michelgeschichten

Gesammelte Werke der Seelengeschichten des Prof.Dr.Strampelcheck. Kuckt mal auf meine Fotowebseite unter www.solarphoto.blogspot.com

Mittwoch, Mai 21, 2014

Mein Blasenstein - Der Bericht

1.Teil- Der langersehnte Anruf

Endlich gibt es gute Neuigkeiten!
Es war wieder einer dieser Momente, die ich zur Zeit sehr oft erleben darf, in denen ich mich so völlig gluecklich gefühlt und unbeschreiblich dankbar war über all das, was mir gerade so alles vom Leben geschenkt wird, Als endlich dieser so lang erwartete Anruf aus der Klinik in Granada kam.
Keine Stunde zuvor hatte ich noch mit Claudia darüber geredet, wo und in welcher Situation mich wohl dieser vielleicht bedeutendenste Anruf meines Lebens erreichen würde. Ob es ganz laut um mich herum sein wuerde und ich den Hoerer verzweifelt gegen mein Ohr drücken müsste, um nicht irgend ein Detail dieses wichtigen Anrufs zu verpassen? Oder ob er mich in der Ruhe und dem Frieden einer gefassten und gemütlichen Stimmung erreichen wuerde?
Und doch immer wieder stand diese grösste aller Fragen über all solchen Gedanken: WANN ich endlich diesen Anruf erhalten würde.
Ich warte jetzt skandalöse 5 Monate auf eine Behandlung meines so schmerzhaften Blasensteins!

Mein Termin zum Einchecken ins Krankenhaus ist jetzt am Mittwoch den 30.April um 8:00 Morgens. Da ich nüchtern und auch ohne getrunken zu haben kommen soll nehme ich an, dass die OP noch am gleichen Tag stattfinden wird.

Irgendwie hatte ich mir sowas schon fasst gedacht. Mein Schicksal würde den Termin sicher so lange herauszögern, bis mir das elende Leben der letzten Monate mit all meinen Schmerzen gar nicht mehr so elend vorkommen würde. Und Tatsächlich, ich habe in den letzten Tagen viel weniger Schmerzen gehabt, war einfach nur glücklich gewesen das Leben zu geniessen. Die Schmerzen hatten mich nicht mehr beeintächtigt das Leben zu lieben.
Ich war mit meinen Kindern, meiner Frau, und meinen Eltern an der Playa Cabria. Gerade war ich barfuss im noch kalten Wasser mit meinen beiden zuckersüssen Kindern an einem Menschenleeren Strand entlang gelaufen. Wir hatten bei ein paar schwarzen Felsen warme Pfützen gefunden in dem wir unsere Füsse badeten, als mir eine ausgesprochen schöne Frau auffiel, die den Strand entlang joggte. Einen Augenblick später erkannte ich, das es Claudia war die da mit meinem Handy wedelnd auf mich zugerannt kam. Sie stahlte mich an wie eine Sonne. Ich wusste es sofort, es war der lang ersehne Anruf aus der Klinik.
Diese schwere schwarze Wolke der Ungewissheit, die mich die letzten Monate beschattete wurde kurzerhand weggepustet durch diese einfache Gewissheit jetzt schon übermorgen diese so überaus schmerzlich ersehne medizinische Hilfe zu bekommen.
Diese neue Aussicht auf ein neues Leben ohne Schmerzen, in dem ich dann wieder mehr als 50m laufen kann, in dem ich dann wieder weiter trainieren kann, um noch die letzten Behinderungen meiner GBS Erkrankung endlich loszuwerden, in dem ich die Chance habe wieder ein völlig gesundes und fittes Leben zu erhalten. All das liegt jetzt wieder in sehr greifbarer Naehe. Ich könnte platzten vor Glück!


2.Teil- Im Herz des Krankenhauses

Die Operation fand im selben Stockwerk und keine 25m Luftlinie von dem Ort statt, an dem ich 19 Monate vorher mit meinem GBS so lange auf der Intensivstation lag.
Doch diesmal war es so, als brächten sie mich in das wahre Herz des Krankenhauses. Ein achteckiger Raum, vielleicht so groß wie meine Holzhütte, in der Mitte eine schmale harte schwarze Bare, die mir darin fasst schon wie ein Opfer-Tisch vor kam. Auf dem Boden waren rote Blutspuren, die sich auf dem Linoleum schon nicht mehr richtig wegputzen ließen. Drei riesige, mit tausenden von LEDs bestückten und in alle Richtungen schwenkbare Lampen hingen von der Decke wie Krakenaugen. Es war kalt hier, ich begann zu zittern, vor Kälte oder vor Nervosität konnte ich nicht genau sagen, als sie mich danach fragten.
Die Spritze bewirke dass mir plötzlich sehr warm und wohlig wurde. Ich bekam eine Rückenmarks-Anästhesie, was nur den unteren Teil des Körpers gefühllos machte. Ich musste eingeschlafen sein, denn als ich aufwachte spürte ich nur noch wie sie noch ein paar Minuten an mir herum werkelten und die 9cm große Öffnung an meinem Unterbauch schon wieder zu klammerten. Dann wurde ich, noch halb benommen, in die UVI geschoben und mit jeder Menge Kabeln an Überwachungsmonitore angeschlossen. Die selbe Station in der ich so lange war, nur der Raum auf der anderen Seite.
Meine Hände suchten unter der warmen Decke meine Oberschenkel und ich erschrak ein wenig als sie sich wie ein ganz fremder Körper anfühlten. Sie waren warm und ich spürte die kleinen Härchen auf meiner Haut, aber ich bekam von innen keinerlei Rückmeldung. Aber richtig skurril wurde das erst, als ich meinen Penis anfasste. Er kam mir viel größer vor und auch so als sei er nicht von mir. Ich war irritiert, ich kann mich gar nicht erinnern je den Penis eines anderen Mannes angefasst zu haben, aber genau so fühlte es sich an.
Wenn ich versuchte meine Füße zu bewegen war es wie mit meinem Willen gegen eine dicke Mauer aus Schaumstoff anzukämpfen, gar nichts bewegte sich dabei. Mein Wollen verlor sich in eine schwarze Leere, aus der auch nicht mal das leiseste Echo zu mir zurück drang.

