ist sozusagen einfach nur Standesgemäß für mich, weil ich mich immer mit ähnlichen Dingen im Außen beschäftige. Diese inneren Kabel brauchen jetzt eine Reparatur und viel Aufmerksamkeit.


Soziale Ebene: Meine Krankheit hat mich wieder mit der Gesellschaft versöhnt, der ich ja all die Jahre, so gut ich konnte, immer nur aus dem Weg ging. Die Veränderung geschah einerseits dadurch, weil ich im Krankenhaus so vielen netten, tiefen und aufrichtigen Menschen begegnet bin, die dort wirklich gute und sinnvolle Arbeit leisten.
Aber auch weil es so deutlich wurde, wie sehr wir uns in der Not auf all unsere Freunde verlassen können.
Und andererseits weil ich wirklich sehr froh darüber bin, dass die Krankenkasse alle Krankenhaus- und Reha- Kosten übernommen hat. Etwas, was ich alleine niemals hätte leisten können.

Spirituelle Ebene: Ich war reif für diese Erfahrung, die totale Hingabe an das Hier und Jetzt von mir eingefordert hat, aber mir durch die Nahtoderfahrung auch tiefe Einblicke in das Wesen der letztendlichen zeitlosen Realität gewährte. Beides waren sehr wichtige Schritte meiner spirituellen Entwicklung. Ich bin sehr gestärkt daraus hervorgegangen und meine Erfahrungen werden mich sicher noch mein ganzes Leben lang positiv begleiten und mir sicherlich sogar auch meinen Tod erleichtern. Vielleicht werde ich dadurch auch einmal Menschen die Angst vor dem Tode nehmen können.

Die Veränderungen danach:

Erst jetzt werden mir langsam all die Veränderungen, die durch meine Krankheit entstanden sind, voll bewusst.

Erstens: Das Wichtigste was ich daraus gelernt habe, ist die Gewissheit, dass uns nichts von dem Eins-Sein (oder von Gott) wegreißen kann. Die falsche Vermutung, wir könnten irgendwie von dieser Einheit getrennt sein, ist vermutlich die Wurzel jeder Form von Angst im Universum.
Ich weiß jetzt, dass ich mich nie wieder alleine fühlen werde. Ich habe auch keine Angst mehr vor dem Sterben, denn ich weiß jetzt dass nichts verloren gehen kann.

Zweitens: Ich genieße das Leben mehr denn je und sehe vieles gelassener als vorher. Ich halte auch nicht mehr so sehr an den weltlichen Dingen und inneren Dogmen fest.
Albert Einstein hat es, in seiner einmaligen Genialität, einmal in zwei wirklich tiefen Sätzen zusammengefasst: „Es gibt nur zwei Arten, sein Leben zu leben: Entweder so, als gäbe es keine Wunder, oder so, als wäre alles ein Wunder.“
Und: „Ich muss bereit sein, das aufzugeben was ich bin, um zu dem zu werden, was ich sein kann.“

Drittens: Ich begreife jetzt auch, dass ich immer voll sauer war auf die ganze Menschheit, weil sie auf unserem Planeten offensichtlich nicht wirklich überlebensfähig ist. Diese Dummheit hat mich immer sehr geärgert, denn wir haben in fast allen Bereichen ökologisch nachhaltige Alternativen, die wir nur leider nicht nutzen oder wirklich haben wollen. Warum nur reicht unser Bewusstsein denn nicht aus !?
Ich denke, die Liebe ist vermutlich für uns als Menschheit die einzige Chance auf diesem Planeten längerfristig überleben zu können. Ohne Liebe werden wir weiterhin nur alles zerstören können und erst wenn wir gelernt haben nur noch mit dem Herzen zu sehen und uns all unsere Untaten zu verzeihen, werden wir in der Lage sein damit aufzuhören.

Heute nach meiner Nahtoderfahrung sehe ich auch das viel gelassener. Ich sehe uns alle eher wie alternde Kinder, die es einfach noch nicht besser wissen. Wir sind noch nicht so weit und so gesehen auch einfach noch keine perfekten Wesen. Und doch sind wir trotz allem so sehr liebenswert. Ich kann meinen eigenen Kindern auch nicht wirklich böse sein, wenn sie irgendwelche Dinge kaputt machen. Sie wissen und können es einfach noch nicht besser. Vielleicht stehen wir auch eines Tages da und sagen dann ganz traurig: „Oh, Erde putt“. Wir werden den Preis für unsere Umweltsünden bezahlen, und das ist dann auch ok so.
Aber solange wir am Leben sind, zählt zu aller erst das Leben selbst. Die Gegenwart ist eben alles was wir wirklich haben. Und diese Tatsache lässt mich jetzt irgendwie auch meine eigenen Fehler leichter verzeihen. Bin ich dadurch viel barmherziger und liebevoller geworden mit meinen Mitmenschen und mit mir selbst.

