Mein Blasenstein - Der Bericht
1.Teil-
Der langersehnte Anruf
Endlich
gibt es gute Neuigkeiten!
Es
war wieder einer dieser Momente, die ich zur Zeit sehr oft erleben
darf, in denen ich mich so völlig gluecklich gefühlt und
unbeschreiblich dankbar war über all das, was mir gerade so alles
vom Leben geschenkt wird, Als endlich dieser so lang erwartete Anruf
aus der Klinik in Granada kam.
Keine
Stunde zuvor hatte ich noch mit Claudia darüber geredet, wo und in
welcher Situation mich wohl dieser vielleicht bedeutendenste Anruf
meines Lebens erreichen würde. Ob es ganz laut um mich herum sein
wuerde und ich den Hoerer verzweifelt gegen mein Ohr drücken müsste,
um nicht irgend ein Detail dieses wichtigen Anrufs zu verpassen? Oder
ob er mich in der Ruhe und dem Frieden einer gefassten und
gemütlichen Stimmung erreichen wuerde?
Und
doch immer wieder stand diese grösste aller Fragen über all solchen
Gedanken: WANN ich endlich diesen Anruf erhalten würde.
Ich
warte jetzt skandalöse 5 Monate auf eine Behandlung meines so
schmerzhaften Blasensteins!
Mein
Termin zum Einchecken ins Krankenhaus ist jetzt am Mittwoch den
30.April um 8:00 Morgens. Da ich nüchtern und auch ohne getrunken zu
haben kommen soll nehme ich an, dass die OP noch am gleichen Tag
stattfinden wird.
Irgendwie
hatte ich mir sowas schon fasst gedacht. Mein Schicksal würde den
Termin sicher so lange herauszögern, bis mir das elende Leben der
letzten Monate mit all meinen Schmerzen gar nicht mehr so elend
vorkommen würde. Und Tatsächlich, ich habe in den letzten Tagen
viel weniger Schmerzen gehabt, war einfach nur glücklich gewesen das
Leben zu geniessen. Die Schmerzen hatten mich nicht mehr
beeintächtigt das Leben zu lieben.
Ich
war mit meinen Kindern, meiner Frau, und meinen Eltern an der Playa
Cabria. Gerade war ich barfuss im noch kalten Wasser mit meinen
beiden zuckersüssen Kindern an einem Menschenleeren Strand entlang
gelaufen. Wir hatten bei ein paar schwarzen Felsen warme Pfützen
gefunden in dem wir unsere Füsse badeten, als mir eine ausgesprochen
schöne Frau auffiel, die den Strand entlang joggte. Einen Augenblick
später erkannte ich, das es Claudia war die da mit meinem Handy
wedelnd auf mich zugerannt kam. Sie stahlte mich an wie eine Sonne.
Ich wusste es sofort, es war der lang ersehne Anruf aus der Klinik.
Diese
schwere schwarze Wolke der Ungewissheit, die mich die letzten Monate
beschattete wurde kurzerhand weggepustet durch diese einfache
Gewissheit jetzt schon übermorgen diese so überaus schmerzlich
ersehne medizinische Hilfe zu bekommen.
Diese
neue Aussicht auf ein neues Leben ohne Schmerzen, in dem ich dann
wieder mehr als 50m laufen kann, in dem ich dann wieder weiter
trainieren kann, um noch die letzten Behinderungen meiner GBS
Erkrankung endlich loszuwerden, in dem ich die Chance habe wieder ein
völlig gesundes und fittes Leben zu erhalten. All das liegt jetzt
wieder in sehr greifbarer Naehe. Ich könnte platzten vor Glück!
2.Teil-
Im Herz des Krankenhauses
Die
Operation fand im selben Stockwerk und keine 25m Luftlinie von dem
Ort statt, an dem ich 19 Monate vorher mit meinem GBS so lange auf
der Intensivstation lag.
Doch
diesmal war es so, als brächten sie mich in das wahre Herz des
Krankenhauses. Ein achteckiger Raum, vielleicht so groß wie meine
Holzhütte, in der Mitte eine schmale harte schwarze Bare, die mir
darin fasst schon wie ein Opfer-Tisch vor kam. Auf dem Boden waren
rote Blutspuren, die sich auf dem Linoleum schon nicht mehr richtig
wegputzen ließen. Drei riesige, mit tausenden von LEDs bestückten
und in alle Richtungen schwenkbare Lampen hingen von der Decke wie
Krakenaugen. Es war kalt hier, ich begann zu zittern, vor Kälte oder
vor Nervosität konnte ich nicht genau sagen, als sie mich danach
fragten.