All das kam mir ganz furchtbar bekannt vor. Als ich damals, vor gar nicht allzu langer Zeit, genau hier nebenan mit meinem GBS rang war mein ganzer Körper so gewesen. Ich konnte nicht einmal mehr sprechen. Es war vielleicht wie Isolationshaft aber in einer noch viel grausameren Perfektion.
Und wiedermal wurde mir bewusst wie überaus kostbar unsere Fähigkeit des Fühlens überhaupt ist. All diese Gefühle, seien sie nun angenehm oder schmerzhaft, ganz egal, ….sie sind unsere einzige Verbindung zum ganzen materiellen Rest dieser unfassbar wundervollen Welt.
Unsere Körper, ein Millionen Jahre altes Produkt des Lebens auf diesem Planeten, das uns mit all seinen unglaublich vielen Details an Überlebenskünsten eben immer genau das zu ermöglichen versucht.
Und wir Banausen tun normalerweise nichts anders, als all das einfach nur für ganz selbstverständlich zu halten.
Es begann dann bald in den Beinen zu kribbeln, genau so wie wenn ein eingeschlafener Fuß langsam wieder zum Leben erwacht. Die ersten kleinen Bewegungen waren wieder möglich, aber es kostete noch viel zu viel Anstrengung. Mit dem Gefühl kamen dann auch schon die Schmerzen. Die Operationsstelle fing an zu pochen. Mir wurde klar, dass meine lange Leidenszeit immer noch nicht zu Ende sein würde, eine neue Runde wurde eingeleitet, doch ich fühlte mich gewappnet und Erfahren genug um auch noch diese zu meistern. Eine Schwester fragte mich ob ich Schmerzen hätte und hing mir eine kleine Plastiktüte mit 100mg flüssigem Paracetamol an meinen Tropf. Ich war irgendwie baff!
Ich nehme wirklich nicht sehr oft Schmerzmittel, aber selbst eine Tablette mit 600mg Paracetamol bewirkte noch vor kurzem rein gar nichts bei mir, als ich versuchte die üblen Schmerzen meines Blasensteins in den Griff zu bekommen. Was sollten dann 100mg gegen die Schmerzen eines operativen Eingriffs bewirken können. Nach einer guten Weile des stummen Leidens bat ich nach etwas stärkerem und bekam Metaminzol intravenös. Aber auch das hatte ich damals schon mal erfolglos ausprobiert. Doch es schien mir hier jetzt etwas besser zu helfen.


3. Teil- Die Erlebnisse auf der Krankenstation

Ich wurde dann bald wieder auf mein Zimmer Nr.1377 gefahren und die Schmerzen hämmerten auf mich ein, als wollten sie mich zu Brei verarbeiten. Ich wagte nicht mich zu bewegen, denn das machte es noch schlimmer. Ich verfiel also wieder instinktiv in diese Schmerz starre und diese dauerte ganze drei Tage. Ich lag immer nur auf dem Rücken, alle Versuche in die Seitenlage zu kommen musste ich schon nach wenigen Sekunden abbrechen, es schmerze mich viel zu sehr.

Am 2.Tag entzündete sich die Wunde und die Schmerzen wurden immer stärker. Ich bekam immer noch Metaminzol, doch es reichte einfach nicht aus.
Am 3.Tag war ich schon morgens früh völlig verzweifelt. Ich konnte nicht aufstehen, nicht sitzen und langsam auch nicht mehr liegen. Mein Rücken und mein Popo brannten wie verrückt.
Die Schwestern sagten ich solle mich in den Stuhl setzen oder herumlaufen, doch das war völlig unvorstellbar.
Ich war am Ende meiner Kräfte, und endlich weinte ich wie schon ganz lange nicht mehr. Doch jeder Schluchzer tat mir unsagbar weh an den Bauchmuskeln.

Es war noch früh am Morgen als ich noch ganz verträumt aus dem Fenster schaute um das köstliche dunkelblau des Morgens in mich einzusaugen, als mich plötzlich eine große türkisfarbene Sternschnuppe wachrüttelte, die genau in der Mitte meines Fensters zu sehen war, so als war sie extra für mich an dieser Stelle niedergegangen.
Sie erinnerte mich daran dass das Leben dort draußen immer noch stattfand, und dass ich bald schon wieder zu diesen glücklichen zähen würde, die unter den Sternen, auf der nackten Rinde unseres Planeten umher wandeln und das einmalige Privileg haben das Wunder des Lebens zu zelebrieren.

Diese Sternschnuppe veränderte mein ganzes Bewusstsein. Ich verlangte ein stärkeres Schmerzmittel und bekam Dexketoprofen (25mg), was mir endlich wirkliche Linderung verschaffte. Ich weiß nicht wieso ich nicht schor viel früher etwas stärkeres verlangte, nun, vielleicht hatte ich das Vertrauen daran verloren, als ich wegen dem Blasenstein bis hin zu Valium alles an Schmerzmitteln ausprobierte und mir am Ende nur noch Marihuana wirklich etwas helfen konnte. Ich war mit dem GBS und dem Blasenstein durch eine sehr lange schmerzhafte Zeit hindurch gegangen und ich hatte meine ganz eigenen Wege gefunden damit umzugehen.

Und dann am 4. Tag geschah ein kleines Wunder! Meine Frau Claudia kam mich an diesem schlimmsten aller Morgende besuchen. Ich weinte mich an ihrer Schulter so richtig aus, Sie half mir auf die Toilette und ich machte endlich meinen schon längst Überfälligen ersten Schiss nach der OP. Das tat wirklich gut.
Aber ich war wirklich traurig und verzweifelt, und hatte eine scheiß Wut im Bauch. Ich hatte über die ganze Situation nachgedacht. Das mache ich oft um mir einen Überblick zu verschaffen, um so irgend einen Weg heraus finden zu können. Genau so wie ich auch früher schon immer auf Berggipfel gestiegen bin um meine Lage zu überdenken und um den richtigen Platz im Leben für mich finden zu können.