Viertens: Kollektiv gesehen habe ich mich so oft schon gefragt woher nur unser seltsames Interesse kommt, an all diesen finsteren Kino-Filmen über Tod und Gewalt, oder über all diese nur denkbaren Weltuntergangs-Szenarien und Horrorfilme die unsere Filmindustrie zur Zeit produziert.
Vielleicht kommt unsere Mords-Lust daher, weil wir kollektiv betrachtet, schon so viele unverzeihliche Fehler begangen haben, die wir uns jetzt irgendwie nicht mehr vergeben können. Vielleicht denken wir unterbewusst, wir haben es jetzt so verdient !? Ich meine, wir alle wissen, dass wir mehr hätten tun können für die Umwelt, oder gegen all die Lügen und das Leid in dieser Welt. Wir alle laufen doch mit einem mehr oder weniger unbewussten Schuldgefühl herum.

Und alle Medien und Umwelt-Aktivisten, die uns über all die Mißstände informieren wollen, treiben uns doch nur immer tiefer in dieses kollektive Schuldgefühl, das uns dann, wie alle Schuldgefühle auch, so handlungs-unfähig macht.
Auch hier wird sich ohne die Liebe nichts verändern können. Wir Menschen haben schon so viel Schlimmes getan. Die Geschichte ist gepflastert mit Leichen, Kriegen und Katatstrophen, Lug und Trug, Hass und Gewalt. Wir leben heutzutage in einem Wirrwar aus Lügengebäuden in dem selbst schon unser “gesunder Menschenverstand” ernsthaft krank geworden ist.

Wie können wir uns all das nur Verzeihen ?

Ich meine Ja, denn wenn wir uns Menschen einmal mit bedingungsloser Liebe betrachten, haben wir zwar wirklich schlimme Fehler begangen, doch unverzeihlich sind sie nur, wenn wir nicht bald anfangen wirklich ehrlich zu uns selbst zu sein und beginnen aus unseren Fehlern zu lernen, bevor es dann wirklich mal zu spät ist.
Wir sind doch nichts mehr als alternde Kinder, die was wirklich schlimmes ausgefressen haben. Doch werden wir nicht trotz all dem sehr geliebt ?
Genau so, wie es uns die wahren heiligen dieser Welt immer wieder gesagt haben ?

Jetzt haben wir die Wahl, und vielleicht wollte ja genau dies unser Schöpfer, als notwendige Konsequenz des freien Willens den er uns nun mal gegeben hat. Vielleicht will er damit nur sehen wie sehr wir seine wundervolle Schöpfung achten und wertschätzen können ?!



Fünftens: Meine Krankheitserfahrung war in vieler Hinsicht wie ein Katalysator meiner spirituellen Entwicklung. Sie verstärkte in mir einen Effekt den Ken Wilber so schön als „aperspektivische Verwirrtheit“ beschrieben hat. Es ist, als würde ich immer sehr viele verschiedene Perspektiven gleichzeitig einnehmen können, was natürlich oft sehr verwirrend ist.
Auch in dem Buch „Heilung im Licht“ von Anita Moorjani fand ich ein paar wirklich gute Beschreibungen über diese pathologisch anmutenden Effekte, die für mich aber mehr ein deutlicher Ausdruck von spiritueller Weiterentwicklung sind:

Ich merke, dass ich oft wegen Kleinigkeiten den Tränen sehr nahe sein kann. In mir ist dann eine gewisse Traurigkeit, weil ich nun die erstaunliche Schönheit und Freiheit in der Einheit aller Dinge erahnen kann. Oft aber auch, weil ich sie nach einem Augenblick der Freiheit und Einheit wieder hinter mir gelassen habe. Und dann bin ich gleichzeitig glücklich und dankbar dafür, ich weine Tränen des Bedauerns und der Freude zugleich.

Darüber hinaus spüre ich gegenüber allen Menschen eine tiefe Verbundenheit, wie ich sie noch nie zuvor empfunden habe. Aus mir strömt Liebe zu jeder Person. Eine Form der Zuneigung die ich so noch gar nicht kannte. Ich habe das Gefühl, mit allen auf tiefer Ebene verbunden zu sein und alles zu erahnen was sie empfinden und denken, fast so, als wären wir eines Geistes.