Die
Spritze bewirke dass mir plötzlich sehr warm und wohlig wurde. Ich
bekam eine Rückenmarks-Anästhesie, was nur den unteren Teil des
Körpers gefühllos machte. Ich musste eingeschlafen sein, denn als
ich aufwachte spürte ich nur noch wie sie noch ein paar Minuten an
mir herum werkelten und die 9cm große Öffnung an meinem Unterbauch
schon wieder zu klammerten. Dann wurde ich, noch halb benommen, in
die UVI geschoben und mit jeder Menge Kabeln an Überwachungsmonitore
angeschlossen. Die selbe Station in der ich so lange war, nur der
Raum auf der anderen Seite.
Meine
Hände suchten unter der warmen Decke meine Oberschenkel und ich
erschrak ein wenig als sie sich wie ein ganz fremder Körper
anfühlten. Sie waren warm und ich spürte die kleinen Härchen auf
meiner Haut, aber ich bekam von innen keinerlei Rückmeldung. Aber
richtig skurril wurde das erst, als ich meinen Penis anfasste. Er kam
mir viel größer vor und auch so als sei er nicht von mir. Ich war
irritiert, ich kann mich gar nicht erinnern je den Penis eines
anderen Mannes angefasst zu haben, aber genau so fühlte es sich an.
Wenn
ich versuchte meine Füße zu bewegen war es wie mit meinem Willen
gegen eine dicke Mauer aus Schaumstoff anzukämpfen, gar nichts
bewegte sich dabei. Mein Wollen verlor sich in eine schwarze Leere,
aus der auch nicht mal das leiseste Echo zu mir zurück drang.
All
das kam mir ganz furchtbar bekannt vor. Als ich damals, vor gar nicht
allzu langer Zeit, genau hier nebenan mit meinem GBS rang war mein
ganzer Körper so gewesen. Ich konnte nicht einmal mehr sprechen. Es
war vielleicht wie Isolationshaft aber in einer noch viel grausameren
Perfektion.
Und
wiedermal wurde mir bewusst wie überaus kostbar unsere Fähigkeit
des Fühlens überhaupt ist. All diese Gefühle, seien sie nun
angenehm oder schmerzhaft, ganz egal, ….sie sind unsere einzige
Verbindung zum ganzen materiellen Rest dieser unfassbar wundervollen
Welt.
Unsere
Körper, ein Millionen Jahre altes Produkt des Lebens auf diesem
Planeten, das uns mit all seinen unglaublich vielen Details an
Überlebenskünsten eben
immer genau das zu ermöglichen versucht.
Und
wir Banausen tun normalerweise nichts anders, als all das einfach nur
für ganz selbstverständlich zu halten.
Es
begann dann bald in den Beinen zu kribbeln, genau so wie wenn ein
eingeschlafener Fuß langsam wieder zum Leben erwacht. Die ersten
kleinen Bewegungen waren wieder möglich, aber es kostete noch viel
zu viel Anstrengung. Mit dem Gefühl kamen dann auch schon die
Schmerzen. Die Operationsstelle fing an zu pochen. Mir wurde klar,
dass meine lange Leidenszeit immer noch nicht zu Ende sein würde,
eine neue Runde wurde eingeleitet, doch ich fühlte mich gewappnet
und Erfahren genug um auch noch diese zu meistern. Eine Schwester
fragte mich ob ich Schmerzen hätte und hing mir eine kleine
Plastiktüte mit 100mg flüssigem Paracetamol an meinen Tropf. Ich
war irgendwie baff!
Ich
nehme wirklich nicht sehr oft Schmerzmittel, aber selbst eine
Tablette mit 600mg Paracetamol bewirkte noch vor kurzem rein gar
nichts bei mir, als ich versuchte die üblen Schmerzen meines
Blasensteins in den Griff zu bekommen. Was sollten dann 100mg gegen
die Schmerzen eines operativen Eingriffs bewirken können. Nach einer
guten Weile des stummen Leidens bat ich nach etwas stärkerem und
bekam Metaminzol intravenös. Aber auch das hatte ich damals schon
mal erfolglos ausprobiert. Doch es schien mir hier jetzt etwas besser
zu helfen.
3.
Teil- Die Erlebnisse auf der Krankenstation
Ich
wurde dann bald wieder auf mein Zimmer Nr.1377 gefahren und die
Schmerzen hämmerten auf mich ein, als wollten sie mich zu Brei
verarbeiten. Ich wagte nicht mich zu bewegen, denn das machte es noch
schlimmer. Ich verfiel also wieder instinktiv in diese Schmerz starre
und diese dauerte ganze drei Tage. Ich lag immer nur auf dem Rücken,
alle Versuche in die Seitenlage zu kommen musste ich schon nach
wenigen Sekunden abbrechen, es schmerze mich viel zu sehr.