Ich fühlte irgendwie mit allen Patienten mit, die hinter jedem dieser Fenster sicher auch viele Schmerzen litten. Ich fand ein Krankenhaus sollte eher Schmerzenhaus heißen. Es gab hier 1200 Betten und das schiere Ausmaß des Leids in diesem Gebäude überwältigte mich.


4.Teil- Ein krankes System für kranke Menschen

Doch das war noch nicht alles: Ich hatte mir also einen dieser berüchtigten Krankenhaus-Keime eingefangen, genau wie mein Nachbar Antonio neben mir im Zimmer, und noch sicher viele weitere Patienten auf der Station. Dabei hatten sie mich schon von Anfang an prophylaktisch mit allen möglichen Antibiotika vollgestopft. Sie hatten also mein Immunsystem konsequent überrumpelt und es damit geschwächt anstatt es zu unterstützen und zu stärken für die Operation.
Diese Ärzte! Sie haben sich alle so auf ihr Antibiotika eingeschworen, etwa so, als sei Coca Cola das einzigste Lebensmittel auf Erden. Dabei wollen sie immer noch nicht sehen, dass sie sich selbst und die gesamte Medizin damit in eine fatale Sackgasse treiben. Je mehr Antibiotika auf der ganzen Welt verteilt wird, desto höher werden die Chancen dass sich dadurch resistente Keime bilden. Das ganze Gesundheitssystem wäre heute völlig machtlos gegen einen super-resistenten Keim. Schon heute mussten deswegen ganze Krankenhäuser geschlossen werden. Die Medizin steht an ihrem eigenen Abgrund und meint trotzdem zielsicher und mit Scheuklappen ihren Weg genau zu kennen.
Schon oft kam es mir so vor als das die Ärzte heutzutage mehr als Anwälte oder Verkäufer ihrer Profession fungieren. Mit allen sauberen und manchmal auch schmutzigen Tricks versuchen sie doch nur ihre unantastbare Glaubwürdigkeit zu erhalten, vermutlich auch hauptsächlich um sich damit stets vor Regressansprüchen schützen zu können. Schuld hat doch Grundsätzlich immer der Patient. Fehler können in so einer Atmosphäre einfach nicht zugegeben werden. Sie verkaufen den Leidenden Hoffnung mit ihren Diagnosen, aber sehr oft werden die Patienten (engl.: patient – geduldig!) gar nicht mal mehr wirklich angesehen. Ganzheitlich schon gar nicht. Ein Arzt im Centro de Salut hat ganze 7min. Zeit für einen Patienten, von der Begrüßung bis zur Ausstellung des Rezeptes.
Und diejenigen die den kranken Menschen dann wirklich helfen, die Krankenpfleger und Krankenschwestern sind alle schwer unterbezahlt und werden zu Akkordleistungen gedrängt, als behandeln sie Dinge auf einem Fließband. Eine gute Freundin von mir arbeitet in diesem Hospital. Sie hat mir gesagt dass nur noch die Oberschwestern ordentliche Verträge bekommen. Alle anderen arbeiten hier mit Jahresverträgen, ohne Lohnfortzahlung bei Krankheiten und mit weniger Urlaubstagen als normalerweise Erlaubt. Seit neustem müssen sie sich für ein internes Programm an einem unbezahlten extra Arbeitstag in der Woche in anderen Abteilungen einarbeiten, damit alle noch leichter austauschbar werden. Wer da nicht mitmacht kann gehen. Sie werden gezwungen an ihrem eigenen Ast zu sägen, und das bei dieser bis heute andauernden Arbeitslosigkeit und Aussichtslosigkeit, die hier in Spanien noch kein Ende gefunden hat.
All diese wundervollen Menschen, die ihr Leben und ihre ganze Arbeitskraft der größten und würdevollsten Aufgabe widmen die es hier auf Erden überhaupt geben kann, und genau diese müssen ausgerechnet unter fast unmenschlichen Arbeitsbedingungen arbeiten. Mir kommen oft die Tränen wenn ich sehe, dass sie ihre Arbeit trotz allem immer noch sehr gerne und mit Freude für die Patienten tun. Sie sind wirklich Tapfer.

Und ich, ein klitze kleines Lichtchen in diesem ganzen Gefüge liege nun mit einer dummen Infektion auf diesem kostbaren Krankenbett, auf das schon wieder sicher hunderte von Menschen sehnsüchtig warten die, wie auch ich, monatelang auf ihren Termin warten müssen. Antonio mein Zimmernachbar hatte eine schlimme Prostatavergrößerung. Er bekam einfach einen Harnröhren-Katheter und wartete damit ein ganzes Jahr bis er den erlösenden Anruf bekam! Unfassbar!

Nach all diesen finsteren und depressiven Gedanken über das Gesundheits-System, die ich aber nun hinter mir ließ, ging es nun steil bergauf. Die wunderschöne türkisblaue Sternschnuppe hatte mir wieder ein Ziel gegeben für das es sich lohnte zu kämpfen. Ich fing an im ganzen Krankenhaus herum zu laufen. Die Schmerzen wurden erträglicher und meine Laune klärte sich auf. Mein Herz öffnete sich wieder und ich konnte allen Menschen verzeihen für all das noch Ungelöste. Noch am Abend des selben Tages war ich ein ganz anderer Mensch. Ich hatte Hoffnung und Vertrauen und die Zeit spielte keine große Rolle mehr, denn ich war endlich wieder im JETZT angekommen. Wünschte mich nirgends wo anders hin als da wo ich war und die Welt war wieder in Ordnung wie sie eben ist. Mehr noch, sie war das größte Wunder an dem ich heute noch teilhaben durfte