Und paradoxer Weise habe ich gleichzeitig das Gefühl, zu niemandem in meinem Umfeld mehr eine Beziehung herstellen zu können, oder genauer gesagt, dass andere keine zu mir herstellen können.
Es fällt mir schwer, mich auf Gespräche über Alltags-Begegenheiten einzulassen. Meine Aufmerksamkeitsspanne scheint sich verkürzt zu haben, und ich stelle oft fest, dass meine Gedanken in ganz andere Richtungen wandern, sogar auch bei Unterhaltungen mit guten Freunden.
Ich merke dass ich in gesellschaftlichen Situationen ruhelos und ungeduldig werde. Ich kann nicht lange still sitzen oder mich auf Gespräche über weltliche Routineangelegenheiten einlassen.
Mich interessieren die Nachrichten, oder das was in der Welt der Politik vor sich geht fast überhaupt nicht mehr, und selbst was meine Feunde machen oder denken, lässt mich oft mehr oder minder kalt.
Nichts fühlt sich mehr richtig wichtig an. Mir ist, als würde ich nicht mehr zu den Leuten hier auf diesen Planeten und ihren Werten passen. Meine Prioritäten haben sich geändert, und ich stelle fest, dass ich an vielem nicht mehr interessiert bin was mich sonst sehr interessierte.

Ich habe das Empfinden, dass die meisten Leute nicht mehr fähig sind, die Magie des Lebens zu sehen. Sie teilen oft nicht mein Staunen oder meine enthusiastische Begeisterung über die Umgebung, und darüber, dass wir einfach nur am Leben sind. Sie scheinen in ihre Alltagsoutine verstrickt zu sein, und ihre Gedanken sind auf das gerichtet, was sie als nächstes zu tun haben.
Oft kommt es mir so vor, als hätten die Medien die Leute in jahrzehntelanger Kleinarbeit schlußendlich nun wirklich verblöden lassen und oft finde ich die Gesprächsthemen darüber nur noch wie ein profanes und langweiliges wiederkäuen.
Mir erscheinen alle Probleme nicht mehr so gross zu sein. Ich habe das Gefühl, dass die Leute das Leben und ihre Probleme meistens viel zu ernst nehmen. Ich möchte mich nicht mehr in all diese profanen, kleinen Probleme und Belange verheddern.

Sechstens: Wann immer ich Gespräche mit Freunden führe, merke ich oft, dass meine Ansichten aufgrund meiner Veränderungen so radikal anders sind, dass ich mich oft nicht mehr auf gewisse Themen einlassen möchte.
Mir wurde jetzt allmählich erst klar, dass meine Urteils- und Unterscheidungsfähigkeit sehr beeinträchtigt ist. Ich kann keine klaren Trennungslinien mehr zwischen Gut und Schlecht, Richtig oder Falsch ziehen.
Auch meine ganze Emotionalität ist nicht mehr so stark wie ich sie von früher her kannte, manchmal denke ich, dass ich immer mehr gefühlskalt und unnahbar werde. Für andere wirke ich sicherlich oft sehr desinteressiert, alles geht einfach nur durch mich hindurch, wie in einem leereren Raum in dem nichts mehr hängen bleibt. Meine Persönlichkeit, oder besser gesagt, das für was ich sie immer gehalten hatte, scheint sich ganz langsam ins Nichts aufzulösen. Etwas was meinen Verstand zutiefst beängstigt, aber für den inneren Beobachter als ganz normalen Entwicklungs-Vorgang eingestuft wird.
Bei meinen sozialen Kontakten findet kaum noch eine wirkliche Berührung statt. Bei Gesprächen tauchen keine Assoziationen, Bilder und Urteile mehr in mir auf. Dadurch kann ich oft auch gar keine Reaktion mehr zustande bringen, was für andere sicher oft sehr befremdlich sein muss.
Das führte jetzt langsam dahin, dass ich hauptsächlich für mich alleine bleiben möchte. Ich habe kein Verlangen mehr, irgendwo anders zu sein als dort, wo ich jetzt bin.
Jage ich dem nach, wonach es mich verlangt, verstärke ich damit nur die Trennung. Wohingegen das Zulassen, die Erkenntnis bedeutet, dass wir alle eins sind, dass alles miteinander verbunden ist und dass das von mir gewünschte immer schon mein ist.