Am
2.Tag entzündete sich die Wunde und die Schmerzen wurden immer
stärker. Ich bekam immer noch Metaminzol, doch es reichte einfach
nicht aus.
Am
3.Tag war ich schon morgens früh völlig verzweifelt. Ich konnte
nicht aufstehen, nicht sitzen und langsam auch nicht mehr liegen.
Mein Rücken und mein Popo brannten wie verrückt.
Die
Schwestern sagten ich solle mich in den Stuhl setzen oder
herumlaufen, doch das war völlig unvorstellbar.
Ich
war am Ende meiner Kräfte, und endlich weinte ich wie schon ganz
lange nicht mehr. Doch jeder Schluchzer tat mir unsagbar weh an den
Bauchmuskeln.
Es
war noch früh am Morgen als ich noch ganz verträumt aus dem Fenster
schaute um das köstliche dunkelblau des Morgens in mich einzusaugen,
als mich plötzlich eine große türkisfarbene Sternschnuppe
wachrüttelte, die genau in der Mitte meines Fensters zu sehen war,
so als war sie extra für mich an dieser Stelle niedergegangen.
Sie
erinnerte mich daran dass das Leben dort draußen immer noch
stattfand, und dass ich bald schon wieder zu diesen glücklichen
zähen würde, die unter den Sternen, auf der nackten Rinde unseres
Planeten umher wandeln und das einmalige Privileg haben das Wunder
des Lebens zu zelebrieren.
Diese
Sternschnuppe veränderte mein ganzes Bewusstsein. Ich verlangte ein
stärkeres Schmerzmittel und bekam Dexketoprofen (25mg), was mir
endlich wirkliche Linderung verschaffte. Ich weiß nicht wieso ich
nicht schor viel früher etwas stärkeres verlangte, nun, vielleicht
hatte ich das Vertrauen daran verloren, als ich wegen dem Blasenstein
bis hin zu Valium alles an Schmerzmitteln ausprobierte und mir am
Ende nur noch Marihuana wirklich etwas helfen konnte. Ich war mit dem
GBS und dem Blasenstein durch eine sehr lange schmerzhafte Zeit
hindurch gegangen und ich hatte meine ganz eigenen Wege gefunden
damit umzugehen.
Und
dann am 4. Tag geschah ein kleines Wunder! Meine Frau Claudia kam
mich an diesem schlimmsten aller Morgende besuchen. Ich weinte mich
an ihrer Schulter so richtig aus, Sie half mir auf die Toilette und
ich machte endlich meinen schon längst
Überfälligen
ersten Schiss nach der OP. Das tat wirklich gut.
Aber
ich war wirklich traurig und verzweifelt, und hatte eine scheiß Wut
im Bauch. Ich hatte über die ganze Situation nachgedacht. Das mache
ich oft um mir einen Überblick
zu verschaffen, um so irgend einen Weg heraus finden zu können.
Genau so wie ich auch früher schon immer auf Berggipfel gestiegen
bin um meine Lage zu überdenken und um den richtigen Platz im Leben
für mich finden zu können.
Ich
fühlte irgendwie mit allen Patienten mit, die hinter jedem dieser
Fenster sicher auch viele Schmerzen litten. Ich fand ein Krankenhaus
sollte eher Schmerzenhaus heißen. Es gab hier 1200 Betten und das
schiere Ausmaß des Leids in diesem Gebäude überwältigte
mich.
4.Teil-
Ein krankes System für kranke Menschen
Doch
das war noch nicht alles: Ich hatte mir also einen dieser
berüchtigten Krankenhaus-Keime eingefangen, genau wie mein Nachbar
Antonio neben mir im Zimmer, und noch sicher viele weitere Patienten
auf der Station. Dabei hatten sie mich schon von Anfang an
prophylaktisch mit allen möglichen Antibiotika vollgestopft. Sie
hatten also mein Immunsystem konsequent überrumpelt und es damit
geschwächt anstatt es zu unterstützen und zu stärken für die
Operation.
Diese
Ärzte! Sie haben sich
alle so auf ihr Antibiotika eingeschworen, etwa so, als sei Coca Cola
das einzigste Lebensmittel auf Erden. Dabei wollen sie immer noch
nicht sehen, dass sie sich selbst und die gesamte Medizin damit in
eine fatale Sackgasse treiben. Je mehr Antibiotika auf der ganzen
Welt verteilt wird, desto höher werden die Chancen dass sich dadurch
resistente Keime bilden. Das ganze Gesundheitssystem wäre heute
völlig machtlos gegen einen super-resistenten Keim. Schon heute
mussten deswegen ganze Krankenhäuser geschlossen werden. Die Medizin
steht an ihrem eigenen Abgrund und meint trotzdem zielsicher und mit
Scheuklappen ihren Weg genau zu kennen.