5.Teil- Die Zimmernachbarn

Heute am 6. Tag sind die unglaublichsten schönen und schlimmen Dinge hier passiert. Zuerst das Schlimme:
Mein Zimmernachbar Antonio wurde heute hier entlassen. Bei der letzten Visite, vom Chefarzt der Station persönlich durchgeführt, fragte dieser harmlose, liebenswürdige, pensionierte, kleine, einfache Maurer aus Granada was denn da jetzt eigentlich schief gegangen war wegen seiner Infektion und... ob es hier im Krankenhaus vielleicht nicht wirklich sauber genug sei.... Ich traute kaum meinen Ohren was dann geschah: Barsch und lautstark wurde er vom Oberarzt regelrecht zusammen gestutzt, ...was er sich nur einbilden würde, alle Angestellten würden sich hier immer die allergrößte Mühe geben und wenn hier bei einem was schief lief, dann sicher wohl eher bei ihm in seinem verwirrten Kopf....
Der arme wusste gar nicht wie ihm geschah und saß erstmal eine ganze Stunde ganz verbittert da.
Doch mir wurde dadurch klar wo hier der Hase lang läuft. Sie haben hier massiv Probleme mit resistenten Keimen, und höllische Angst dass es raus kommt, denn dann können sie diese Station hier dichtmachen und der Oberarzt, der schon seit 35 Jahren brav seinen Dienst tut, kann seine Koffer packen. Nur deswegen, weil die Verantwortung einfach ihm auferlegt wird, in dem behauptet wird, dass er seine Mitarbeiter nicht gut genug im Griff hat, wenn sich solche Keime auf seiner Station breit gemacht haben.

Tatsache ist aber dass das ganze Problem ja von ganz woanders her kommt. Doch darüber darf nicht mal geredet werden. Es ist ein Tabu das sowohl Patienten als auch die Ärzte einhalten. Hinter allem steht die allmächtige Pharma-Maffia, die so viele Antibiotika und Schmerzmittel verkaufen wollen wie nur irgend möglich. Das ganze System ist eigentlich dafür verantwortlich, aber es wird einfach auf die Ärzte abgewälzt, die dann ihre unschuldigen Köpfe dafür herhalten müssen. Wie lange das wohl noch gutgeht?
So kann es sein, dass die erfahrensten und besten Ärzte gefeuert und durch junge billigere ersetzt werden, was aber nicht nur die Kosten senkt, sondern auch die Qualität. Aber wen sollte das überhaupt kümmern....

Gleich nach dieser Show wurde meine stark entzündete Wunde behandelt, es haben sich jetzt schon 2 große Löcher in der Narbe gebildet und es musste geprüft werden ob unter der ersten zusammen geklammerten Schicht eine offene Verbindung besteht. Salzwasser wurde in ein Loch hineingedrückt und es kam aus dem anderen wieder heraus! Also musste jetzt auch die Bauchdecke unter der Haut mit hochreinen Tüchern gereinigt werden. Er fädelte eine Gaze zu einem Loch hinein und zum anderen wieder heraus. Eine makabere Prozedur, bei der einem sicher nur vom zusehen schon schlecht werden konnte. Aber das Gefühl und die Schmerzen dazu waren wirklich mehr als widerlich.

Jetzt aber schnell zu den schönen Dingen bevor euch allen hierbei auch noch schlecht wird:
Kurz vor diesem Arzt-Desaster kam kurz noch eine alte Freundin von Antonios Frau zu Besuch, sie wohnt wie ich auch irgendwo in den Alpujarras. Sie war vielleicht so um die Mitte 60 und ich würde sagen, dass sie genau wie jede dieser doch ziemlich Spießig anzusehenden älteren spanischen Frauen aussah, die man hier und da in der Stadt treffen kann. ….Und da nimmt diese einfach Antionios Kopf in ihre beiden Hände und redet ein paar Minuten ganz beruhigend auf ihn ein und macht noch irgend einen Zauber. Dann drehte sie sich um zu mir, betrachtete etwas besorgt meine Wunde am Bauch, legte ihre Hände in 10cm Abstand darüber und gab mir 2Minuten lang Reiki, dann sagte mir noch das jetzt alles wieder gut werden würde und verschwand mit einem kurzen tschüss, genau wie eine gute Zauber-Fee. Ich war einfach nur sprachlos. So etwas hätte ich von dieser Frau niemals erwartet.
Da kann man mal wieder sehen, wie sehr ich noch im Schubladendenken feststecke.... hahaha!

Dann ging ich eine kleine Runde durchs Krankenhaus spazieren und als ich wieder kam sagten sie mir ganz aufgeregt dass ein grauhaariger Arzt aus der UVI nach mir gesucht habe. Das konnte nur mein Lieblingsarzt von damals gewesen sein. Sofort lief ich runter in den 2.Stock, ich kannte ja immer noch den Tür-Code zur Intensivstation... 2-4-5-6
Wir redeten eine ganze Weile, er hatte sich bei dem Chirurg der mich operiert hatte erkundigt und erfahren dass alles bestens lief, und dass der Stein diese typische Rundung aufwies, wie sie wohl immer bei Katheter-Steinen auftritt, und dass ich nicht damit rechnen musste dass der Stein durch irgend eine andere Störung in mir entstanden sei. Ich wäre schon bald wieder ganz gesund und könnte mich freuen den kommenden Sommer zu genießen. Ich hätte ihn am liebsten abgeknutscht, dieser Süße! Er hatte mir so sehr geholfen einen schnelleren Termin für die Aufnahme meines Falls zu bekommen und das hatte mir 2 ganze Monate Wartezeit erspart. Und er hatte sich nach einer E-Mail-Anfrage an ihn die Mühe gemacht nachzufragen wann etwa mein Termin sein würde..... und ich kenne ja auch diese Schreckschraube die einem das nur erzählen kann....
Er ist wirklich zu unserem Familien-Engel hier geworden.