Siebtens: Mein Zeitempfinden hat sich um eine neue Referenz erweitert: Die Ewigkeit. So vieles wird im Hinblick auf die Ewigkeit irrelevant und bedeutungslos. Wer nicht mehr das Endliche fürchtet, der gewinnt ein neues behagliches Vertrauen in die Unendlichkeit des Lebens und der gesamten Schöpfung.

Meine Eindrücke aus dem Jenseits decken sich ganz erstaunlich mit denen aus der modernen Teilchenphysik, ganz besonders mit denen der neusten Entdeckungen über das Quantenvakuum. Materie scheint (seit der der Heisenbergischen Unschärferelation) nicht von konstanter Natur zu sein. Ein Elementarteilchen kann plötzlich wie aus dem Nichts auftauchen und auch wieder dorthin verschwinden. Es scheint sich spontan wie aus einem dichten Informationsfeld herauszulösen und wieder darin einzutauchen. Es nun wird vermutet, dass sich die Informationen in diesem hyperdichten Quanten-Informationsfeld mit Millionenfacher Lichtgeschwindigkeit ausdehnen könnten, und somit einfach jede Information so gut wie im gesamten Universum verfügbar ist.

Alles kommt und geht aus diesem Quantenvakuum hervor. Materie scheint eher eine art Manifestation des Geistigen zu sein als umgekehrt, wie so lange vermutet.
Für mich beweist das nur, dass die grundlegende Realität zeitlos und ewig ist, und erst sobald sie sich in die Form der Materie manifestiert hat, die Zeit und auch der Raum mit ihr erst entsteht.

Das alles ist sicher sehr Abstrakt für die Meisten, doch mir wurde es durch meine Erfahrungen als das klarste und einleuchtenste Bild der Welt.


Wir sind alle zeitlose Seelen, Fragmente eines größeren Ganzen. Wir sind nicht erst in unserer Mutter entstanden, nein, unsere Herkunft liegt viel weiter zurück. Selbst unsere Körper sind das Endergebnis einer millionen Jahre langen Entwicklung. Und jeder einzelne Schritt ist ins uns lebendig.
Die lebendig gewordene Information unserer ureigenen Geschichte. Wir, die sogenannte Krone der Schöpfung“ sind nur wie Kinder, die vom Lebenshunger getrieben, ahnungslos und in spielerischer Unschuld unseren eigenen Lebensraum verwüsten. Doch selbst das spielt keine Rolle in Anbetracht der Ewigkeit um uns. Wir existieren und das ist es was für immer zählt. Denn diese Existenz ist ewig und unvergänglich, wenn auch nicht mit unseren Körpern. Er ist nur die vorläufige Hardware die durch unsere Seelen-Software erst entstanden ist. Ein Programm das gestarted wurde, vielleicht zur Freude am Genuß an all den weltlichen Dingen und an all den spirituellen Erfahrungen.
Wir sind hier um lieben zu lernen. Und erst wenn wir alles lieben können kann es für uns weitergehen. Erst wenn es keinen Unterschied mehr gibt und wenn wir mir allem Einverstanden sind, erst wenn wir aufhören zu vermeiden und zu begehren, erst wenn wir in diese komfortable Ruhe der Zeitlosigkeit zurückfinden, wird unser unermüdlicher Lebenshunger wieder gestillt sein.

Nur wenn wir lieben leben wir wirklich. Denn Liebe IST das Leben. Ohne Liebe gäbe es uns alle nicht. Wer nicht mit dem Herzen sieht ist blind und gefangen in diesen unzähligen Labyrinten des Verstandes, eine künstliche Welt ohne wirklichen Wert. Alle was wir uns in unseren Köpfen vorstellen ist nur wie ein Film auf einem nutzlosen Bildschirm, aber alles was wir fühlen bringt uns einen Schritt näher zur Liebe. Und Im Herzen aller Herzen sind wir alle eins, ein unteilbares, ein IN-DIVI-DUUM. Es gibt nur immer ein und das selbe Ich im gesamten Kosmos. Ist das denn so schwer zu verstehen?