Schon
oft kam es mir so vor als das die Ärzte
heutzutage mehr als Anwälte oder Verkäufer ihrer Profession
fungieren. Mit allen sauberen und manchmal auch schmutzigen Tricks
versuchen sie doch nur ihre unantastbare Glaubwürdigkeit zu
erhalten, vermutlich auch hauptsächlich um sich damit stets vor
Regressansprüchen schützen zu können.
Schuld hat doch Grundsätzlich
immer der Patient. Fehler können in so einer Atmosphäre einfach
nicht zugegeben werden. Sie verkaufen den Leidenden Hoffnung mit
ihren Diagnosen, aber sehr oft werden die Patienten (engl.: patient –
geduldig!) gar nicht mal mehr wirklich angesehen. Ganzheitlich schon
gar nicht. Ein Arzt im Centro de Salut hat ganze 7min. Zeit für
einen Patienten, von der Begrüßung bis zur Ausstellung des
Rezeptes.
Und
diejenigen die den kranken Menschen dann wirklich helfen, die
Krankenpfleger und Krankenschwestern sind alle schwer unterbezahlt
und werden zu Akkordleistungen gedrängt, als behandeln sie Dinge auf
einem Fließband. Eine gute Freundin von mir arbeitet in diesem
Hospital. Sie hat mir gesagt dass nur noch die Oberschwestern
ordentliche Verträge bekommen. Alle anderen arbeiten hier mit
Jahresverträgen, ohne Lohnfortzahlung bei Krankheiten und mit
weniger Urlaubstagen als normalerweise Erlaubt. Seit neustem müssen
sie sich für ein internes Programm an einem unbezahlten extra
Arbeitstag in der Woche in anderen Abteilungen einarbeiten, damit
alle noch leichter austauschbar werden. Wer da nicht mitmacht kann
gehen. Sie werden gezwungen an ihrem eigenen Ast zu sägen, und das
bei dieser bis heute andauernden Arbeitslosigkeit und
Aussichtslosigkeit, die hier in Spanien noch kein Ende gefunden hat.
All
diese wundervollen Menschen, die ihr Leben und ihre ganze
Arbeitskraft der größten und würdevollsten Aufgabe widmen die es
hier auf Erden überhaupt geben kann, und genau diese müssen
ausgerechnet unter fast unmenschlichen Arbeitsbedingungen arbeiten.
Mir kommen oft die Tränen wenn ich sehe, dass sie ihre Arbeit trotz
allem immer noch sehr gerne und mit Freude für die Patienten tun.
Sie sind wirklich Tapfer.
Und
ich, ein klitze kleines Lichtchen in diesem ganzen Gefüge liege nun
mit einer dummen Infektion auf diesem kostbaren Krankenbett, auf das
schon wieder sicher hunderte von Menschen sehnsüchtig warten die,
wie auch ich, monatelang auf ihren Termin warten müssen. Antonio
mein Zimmernachbar hatte eine schlimme Prostatavergrößerung. Er
bekam einfach einen Harnröhren-Katheter und wartete damit ein ganzes
Jahr bis er den erlösenden Anruf bekam! Unfassbar!
Nach
all diesen finsteren und depressiven Gedanken über das
Gesundheits-System, die ich aber nun hinter mir ließ, ging es nun
steil bergauf. Die wunderschöne türkisblaue Sternschnuppe hatte mir
wieder ein Ziel gegeben für das es sich lohnte zu kämpfen. Ich fing
an im ganzen Krankenhaus herum zu laufen. Die Schmerzen wurden
erträglicher und meine
Laune klärte sich auf.
Mein Herz öffnete sich wieder
und ich konnte allen Menschen verzeihen für all das noch
Ungelöste. Noch am Abend
des selben Tages war ich ein ganz anderer Mensch. Ich hatte Hoffnung
und Vertrauen und die Zeit spielte keine große Rolle mehr, denn ich
war endlich wieder im JETZT angekommen. Wünschte mich nirgends wo
anders hin als da wo ich war und die Welt war wieder in Ordnung wie
sie eben ist. Mehr noch, sie war das größte Wunder an dem ich heute
noch teilhaben durfte
5.Teil-
Die Zimmernachbarn
Heute
am 6. Tag sind die unglaublichsten schönen und schlimmen Dinge hier
passiert. Zuerst das Schlimme:
Mein
Zimmernachbar Antonio wurde heute hier entlassen. Bei der letzten
Visite, vom Chefarzt der Station persönlich durchgeführt, fragte
dieser harmlose, liebenswürdige, pensionierte, kleine, einfache
Maurer aus Granada was denn da jetzt eigentlich schief gegangen war
wegen seiner Infektion und... ob es hier im Krankenhaus vielleicht
nicht wirklich sauber genug sei.... Ich traute kaum meinen Ohren was
dann geschah: Barsch und lautstark wurde er vom Oberarzt regelrecht
zusammen gestutzt, ...was er sich nur einbilden würde, alle
Angestellten würden sich hier immer die allergrößte Mühe geben
und wenn hier bei einem was schief lief, dann sicher wohl eher bei
ihm in seinem verwirrten Kopf....