Heute ist der 7.Tag, der an spannenden Ereignissen den letzten in nichts nachsteht. Meine Wunde sieht viel besser aus. Die Infektion scheint vorbei zu sein und der Heilungsprozess nimmt seinen Verlauf. Heute wurde der Katheter diesmal ohne Komplikationen entfernt.
Die Blase ist jetzt hoffentlich dicht und das Pinkeln macht wieder unheimlich Spaß. Es ist keine Schmerzhafte und langwierige Prozedur mehr, sondern eine ungewohnt schnelle Erleichterung mit einem so dickem Strahl, wie ich ihn nur aus meiner Jugend her kenne. Mal sehen ob das jetzt so bleibt, oder ob es nur eine vorübergehende Erweiterung der Harnröhre vom Katheter ist.
Ich kann wieder laufen ohne Behinderung, zwar noch mit Schmerzen im Unterbauch, aber kein Vergleich zu Vorher. Super, ich spüre: Alles wird wieder gut.


6.Teil- Mein neuer Nachbar der Multi-Millionär

Manuel Jesus, jetzt mein neuer Zimmernachbar, ist wirklich ein spannender Vogel. Als er gestern von seiner Prostata-OP in mein Zimmer kam, stand er vermutlich noch unter dem Einfluss der partiellen Betäubung. Er kam mir zuerst vor wie ein alter noch etwas angetrunkener Zigeuner mit schrecklich schlechter und unverständlich andalusischer Aussprache. Er redete wie ein Radio gleichzeitig auf vier seiner Verwandten ein, die ihm aber alle ganz brav zuhörten, obwohl sie dabei sehr müde auf mich wirkten. Ich machte mir zuerst gar nicht die Mühe verstehen zu wollen über was er alles sprach, aber ich dachte mir schon da, dass er irgend ein dickes Tier in seiner Familie sein musste. Er war gewiss irgend eine Berühmtheit, ein Zigeunerbaron oder vielleicht ein pensionierter Politiker? Er hatte etwas besonderes, wie ein guter Lehrer der seine Schüler fesseln konnte, eine Art magische Anziehungskraft und eine sanfte Autorität.

Doch die erste Nacht mit ihm war schlimm, er schnarchte entsetzlich und vergaß sein Radio abzuschalten als er einschlief. Er legte es einfach samt den unaufhörlich zwitschernden Kopfhörern auf sein Nachttischehen. Und weil es in Granada des Nachts sehr ruhig ist verstand ich fasst jedes Wort und konnte höchstens für 3 Stunden schlafen. Die Nachtschwester hatte keine Idee wie man diesen Apparat ausschalten konnte, und wir versuchten einfach ein Handtuch draufzulegen, was leider wenig nützte. Was für ein schräger Vogel, dachte ich mir, wenn er nicht selbst ununterbrochen auf seine Mitmenschen einredete, dann musste es sein Radio für ihn tun. Er selbst schlief dabei natürlich wie ein Stein.
Es fiel mir also anfangs gar nicht so leicht mit ihm, doch der Morgen entspannte meinen Groll. Es stellte sich nämlich heraus dass wir sehr vieles gemeinsam haben und so einiges unfassbar Gegensätzlich ist, was die Sache für uns beide wirklich interessant machte.

Er fing an mir aus seinem Leben zu erzählen und mir wurde dabei fasst schwindelig.....
Er ist Pensioniert und wenn er arbeitet dann nur zum Spaß. Er besitzt mehrere Fincas mit insgesamt 45 Angestellten, die Olivenöl herstellen, hat einige luxuriöse Häuser direkt am Meer, eines mit einem Naturschutzgebiet dahinter, ein riesiges direkt im Zentrum von Malaga, eines in Granada.... Er ist aber hauptamtlich Modedesigner für bekannte Marken aus Italien, Er hat ein exklusives Geschäft im Zentrum von Malaga. Zu seinen exklusiven Kunden zählen Leute wie Picasso. Er fährt einige Mercedes und hat aus reiner Nostalgie sogar irgendwo noch eine nagelneue Ente und einen Fabrikneuen Fiat 500 in seiner Garage stehen. Sogar ein E-Bike hat er sich mal gekauft, aber nur 2x gefahren. Er fährt nicht gerne Auto und reist deswegen am liebsten in Luxusbussen umher. Er spielt auch gern Klavier, hat 4 Klaviere und einen hundert Jahre alten Flügel aus England. Seine vielen Kinder sind entweder Ärzte oder haben hohe Positionen... und diese Liste wäre sicher noch endlos fortzusetzen.....
Zuerst konnte ich all das kaum glauben, war er vielleicht einfach nur ein Hochstapler? Doch ich glaube ihm, als ich seine Kinder sah. Aber spätestens bei der Arzt-Visite wurde mir klar, das ich es hier mit einem wahren Multi-Millionär zu tun hatte. Ich hatte noch nie so viele Ärzte gleichzeitig im Zimmer gesehen, die ihm allesamt in den Arsch krochen. Als dann noch eine aus der Küche kam um mit ihn eine Liste durchzugehen was er denn gerne essen wollte und sogar eine Putzfrau mit einer großen Leiter auftauchte, die den Fernseher und die Klimaanlage sogar von oben entstaubte, waren all meine Zweifel restlos beseitigt.
Manuel hat wirklich alles erreicht was man so in der Gesellschaft erreichen kann. Und normalerweise mache ich ja lieber einen galanten Bogen um solche Leute Aber was mir Manuel dann wirklich sympathisch gemacht hatte war, als er mir erklärte dass der hier nach seiner OP erst einmal einen richtig fetten Urlaub um die halbe Welt machen wird, weil er jetzt auf einmal daran denkt, dass er sein ganzes Geld nicht mitnehmen kann wenn der einmal stirbt. Er ist jetzt 68, und hat voll begriffen, dass das Leben nur im jetzt und hier stattfindet.
Echt spannend, wir beide sitzen hier zusammen in einem kleinen Zimmer, beide haben wir unsere Kleider abgegeben und tragen die selben hellblauen Sträflingsanzüge. Zwei Männer, die gegensätzlicher kaum sein könnten, der eine reich der andere vergleichsweise arm, und doch sind wir beide spirituell auf gleichem Level, total glücklich und zufrieden weil wir beide wissen was wirklich zählt im Leben.
Er sagte, ihm bleibe jetzt nur noch sich darum zu kümmern all seine Besitztümer gut zu verteilen, damit alles wirklich einen Zweck gehabt hätte. Denn er braucht all das nicht mehr wirklich. Jetzt liebt er die einfachen Dinge des Lebens viel mehr.
Wir erzielten uns Stundenlang über unsere tiefen Erfahrungen im Leben und lernten uns rasend schnell kennen und lieben. Ich zeigte ihm Bilder von unserem Holzhaus, meinem Solar-Moped und der Werkstatt. Spielte ihm meine letzten Klavier-Aufnahmen vor. Er war total begeistert und versprach mir mich bald zu besuchen.
Seine Tochter, eine Ärztin in Malaga kam zu Besuch. Ich gab ihr meinen GBS-Krankheitsbericht und sie verschlang es und war hingerissen, vor allem wegen meiner Beschreibung der anderen Realität des Jenseits. Es entspreche genau ihrem Bild sagte sie mir begeistert. Sie will versuchen ihn in einem Krankenhaus-Magazin unterzubringen.