Der ewige Wegweiser auf diesem Weg der Liebe ist die Schönheit. Sie ist keine Übung in schöpferischer Phantasie, sie ist die tatsächliche Struktur und die wirkliche Natur des Universums. Schönheit weist uns immer zur Liebe, sie strahlt uns ganz natürlicher Weise für immer aus allen Dingen entgegen.
Die meisten Menschen können diese Schönheit zunaechst nur in großer Kunst oder im Anblick ihres Liebespartners erkennen. Doch immer versetzt uns die Schönheit in eine zeitlose Beobachtung. Wir wollen es nur ansehen, hören, schmecken, fühlen, erkennen.... nichts weiter. Und die Welt um uns hört auf sich zu drehen, die Zeit bleibt stehen, wir verschwinden darin, werden eins mit dem Objekt der Betrachtung, finden zurück zum Herzen, wir verstehen, wir lieben, wir leben.
Mehr braucht es nicht.....

Wenn man mal mit dem Bewustsein lebt, dass alle Menschen im Grunde ihrer Seele EINS sind. Dann bekommt alles einen ganz anderen Blickwinkel. Das Mitleid verwandelt sich plötzlich in Freude über die Stärke des anderen. Was nicht heißt dass kein Mitgefühl mehr vorhanden wäre für all das Schwierige. Doch all das Schwierige ist dann nur wie das Salz in der Suppe, ohne das das Leben nicht das Leben wäre das es ist.
Ohne all das Leid würden wir wohl keinen Unterschied mehr fühlen können zu all der Freude die auch in uns ist. Erst diese Gegensätze verdeutlichen uns diese Schätze an Gefühlen die wir erleben können.
Etwas was uns im Jenseits nicht mehr möglich ist!

Und wem das einmal klar geworden ist, der unterscheidet dann gar nicht mehr so zwischen Gut und Böse. Freude und Leid sind nur die beiden Seiten der selben Medallie, so wie Lust und Schmerz, oder oben und unten.... Wenn ich also die Freude und die Lust liebe und dabei aber das Leid und den Schmerz zu vermeiden suche, dann nehme mich mir selbst die Tiefe, die ich dabei erleben könnte. Es ist wie im Regen spazieren gehen ohne dabei nass werden zu wollen, oder den Schnee zu lieben aber bitte ohne dabei frieren zu müssen... (Wake Up - Alanis Morrisette)

All das Vermeiden wollen ist wie sich freiwillig in einen Glaskasten zu sperren. Es tut so gut dem Leben zu verzeihen für alles was man hier so durchmacht. Es tut so gut wenn man schlusendlich niemanden mehr dafür beschuldigt. Es tut so gut einfach jeden Moment zu genießen, egal ob er Freud- oder Leid-voll ist. Wir sind stark, wir nehmen alles auf uns, solange wir können, einfach nur weil wir so sehr am Leben festhalten.

Ich denke dann manchmal auch an den Tod. Vielleicht wird uns im Moment unseres Todes so viel aufgeladen dass wir es einfach nicht mehr schaffen können. Das wir davon zusammenbrechen müssen. Und werden wir es dann immernoch genauso annehmen können?
Oder werden wir sehr wütend sein auf Gott, der uns damit doch nur heraus helfen will? Das Sterben ist sicherlich meistens sehr unangenehm, anstrengend und schmerzhaft, aber erinnern wir uns doch mal wie wir alle hier her kamen. Jede Geburt ist sicher vergleichbar erschreckend und doch zeigt sich auch hier, dass die große Angst davor oft unangemessen ist.

Aber jetzt sind wir noch hier, wir leben.
Es kann wohl kaum noch ein größeres Wunder geben als all das?



Nachwort:

Das Guillain-Barre-Syndrom (GBS) ist kein Zeitzeichen unserer „Zuvielisation“ und auch kein Symbol für die Evolutionsstufe der Menschheit wie z.B. Krebs. Der Krebs ist mittlerweile die Todesursache Nr.3 nach medikamentöser Fehlbehandlung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Krebs zeigt uns doch nur den Egoismus des einzelnen gegenüber dem Ganzen und führt zum Ende von beidem.
Ein GBS signalisiert nicht diese Unfähigkeit, den Sinn des Daseins zu erkennen und zu leben. Auch ein GBS verändert ein Leben sehr, und ich finde, zum Bewussteren und Positiven hin. Es ist wie ein kräftiger Wachrüttler aus einem langen Dämmerschlaf.
Ein Leidensgenosse, übrigens ein berühmter Marathonläufer, hat einmal über diese Krankheit geschrieben, sie sei so selten wie ein Lottogewinn. In der Tat, denn nur etwa jeder hundert- tausendste bekommt sie.
Und ich finde, sie ist auch so kostbar wie ein Lottogewinn, denn zuerst nimmt sie dir alles, nur um es dir danach Stück für Stück wieder zurück zu schenken. Auf diese Weise wird sicherlich jedem bewusst, wie kostbar das Leben mit all unseren Fähigkeiten ist. Wenn man mal von all dem Leid absieht so ist GBS doch eigentlich eine ganz wunderbare Krankheit !
Doch klar ist natürlich auch: Die beste Krankheit ist nix.
Ich jedenfalls konnte trotz allem Leiden sehr froh sein über mein Schicksal. Ich hätte ja auch eine unheilbare Krankheit bekommen können, wie z.B Multiples Sklerose, oder ein übler Krebs, bei der die Chancen auf eine Genesung gar nicht so gut sind wie bei GBS.