Der
arme wusste gar nicht wie ihm geschah und saß erstmal eine ganze
Stunde ganz verbittert da.
Doch
mir wurde dadurch klar wo hier der Hase lang läuft. Sie haben hier
massiv Probleme mit resistenten Keimen, und höllische Angst dass es
raus kommt, denn dann können sie diese Station hier dichtmachen und
der Oberarzt, der schon seit 35 Jahren brav seinen Dienst tut, kann
seine Koffer packen. Nur deswegen, weil die Verantwortung einfach ihm
auferlegt wird, in dem behauptet wird, dass er seine Mitarbeiter
nicht gut genug im Griff hat, wenn sich solche Keime auf seiner
Station breit gemacht haben.
Tatsache
ist aber dass das ganze Problem ja von ganz woanders her kommt. Doch
darüber darf nicht mal geredet werden. Es ist ein Tabu das sowohl
Patienten als auch die Ärzte einhalten. Hinter allem steht die
allmächtige Pharma-Maffia, die so viele Antibiotika und
Schmerzmittel verkaufen wollen wie nur irgend möglich. Das ganze
System ist eigentlich dafür verantwortlich, aber es wird einfach auf
die Ärzte abgewälzt, die
dann ihre unschuldigen Köpfe dafür herhalten müssen. Wie lange das
wohl noch gutgeht?
So
kann es sein, dass die erfahrensten und besten Ärzte
gefeuert und durch junge billigere ersetzt werden, was aber nicht nur
die Kosten senkt, sondern auch die Qualität. Aber wen sollte das
überhaupt kümmern....
Gleich
nach dieser Show wurde meine stark entzündete Wunde behandelt, es
haben sich jetzt schon 2 große Löcher in der Narbe gebildet und es
musste geprüft werden ob unter der ersten zusammen geklammerten
Schicht eine offene Verbindung besteht. Salzwasser wurde in ein Loch
hineingedrückt und es kam aus dem anderen wieder heraus! Also musste
jetzt auch die Bauchdecke unter der Haut mit hochreinen Tüchern
gereinigt werden. Er fädelte eine Gaze zu einem Loch hinein und zum
anderen wieder heraus. Eine makabere Prozedur, bei der einem sicher
nur vom zusehen schon schlecht werden konnte. Aber das Gefühl und
die Schmerzen dazu waren wirklich mehr als widerlich.
Jetzt
aber schnell zu den schönen Dingen bevor euch allen hierbei auch
noch schlecht wird:
Kurz
vor diesem Arzt-Desaster kam kurz noch eine alte Freundin von
Antonios Frau zu Besuch, sie wohnt wie ich auch irgendwo in den
Alpujarras. Sie war vielleicht so um die Mitte 60 und ich würde
sagen, dass sie genau wie jede dieser doch ziemlich Spießig
anzusehenden älteren spanischen Frauen aussah, die man hier und da
in der Stadt treffen kann. ….Und da nimmt diese einfach Antionios
Kopf in ihre beiden Hände und redet ein paar Minuten ganz beruhigend
auf ihn ein und macht noch irgend einen Zauber. Dann drehte sie sich
um zu mir, betrachtete etwas besorgt meine Wunde am Bauch, legte ihre
Hände in 10cm Abstand darüber und gab mir 2Minuten lang Reiki, dann
sagte mir noch das jetzt alles wieder gut werden würde und
verschwand mit einem kurzen tschüss, genau wie eine gute Zauber-Fee.
Ich war einfach nur sprachlos. So etwas hätte ich von dieser Frau
niemals erwartet.
Da
kann man mal wieder sehen, wie sehr ich noch im Schubladendenken
feststecke.... hahaha!