Selten in meinem Leben hatte ich so fruchtbare Begegnungen gehabt.
Dann kam der Tag an dem er entlassen wurde, er marschierte mit seinem blauen Krankenhaus-Kostüm ins Bad und als er wieder herauskam sah er original aus wie einer aus einem dieser Mafiosi-Filme. Wir mussten beide darüber lachen und umarmten uns herzlichst zum Abschied.
Ich war total gerührt über die Offenheit dieses Mannes. Er wusste alles aus der spirituellen Welt, er hatte alles und ist bereit es loszulassen, und er war ein genauso glücklicher Mensch wie ich. Unfassbar, er ist jetzt wirklich mein Freund! Wir haben schon einmal telefoniert und viel zusammen gelacht. Er ist wirklich ein wahrer Gentleman !
Ich habe beschlossen mir einen Nadelstreifen-Anzug zu besorgen, nur um ihn, und vielleicht auch meine Eltern, das nächste Mal damit zu überraschen.


7.Teil- Die Zeit wird langsam lange

Meine Wunde hat sich vielleicht wieder infiziert und heilt einfach nicht zu. Heute ist schon der 15.Tag im Krankenhaus. Es wird mir jetzt schon etwas langweilig und Claudia bräuchte auch dringend mal eine Pause mit den Kindern. Sie hat auch Schmerzen an ihrem Arm und obendrein noch ihre Tage bekommen. Und wir vermissen uns alle so sehr. So gerbe würde ich jetzt endlich nach Hause gehen, doch ich muss wohl noch eine weitere Woche hier bleiben. Die klaffende Wunde an meinem Bauch ist so groß wie ein Teelöffel und nässt unaufhörlich. Aber es tut Gottseidank nicht besonders weh und ich nehme schon seit 6 Tagen keinerlei Schmerzmittel mehr.
Täglich wandere ich im Krankenhaus umher, kenne alle Gänge, Feuertreppen und versteckten Balkone, trainiere meine Kondition im großen Treppenhaus des 11 stöckigen Hauptbaus. Es vergeht kaum ein Tag an dem ich nicht meine 500 Treppenstufen rauf und runter laufe.

Die Tage sind schon heiß, in der Mittagszeit sind es manchmal 35 Grad im Schatten. Doch ich scheine hier einer der wenigen zu sein, die das lieben. Die meisten Spanier verkriechen sich bei diesen Temperaturen in abgedunkelte Räume und schalten die Klimaanlage ein.
Ich sehe die Leute hier kommen und gehen, habe schon viele Patienten von hier verabschiedet die entlassen wurden. Fühle mich schon ein wenig wie ein Ladenhüter hier, den sie nicht losbekommen. Doch so habe ich das Privileg einige der ausgesprochen netten Krankenschwestern und Pfleger etwas besser kennenzulernen. Bei vielen bin ich schon wieder sowas wie der Liebling der Station geworden. Fast alle hier grüßen mich und lächeln mich an, wie bei einen Kollegen. Auch die Putzfrauen.... Es wird nie viel geredet, außer wie geht’s heute usw., was gäbe es auch mehr zu sagen. Die Konversationen aller Patienten ähneln sich hier wie eine endlose Reihe von Spiegelbildern in Spiegelbildern. Doch gerade das macht es, das man hier eher mit den Augen und einem Lächeln kommuniziert. Es ist eher ein gesehen werden in diesem Durcheinander von ständig wechselnden Leuten, und das Lächeln bezeugt das Maß der Sympathie, die man für jemanden empfinden kann, was mir ja meist nie besonders schwer fällt.
Also lächle ich mich so durch die Tage, höre viel Musik, lese in meinem Roman „Der Junge ohne Schatten“ von Michael Roads. Oder schreibe hier an diesem Bericht weiter. Langsam genieße ich es wie einen Erholungs-Urlaub mit Vollpension.
Und die Tage rutschen immer schneller an mir vorbei, weil die tägliche Routine sie schon wieder eingeebnet hat. Alltag im Krankenhaus... Das kenne ich doch von irgendwo her.... In der Tat bin ich, was das betrifft, ja ein alter Hase.



Heute ist mein 16.Tag im Krankenhaus. Der Chefarzt hatte gestern bei der Visite eine gute Idee. Er vermutete dass meine Blase auf Grund der Infektion vielleicht doch noch nicht ganz dicht ist und der Urin in den Bauchraum gelangt und dann auch durch die Wunde austritt, und sie deswegen immer noch so sehr nässt. Er hat mir wieder einen Katheter verordnet um zu sehen ob seine Theorie stimmt. Und sie stimmte, heute ist meine Wunde fasst trocken geblieben. Klar ist es unangenehm und lästig einen Katheter zu haben, aber wenn es dazu beiträgt dass alles gut wird bin ich mehr als froh darüber. Meine unerschütterliche positive Einstellung hilft mir mal wieder sehr auch das alles zu meistern.