Jeder Kranke kommt früher oder später mal an einen Punkt, wo man sehr niedergeschlagen wird, weil alle Lieben um einen herum dabei natürlich auch sehr belastet werden.
Sehr viele Menschen haben große Schwierigkeiten um Hilfe zu bitten, wir wollen am liebsten immer alles selber hinkriegen, mögen niemanden zur Last fallen. Für viele ist es auch eine Herausforderung, weil sie nicht gerne im Rampenlicht stehen.
Ich bin eigentlich auch lieber eher ein Unscheinbarer, möglichst in einer Nebenrolle. Doch mit einem GBS hat man plötzlich die Hauptrolle zugeteilt bekommen, und das kann einen wirklich manchmal überfordern. Aber der Mensch wächst durch Herausforderungen, wenn er sie annehmen kann. In diesem Sinne, an alle Patienten: Versucht es zu genießen!

Ich begriff, dass meine Krankheit wie ein Stein war den man in einen See schmeißt, und der große Wellen erzeugt die sich rings um mich herum ausgebreitet haben. Alle die mich kannten waren sehr betroffen von meiner Geschichte. Für viele war ich immer ein Inbegriff eines natürlichen gesunden Lebens. Ich lebe in wunderschöner Natur als Aussteiger in Spanien, bin Vegetarier, Nichtraucher, trinke keinen Alkohol, keinen Kaffee und esse nur gutes Zeugs. Warum also gerade ich....
Jedenfalls haben sich deswegen alle Gedanken gemacht über die unvermeidliche Vergänglichkeit des Lebens, und über Krankheiten und über den Tod..... Und für viele war dies wie ein Wachrütteln aus dem alltäglichen Trott des Lebens.
Ganz besonders natürlich für meine Frau, meine Kinder, meine Eltern und für meine besten Freunde, deren Leben ich durch meine Geschichte erstmal total auf den Kopf gestellt hatte. Meine Frau kam faßt jeden Tag den weiten Weg nach Granada um mich zu besuchen, meine Eltern haben in Deutschland alles stehen und liegen lassen und sich in Granada ein Hotel genommen um bei mir im Krankenhaus zu sein. Fasst täglich bekam ich Besuch von irgend einen meiner Freunde, es war so berührend und schön. Ich weiß nicht viele Kilometer für mich in dieswr Zeit gefahren wurden... und beinah wäre all diese Aufmerksamkeit faßt etwas unangenehm für mich gewesen.
Doch wie auch für mich war es für alle auch ein Sprungbrett das ganze Leben neu zu sortieren, neu zu erkennen um was es wirklich geht, die Prioritäten neu zu setzen, jeden Tag bewusster zu erleben und zu genießen. Nicht zuletzt auch weil ich trotz all meiner Leiden spürte wie sehr ich am Leben hänge und wie kostbar das Leben selbst ist.
Ja, und darum geht es hier doch, die Liebe zum Leben!
Eine schwere Krankheit macht einen für andere immer auch zu einem Symbol der Lebenskraft, der Heilung, des heldenhaften überwindens von solchen tödlichen Krankheiten. Der eigene Lebenswille und die außergewöhnliche Kraft zur Regeneration wird jetzt auch für andere zu einem Leuchtfeuer in der Dunkelheit.
Man spendet damit Hoffnung und Kraft für andere. Jeder der dich kannte, wird auch dann wieder an dich denken, wenn er selber mal krank ist, und das für alle Zeit!
Man schafft hier also etwas Zeitloses, kreiert etwas sehr schönes für die Ewigkeit. Und allein damit hat man schon sehr viel gegeben! Bitte vergesst das nie! Es ist sehr viel wert, denn es ist wirklich etwas sehr besonderes, was nicht jeder beliebige Mensch zu geben hat.