Dann
ging ich eine kleine Runde durchs Krankenhaus spazieren und als ich
wieder kam sagten sie mir ganz aufgeregt dass ein grauhaariger Arzt
aus der UVI nach mir gesucht habe. Das konnte nur mein Lieblingsarzt
von damals gewesen sein. Sofort lief ich runter in den 2.Stock, ich
kannte ja immer noch den Tür-Code zur Intensivstation... 2-4-5-6
Wir
redeten eine ganze Weile, er hatte sich bei dem Chirurg der mich
operiert hatte erkundigt und erfahren dass alles bestens lief, und
dass der Stein diese typische Rundung aufwies, wie sie wohl immer bei
Katheter-Steinen auftritt, und dass ich nicht damit rechnen musste
dass der Stein durch irgend eine andere Störung in mir entstanden
sei. Ich wäre schon bald wieder ganz gesund und könnte mich freuen
den kommenden Sommer zu genießen. Ich hätte ihn am liebsten
abgeknutscht, dieser Süße! Er hatte mir so sehr geholfen einen
schnelleren Termin für die Aufnahme meines Falls zu bekommen und das
hatte mir 2 ganze Monate Wartezeit erspart. Und er hatte sich nach
einer E-Mail-Anfrage an ihn die Mühe gemacht nachzufragen wann etwa
mein Termin sein würde..... und ich kenne ja auch diese
Schreckschraube die einem das nur erzählen kann....
Er
ist wirklich zu unserem Familien-Engel hier geworden.
Heute
ist der 7.Tag, der an spannenden Ereignissen den letzten in nichts
nachsteht. Meine Wunde sieht viel besser aus. Die Infektion scheint
vorbei zu sein und der Heilungsprozess nimmt seinen Verlauf. Heute
wurde der Katheter diesmal ohne Komplikationen entfernt.
Die
Blase ist jetzt hoffentlich dicht und das Pinkeln macht wieder
unheimlich Spaß. Es ist keine Schmerzhafte und langwierige Prozedur
mehr, sondern eine ungewohnt schnelle Erleichterung mit einem so
dickem Strahl, wie ich ihn nur aus meiner Jugend her kenne. Mal sehen
ob das jetzt so bleibt, oder ob es nur eine vorübergehende
Erweiterung der Harnröhre vom Katheter ist.
Ich
kann wieder laufen ohne Behinderung, zwar noch mit Schmerzen im
Unterbauch, aber kein Vergleich zu Vorher. Super, ich spüre: Alles
wird wieder gut.
6.Teil-
Mein neuer Nachbar der Multi-Millionär
Manuel
Jesus, jetzt mein neuer Zimmernachbar, ist wirklich ein spannender
Vogel. Als er gestern von seiner Prostata-OP in mein Zimmer kam,
stand er vermutlich noch unter dem Einfluss der partiellen Betäubung.
Er kam mir zuerst vor wie ein alter noch etwas angetrunkener Zigeuner
mit schrecklich schlechter und unverständlich andalusischer
Aussprache. Er redete wie ein Radio gleichzeitig auf vier seiner
Verwandten ein, die ihm aber alle ganz brav zuhörten, obwohl sie
dabei sehr müde auf mich wirkten. Ich machte mir zuerst gar nicht
die Mühe verstehen zu wollen über was er alles sprach, aber ich
dachte mir schon da, dass er irgend ein dickes Tier in seiner Familie
sein musste. Er war gewiss irgend eine Berühmtheit, ein
Zigeunerbaron oder vielleicht ein pensionierter Politiker? Er hatte
etwas besonderes, wie ein guter Lehrer der seine Schüler fesseln
konnte, eine Art magische Anziehungskraft und eine sanfte Autorität.
Doch
die erste Nacht mit ihm war schlimm, er schnarchte entsetzlich und
vergaß sein Radio abzuschalten als er einschlief. Er legte es
einfach samt den unaufhörlich zwitschernden Kopfhörern auf sein
Nachttischehen. Und weil es in Granada des Nachts sehr ruhig ist
verstand ich fasst jedes Wort und konnte höchstens für 3 Stunden
schlafen. Die Nachtschwester hatte keine Idee wie man diesen Apparat
ausschalten konnte, und wir versuchten einfach ein Handtuch
draufzulegen, was leider wenig nützte. Was für ein schräger Vogel,
dachte ich mir, wenn er nicht selbst ununterbrochen auf seine
Mitmenschen einredete, dann musste es sein Radio für ihn tun. Er
selbst schlief dabei natürlich wie ein Stein.
Es
fiel mir also anfangs gar nicht so leicht mit ihm, doch der Morgen
entspannte meinen Groll. Es stellte sich nämlich heraus dass wir
sehr vieles gemeinsam haben und so einiges unfassbar Gegensätzlich
ist, was die Sache für uns beide wirklich interessant machte.
Er
fing an mir aus seinem Leben zu erzählen und mir wurde dabei fasst
schwindelig.....