Heute ist der 17.Tag. Die Wunde nässt leider immer noch, doch trotzdem wollen sie den Katheter erstmal drin lassen, um sicher zu gehen. Also wieder warten bis Montag, dann wird weiter entschieden. Wenn sie bis dahin aufgehört hat zu nässen, kann sie wieder genäht werden. Und dann wird’s spannend ob sie sich nicht wieder infiziert.
Seit gestern plagen mich Hautausschläge die ich durch das Pflaster oder durch das Antibiotika (Ciprofloxacin) bekommen habe. Ich hatte schon leichte Panik das es eine beginnende Gürtelrose sein könnte, aber die Ärzte sagen es sei nichts weiter als eine empfindliche Reaktion meiner Haut. Claudia war heute da mit den Kindern, auch sie wirkte sehr ausgebrannt auf mich. Die Zeit wird lange und die Reserven werden knapp. Ich denke ich brauch jetzt mal wieder etwas Magic!

Der 19.Tag ist jetzt angebrochen. Ich war sehr müde die letzten 2 Tage und habe unheimlich viel geschlafen. Gestern bin ich nur einmal zum Duschen aufgestanden. Ich hoffte dass die Ruhe und der Schlaf meinem Körper vielleicht die Zeit und Kraft gibt die Wunde zu heilen. Sie nässt jetzt deutlich weniger aber dennoch weiterhin zu viel, um sie nähen zu können. Der Katheter ist jetzt schon wieder 5 Tage drin und nervt mich auch schon wieder. Die Hautausschläge sind zwar größer geworden, aber sie haben sich etwas beruhigt, jucken nur noch leicht und sind etwas rot. Der Rücken tut mir schon wieder weh vom vielen liegen. Ich weiß jetzt auch nicht mehr weiter, ich tappe im Dunkeln. Was immer ich auch versuche, es scheint mich nicht weiter zu bringen. Einzig die Hoffnung das auch das hier irgendwann ein Ende haben wird hält mich jetzt noch über Wasser.


8.Teil- Die Hoffnung stirbt zuletzt

Der 20.Tag brachte mir wieder einen neuen Energieschub, ich überwand meine Depression und konnte wieder alles positiver sehen. Mir wurde klar, dass ich im Vergleich mit den meisten anderen Patienten hier, immer noch die Jokerkarte gezogen hatte. Ich habe ja keine wirklich schlimme Krankheit, kann auf 100%ige Genesung hoffen und selbst die Schmerzen sind eigentlich lächerlich gering.
Aber immer wieder verschließt sich mein sonst so offenes Herz und badet sich in Selbstmitleid, bis sich mein Bewusstsein wieder daraus erhebt und alles relativiert. Dann öffnet sich auch wieder mein Herz und ich kann die Liebe zu allen Menschen wieder spüren und auch fließen lassen. Und ich sehe dann erst wieder die Tapferkeit aller Menschen und kann gar nicht anders als sie alle dafür zu bewundern, diesen vielfältigen und oft so schweren Anforderungen des Lebens standzuhalten.
Von der Putzfrau, die seit 30 Jahren jeden Tag die selben Zimmer putzt und dabei mit einer entsetzlichen Langeweile kämpft;
Die Kranken-Pfleger und -Schwestern die ihr Leben lang hier immer nur Krankheit und Leid vor Augen haben und trotz den immer wiederkehrenden selben Bedürfnissen ihrer Patienten darum ringen, sie nicht als Dinge sondern als Menschen zu behandeln;
Die Ärzte denen von Seiten ihrer Chefs aber auch von ihren Patienten eine Verantwortung aufgetragen wird die im Grunde kein Mensch zu tragen im Stande ist;
Und all die Patienten, die von Schmerzen gemartert nicht selten dem Tod ins Auge blicken müssen, oder in Scharen rat- und hilflos in Wartezimmern sitzen und auf verzweifelt auf eine Abhilfe ihrer Leiden hoffen.
Bis hin zu den Angehörigen und Besuchern, die trotz ihrer eigenen Ängste, Schmerzen und Langeweile versuchen den Kranken ihre positive Kraft zu geben.
Für alle hier ist ein solches Krankenhaus ein sehr seltsamer und grausamer Ort. Und doch steckt dieses Haus auch so voller Hoffnung, Liebe und Mitgefühl, wie sie sonst nur sehr selten zu finden ist.

Ich lese gerade die Memoiren von meiner alten Freundin Cathy, die schon ihr Leben lang mit einer chronischen Tuberkulose zu kämpfen hat. Darin beschreibt sie eine Begegnung mit einem Buddhistischen Lama den sie bezüglich ihrer vielen körperlichen Leiden um einen Rat gefragt hatte. Er fragte sie, ob sie wolle das irgend jemand anderes ihr Leid für sie tragen solle und sie verneinte, denn sie könne ihr Leid wirklich keinem anderem zumuten. Dann sagte der Lama das wir alle ein Stück des gesamten Leides auf der Welt zu tragen haben und das uns dabei immer nur so viel zugemutet wird wie wir es auch ertragen können.
Und daran denke ich jetzt immer wenn ich so durch das Krankenhaus schlender und all die kranken Menschen dort sehe. Überall so viel Leid und Schmerz, und jeder trägt doch seine kleine Hoffnung auf Besserung, auch wenn sie noch so klein und aussichtslos sein mag.