Und ich denke, dafür können sich die anderen jetzt auch ruhig ein wenig um einen kümmern. Die meisten tun das sogar sehr gerne! Es ist nämlich schön etwas für andere tun zu können, wie es sicher jeder auch schon selber erfahren hat. Und man gibt ihnen jetzt damit nur eine Gelegenheit.

Mich hat das mit so viel Dankbarkeit erfüllt, dass ich fasst davon geplatzt wäre. Die Tränen kullerten mir sehr oft aus den Augen, einfach so wegen jeder Kleinigkeit. Doch es war immer nur schön, für mich und für die anderen.
Außer für Isa, der erfahrensten Krankenschwester in der ganzen Klinik, die konnte nie mit meinen Tränen umgehen, denn beinahe hätte ich ihren harten Panzer damit zum schmelzen gebracht....
Jeder nur so viel wie er eben kann. Das ist schon in Ordnung.

Also, kurzum.... macht euch als Patienten bloß keine Sorgen um die anderen, denn die machen sich ja schon genug Sorgen um euch. Und wenn sie dann auch noch euch in Sorgen sehen müssen....
Sorgen nützen wirklich niemanden. Sorgen sind hier doch eher wie sich gegenseitig herabziehende Kräfte. Es ist damit sehr ähnlich wie mit Schuldgefühlen, auch die nützen weder denen die sie ertragen, noch denen weswegen sie einmal entstanden sind.
Seit viel lieber dankbar um alles was euch gegeben wird, und diese Liebe verdoppelt sich dann in jedem der die Freude darüber bemerkt.
So wird alles viel schöner und von positiver Energie durchdrungen.
Und das ist es was alle Lebewesen wollen.


Ihr dürft mir auch gerne schreiben, wenn ihr mögt: solarmichel@hotmail.com
Michel


Reaktionen auf diesen Bericht:

Diese Email bekam ich vom Chefarzt der UVI. Und ich freue mich sehr, dass er mir die freundliche Erlaubnis gab, sie zu übersetzen und hier zu verwenden:

Lieber Solarmichel,
oder wie es mir scheint nennt man dich in Orgiva: Miguel el Solar. Ich bin Dr. José Pomares, einer der Ärzte, die sie auf der Intensivstation betreut hatten.
Ich habe gerade ihre Geschichte gelesen, wie Sie Ihre Krankheit in der Intensivstation erlebten und ich bin wirklich sehr beeindruckt. Vor allem weil die Patienten, die so einen kritischen Zustand überleben, sehr selten die Fähigkeit oder den Willen haben, ihre Erfahrungen in irgend einer Weise zum Ausdruck zu bringen.
Es scheint mir, dass die meisten sich nicht erinnern wollen, was da geschah, als würde es ihnen helfen zu vergessen, um sich besser davon zu erholen.
Sie, im Gegenteil trafen die Entscheidung, ihre Erfahrungen zu kommunizieren und darüber zu reden wie wunderbar das Geschenk des Lebens selbst ist. So oft im Leben beklagen wir uns über Dinge, die wir nicht mögen, oder über das, worüber wir uns schlecht fühlen... und dies macht uns unfähig diese wunderbare Gabe des Lebens zu genießen. Jeder Tag ist ein Geschenk, an dem wir lieben und Gutes tun können. Wir erwarten immer, geliebt zu werden, und wir vergessen das Leben zu lieben.
Gott segne Sie, ihre wunderbare Familie und ihre Freunde, die Sie lieben!


Diese Email einer alten Freundin aus Berlin, die ungenannt bleiben möchte, erreichte mich erst kürzlich. Ich habe sie hier stark gekürtzt:

Hallo Michel
Dein Bericht ist so ganz nah und so menschlich, dabei hast du echt übermenschliche Dinge erlebt.
Du vermittelst wirklich keine angstmachenden Szenen, und doch bleibt mir ein Gefühl riesengrosser Angst zurück. Ich versuche noch herauszufinden, was es ist...
Du hast dich für das Leben entschieden! Wo ich selbst oft so gerne tot wäre, und das werte ich ganz besonders. Ich hab grade das Gefühl, allein dein Bericht kann für die, die es lesen, eine sehr grosse Erfahrung sein, es kommt mir beinahe so vor wie ein psychedelischer Trip, aus dem man sich alles nehmen kann, was man will. Wahrscheinlich entdecke ich beim Lesen jedes Mal etwas Neues, und es verändert meine Gedanken und das, was ich erlebe.