Er
ist Pensioniert und wenn er arbeitet dann nur zum Spaß. Er besitzt
mehrere Fincas mit insgesamt 45 Angestellten, die Olivenöl
herstellen, hat einige luxuriöse Häuser direkt am Meer, eines mit
einem Naturschutzgebiet dahinter, ein riesiges direkt im Zentrum von
Malaga, eines in Granada.... Er ist aber hauptamtlich Modedesigner
für bekannte Marken aus Italien, Er hat ein exklusives Geschäft im
Zentrum von Malaga. Zu seinen exklusiven Kunden zählen Leute wie
Picasso. Er fährt einige Mercedes und hat aus reiner Nostalgie sogar
irgendwo noch eine nagelneue Ente und einen Fabrikneuen Fiat 500 in
seiner Garage stehen. Sogar ein E-Bike hat er sich mal gekauft, aber
nur 2x gefahren. Er fährt nicht gerne Auto und reist deswegen am
liebsten in Luxusbussen umher. Er spielt auch gern Klavier, hat 4
Klaviere und einen hundert Jahre alten Flügel aus England. Seine
vielen Kinder sind entweder Ärzte oder haben hohe Positionen... und
diese Liste wäre sicher noch endlos fortzusetzen.....
Zuerst
konnte ich all das kaum glauben, war er vielleicht einfach nur ein
Hochstapler? Doch ich glaube ihm, als ich seine Kinder sah. Aber
spätestens bei der Arzt-Visite wurde mir klar, das ich es hier mit
einem wahren Multi-Millionär zu tun hatte. Ich hatte noch nie so
viele Ärzte gleichzeitig im Zimmer gesehen, die ihm allesamt in den
Arsch krochen. Als dann noch eine aus der Küche kam um mit ihn eine
Liste durchzugehen was er denn gerne essen wollte und sogar eine
Putzfrau mit einer großen Leiter auftauchte, die den Fernseher und
die Klimaanlage sogar von oben entstaubte, waren all meine Zweifel
restlos beseitigt.
Manuel
hat wirklich alles erreicht was man so in der Gesellschaft erreichen
kann. Und normalerweise mache ich ja lieber einen galanten Bogen um
solche Leute Aber was mir Manuel dann wirklich sympathisch gemacht
hatte war, als er mir erklärte dass der hier nach seiner OP erst
einmal einen richtig fetten Urlaub um die halbe Welt machen wird,
weil er jetzt auf einmal daran denkt, dass er sein ganzes Geld nicht
mitnehmen kann wenn der einmal stirbt. Er ist jetzt 68, und hat voll
begriffen, dass das Leben nur im jetzt und hier stattfindet.
Echt
spannend, wir beide sitzen hier zusammen in einem kleinen Zimmer,
beide haben wir unsere Kleider abgegeben und tragen die selben
hellblauen Sträflingsanzüge. Zwei Männer, die gegensätzlicher
kaum sein könnten, der eine reich der andere vergleichsweise arm,
und doch sind wir beide spirituell auf gleichem Level, total
glücklich und zufrieden weil wir beide wissen was wirklich zählt im
Leben.
Er
sagte, ihm bleibe jetzt nur noch sich darum zu kümmern all seine
Besitztümer gut zu verteilen, damit alles wirklich einen Zweck
gehabt hätte. Denn er braucht all das nicht mehr wirklich. Jetzt
liebt er die einfachen Dinge des Lebens viel mehr.
Wir
erzielten uns Stundenlang über unsere tiefen Erfahrungen im Leben
und lernten uns rasend schnell kennen und lieben. Ich zeigte ihm
Bilder von unserem Holzhaus, meinem Solar-Moped und der Werkstatt.
Spielte ihm meine letzten Klavier-Aufnahmen vor. Er war total
begeistert und versprach mir mich bald zu besuchen.
Seine
Tochter, eine Ärztin in Malaga kam zu Besuch. Ich gab ihr meinen
GBS-Krankheitsbericht und sie verschlang es und war hingerissen, vor
allem wegen meiner Beschreibung der anderen Realität des Jenseits.
Es entspreche genau ihrem Bild sagte sie mir begeistert. Sie will
versuchen ihn in einem Krankenhaus-Magazin unterzubringen.
Selten
in meinem Leben hatte ich so fruchtbare Begegnungen gehabt.
Dann
kam der Tag an dem er entlassen wurde, er marschierte mit seinem
blauen Krankenhaus-Kostüm ins Bad und als er wieder herauskam sah er
original aus wie einer aus einem dieser Mafiosi-Filme. Wir mussten
beide darüber lachen und umarmten uns herzlichst zum Abschied.
Ich
war total gerührt über die Offenheit dieses Mannes. Er wusste alles
aus der spirituellen Welt, er hatte alles und ist bereit es
loszulassen, und er war ein genauso glücklicher Mensch wie ich.
Unfassbar, er ist jetzt wirklich mein Freund! Wir haben schon einmal
telefoniert und viel zusammen gelacht. Er ist wirklich ein wahrer
Gentleman !