Ich habe hier schon wahre Helden getroffen was das betrifft. Z.B. Johanma ein wirklich fröhlicher Bursche aus Almeria im Nebenzimmer mit 42 Jahren. Er hatte vor 20 Jahren mit seinem Moped einen schlimmen Unfall mit einem LKW. Es hatte ihm sein ganzes Becken weg gerissen samt Blase, Penis und Hüftgelenken. Er bekam jetzt hier eine Penis-Prothese, mit der er auf Knopfdruck durch einen Plastikschlauch in einem Stück Haut und Fleisch das sie zu einer Art Penis geformt hatten, wieder halbwegs normal pinkeln konnte. Er hatte schon 20 Jahre als Dauerpatient hinter sich mit Hüft-Operationen, wieder gehen lernen, künstlicher Blase usw.... Schlimmer geht immer dachte ich mir nur.
Er wünscht sich jetzt nichts mehr als nochmal eine Frau zu treffen und mit ihr zusammen leben zu können, auch wenn er gar keine Geschlechtsteile mehr besitzt. Und ich sagte ihm das wenn er seine Hoffnung darauf niemals verlieren würde, dann würde sich sein Wunsch ganz sicher irgendwann erfüllen, auch wenn es jetzt noch so unwahrscheinlich und hoffnungslos aussehen mag. Die Hoffnung hat die Kraft wahre Wunder zu bewirken. Das weiß ich ja auch aus eigener Erfahrung, von damals, als ich dieses unverschämte Glück hatte meine geliebte Claudia kennenlernen zu dürften.

Oder Luis mein neuer Zimmernachbar hier mit Nierenkrebs, dem sie jetzt eine Niere entfernt haben obwohl seine zweite auch schon nicht mehr gut funktioniert. Er ist jetzt 70 und auch er hofft noch wenigstens ein paar Jahre leben zu können, ob mit Dialyse oder nicht, ganz egal wie. Der Krebs wird ihn sehr wahrscheinlich weiterhin Stück für Stück auffressen. Doch die Hoffnung leuchtet auch immer noch in ihm und gibt ihm die Kraft weiterzumachen, ...seine Schmerzen von der schweren OP auszuhalten, sich wieder und wieder aufzurappeln aus dem Bett, auf die Beine zu kommen, raus aus dem Krankenhaus.... bis zu seiner nächsten unvermeidlichen Runde mit dem Tod.

Ich bekomme hier wirklich eine sehr große Ehrfurcht vor dieser Hoffnung in uns Menschen. Sie ist eine gewaltige Kraft in uns. Und unser Überlebenswille begleitet uns bis zum allerletzten Atemzug. Doch wer weiß vielleicht auch noch danach! Wir sind ewige Seelen, ausgestattet mit dieser schier übernatürlichen Kraft des Lebens. Und auch wenn wir Menschen hier auf Erden auch noch so viele Dummheiten und Schandtaten vollbringen, auch wenn wir in unfassbar kindlicher Unwissenheit diesen ganzen einzigartigen Planeten hier zu Grunde richten, auch wenn wir bis heute die ewige Kette der Gewalt und des Leids nicht bezwingen konnten,... sind wir doch alle würdevolle Träger einer niemals endenden Hoffnung, die immer dem Leben und der Liebe zustrebt. Einer Kraft die definitiv stärker ist als alles andere auf der Welt.
Und selbst wenn wir uns auch noch so viel Mühe geben würden, wir würden das Leben auf diesem Planeten, dank dieser Hoffnung, niemals vernichten können. Das Leben ist stärker als der Tod, auch wenn es für uns sterbliche erstmal so aussieht als würde der Tod am Ende immer gewinnen. Doch wir übersehen dabei dass der Tod nicht wirklich das Ende ist, er ist nur der Wandel in eine andere Dimension, und diese Kraft der Hoffnung in uns ist unsterblich, denn wer weiß vermutlich hoffen wir nach dem Tod genauso munter weiter wie vorher! Vielleicht hoffen wir auf ein neues Leben, oder darauf dass unsere Liebsten uns unsere Fehler vergeben mögen, die noch leben, oder das wir endlich erlöst werden vom ewigen Rad von Tod und Wiedergeburt....
Kein Mensch weiß bis heute darüber etwas mit Sicherheit, auch wenn so viele, die schon solche Nahtoderlebnisse hatten wie ich, einiges an Puzzlestücken darüber zusammengetragen haben. Der Tod bleibt ein geheimes Mysterium, doch es lässt sich aus allen Berichten darüber eines mit großer Sicherheit sagen: Der Tod ist nicht das Ende, denn unser Bewusstsein ist nicht das Produkt unseres Körpers, sondern Umgekehrt.

Auch ich bin jetzt immer noch nicht am Ende meiner Krankenhaus-Zeit. Es wurde heute eine Kultur von einer Probe aus meinem Bauch angesetzt, die in 3 Tagen grünes oder rotes Licht gibt. Wenn der Keim nicht mehr da ist kann die Wundbehandlung im Gesundheits-Zentrum in Orgiva dem „Centro de Salut“ fortgesetzt werden.

Ich bin heute am 22.Tag dann doch ganz überraschend entlassen worden. Ich habe mir meinen Wunsch erfüllt und bin mit dem Bus heim nach Orgiva gefahren um meine Familie zu überraschen, was mir auch gelungen ist.
Die Fahrt war einfach wunderbar, der Buss fuhr über die alte Landstraße durch alle kleinen Dörfer und das bei wunderbaren Wetter, auch der Spaziergang von Orgiva nach El Morreon zeigte mir mal wieder wie wunderschön es hier ist und wie sehr ich Andalusien, meine neue Heimat, liebgewonnen habe.
Aber noch ist nicht alles überstanden, ich habe immernoch zwei riesen Löcher im Bauch und seit gestern auch noch ein Loch im Zahn, aber ich freue mich schon jetzt auf Manuel meinen Lieblingszahnarzt in Orgiva. Das Leben hier geht wieder weiter und ich bin mehr als glücklich wieder in meinem geliebten Zuhause zu sein.

Danke fürs viele Lesen, ich hoffe es hat euch gefallen.
euer
Michel