Meine Mutter, die mich in der schlimmen Anfangszeit auf der UVI oft besuchte, schrieb diese Zeilen hier für mich auf:

Es war ein Schock ! Noch nie in meinem langen Leben hatte ich soetwas gesehen. Der da lag war mein Fleisch und Blut -mein Sohn-, der fast nie krank war, immer voller Tatendrang, lustige und liebevolle Augen, und immer ein Lächeln auf den Lippen.
In diesen Lippen, die ganz ausgetrocknet, kein Lächeln mehr hatten und weit offen standen, steckte ein dicker Schlauch oder Stab, und dieser wurde durch ein weisses Tuch von einem Ohr zum anderen festgezurrt, als wollten sie ihn ersticken. Seine Grübchen an den Wangen waren zusammengedrückt und gequetscht. Seine Augen sahen mich zwar an, aber sie waren weit offen und ganz starr, ausdruckslos !
Ich wollte ihn fest an mich drücken, das war aber nicht möglich, überall an den Armen und Beinen war er verkabelt und es piepste, surrte, summte, tickte aus allen Ecken des Raumes. Beide Hände waren überall verklebt mit Pflaster und Schläuchen. Also konnte ich ihn nur zart über den Kopf streichen, aber nur auf der Stirn, alles andere bedeckte dieses festgebundene Tuch. Die Hände und Finger, auch da überall Kabels, waren kraftlos und ohne Bewegung.
Ich kam mir so hilflos und verloren und unendlich traurig vor. Ich hätte am liebsten hemmungslos geweint. Aber ich musste mich zusammenreißen, ich wollte doch meinen geliebten Sohn die Angst nehmen und ihn nicht noch mehr aufregen.
Manchmal waren seine Augen nicht ganz so starr, und ich meinte seine Augen sagten mir: “So hilf mir doch !!”.
Und ich konnte nur da rumstehen und nichts tun, was für eine Grausamkeit. Am liebsten hätte ich mich da so hingelegt und das alles auf mich genommen, was er da nun erleiden musste. Einfach nur tauschen, da ich mein Leben ja schon gelebt habe und alt bin, aber Michi hat doch das ganze Leben noch vor sich und zwei kleine Kinder, die doch den ganzen, gesunden und fröhlichen, fürsorglichen Papa so dringend brauchen. Ach wie ist das so ungerecht.

Es war auch so schlimm, dass wir immer nur für ein paar Minuten bei ihm bleiben durften. Da gab es einen langen Gang, da konnte ich dann endlich lautlos weinen. Der Chefarzt, der den Michi behandelte, sah mich da stehen und er nahm mich fest in den Arm, und sagte: Es wird alles wieder gut. Das tat so gut.
Draußen vor der Türe warteten schon die Enkelkinder und ich musste also wieder sehr tapfer sein und nicht weinen. Einmal weinte ich doch, da ich dachte die Kinder sehen mich nicht. Sofort fragten sie mich, ob der Papa böse zu mir gewesen sei,
...er sei aber böse !“
Dann habe ich es den beiden erzählt und wir haben dann alle drei zusammen geweint.

Aber einen Trost gab es immer, er wird eines Tages wieder gesund werden. Diese Krankheit haben schon faßt alle Überlebt.

Lindi Daniek



Fast 2 Jahre nach meiner Erkrankung erreichte mich diese (gekürzte) Email von einer Schreiner-Kollegin:


Hallo Michel!!
Schön von dir zu hören!!
...habe deinen Block grad nur ganz flüchtig angeschaut- das war 
zumindest der Plan. Ab der Beschreibung deiner Nahtoderfahrung wars mit dem 
Vorsatz vorbei. Was ich beim lesen gespürt habe ist die Liebe, Grenzenlosigkeit und 
Weite die kommt wenn als du diesen irdischen Körper verlassen durftest-
und aber noch viel mehr die Verbindung danach zu diesem Leben und deine 
Verwandlung damit. 
Ich bin gerade ein bischen überwältigt von deiner Erfahrung und davon, 
dass ich sie lesen durfte. Total schön finde ich auch die Sinn-Ebenen die 
du vorstellst unter denen deine Krankheit am Ende gesehen und gewertet 
werden kann - für mich fühlt sich Leben genau so an nach 4 Jahren der 
Reise in verschiedenen Kulturen: Was ist der Sinn des ganzen? 
Hm, ich spiele mit dem Standpunkt und der Ebene, alles relativiert sich, darf 
nebeneinander stehen bleiben, wird in jeder Form religiöus, wissenschaftlich, 
dann wieder rational... 
und wird am Ende respektiert aber keine Ebene für wichtiger auserwählt...

Johanna