Ich
habe beschlossen mir einen Nadelstreifen-Anzug zu besorgen, nur um
ihn, und vielleicht auch meine Eltern, das nächste Mal damit zu
überraschen.
7.Teil-
Die Zeit wird langsam lange
Meine
Wunde hat sich vielleicht wieder infiziert und heilt einfach nicht
zu. Heute ist schon der 15.Tag im Krankenhaus. Es wird mir jetzt
schon etwas langweilig und Claudia bräuchte auch dringend mal eine
Pause mit den Kindern. Sie hat auch Schmerzen an ihrem Arm und
obendrein noch ihre Tage bekommen. Und wir vermissen uns alle so
sehr. So gerbe würde ich jetzt endlich nach Hause gehen, doch ich
muss wohl noch eine weitere Woche hier bleiben. Die klaffende Wunde
an meinem Bauch ist so groß wie ein Teelöffel und nässt
unaufhörlich. Aber es tut Gottseidank nicht besonders weh und ich
nehme schon seit 6 Tagen keinerlei Schmerzmittel mehr.
Täglich
wandere ich im Krankenhaus umher, kenne alle Gänge, Feuertreppen und
versteckten Balkone, trainiere meine Kondition im großen Treppenhaus
des 11 stöckigen Hauptbaus. Es vergeht kaum ein Tag an dem ich nicht
meine 500 Treppenstufen rauf und runter laufe.
Die
Tage sind schon heiß, in der Mittagszeit sind es manchmal 35 Grad im
Schatten. Doch ich scheine hier einer der wenigen zu sein, die das
lieben. Die meisten Spanier verkriechen sich bei diesen Temperaturen
in abgedunkelte Räume und schalten die Klimaanlage ein.
Ich
sehe die Leute hier kommen und gehen, habe schon viele Patienten von
hier verabschiedet die entlassen wurden. Fühle mich schon ein wenig
wie ein Ladenhüter hier, den sie nicht losbekommen. Doch so habe ich
das Privileg einige der ausgesprochen netten Krankenschwestern und
Pfleger etwas besser kennenzulernen. Bei vielen bin ich schon wieder
sowas wie der Liebling der Station geworden. Fast alle hier grüßen
mich und lächeln mich an, wie bei einen Kollegen. Auch die
Putzfrauen.... Es wird nie viel geredet, außer wie geht’s heute
usw., was gäbe es auch mehr zu sagen. Die Konversationen aller
Patienten ähneln sich hier wie eine endlose Reihe von Spiegelbildern
in Spiegelbildern. Doch gerade das macht es, das man hier eher mit
den Augen und einem Lächeln kommuniziert. Es ist eher ein gesehen
werden in diesem Durcheinander von ständig wechselnden Leuten, und
das Lächeln bezeugt das Maß der Sympathie, die man für jemanden
empfinden kann, was mir ja meist nie besonders schwer fällt.
Also
lächle ich mich so durch die Tage, höre viel Musik, lese in meinem
Roman „Der Junge ohne Schatten“ von Michael Roads. Oder schreibe
hier an diesem Bericht weiter. Langsam genieße ich es wie einen
Erholungs-Urlaub mit Vollpension.
Und
die Tage rutschen immer schneller an mir vorbei, weil die tägliche
Routine sie schon wieder eingeebnet hat. Alltag im Krankenhaus... Das
kenne ich doch von irgendwo her.... In der Tat bin ich, was das
betrifft, ja ein alter Hase.
Heute
ist mein 16.Tag im Krankenhaus. Der Chefarzt hatte gestern bei der
Visite eine gute Idee. Er vermutete dass meine Blase auf Grund der
Infektion vielleicht doch noch nicht ganz dicht ist und der Urin in
den Bauchraum gelangt und dann auch durch die Wunde austritt, und sie
deswegen immer noch so sehr nässt. Er hat mir wieder einen Katheter
verordnet um zu sehen ob seine Theorie stimmt. Und sie stimmte, heute
ist meine Wunde fasst trocken geblieben. Klar ist es unangenehm und
lästig einen Katheter zu haben, aber wenn es dazu beiträgt dass
alles gut wird bin ich mehr als froh darüber. Meine
unerschütterliche positive Einstellung hilft mir mal wieder sehr
auch das alles zu meistern.
Heute
ist der 17.Tag. Die Wunde nässt leider immer noch, doch trotzdem
wollen sie den Katheter erstmal drin lassen, um sicher zu gehen. Also
wieder warten bis Montag, dann wird weiter entschieden. Wenn sie bis
dahin aufgehört hat zu nässen, kann sie wieder genäht werden. Und
dann wird’s spannend ob sie sich nicht wieder infiziert.
Seit
gestern plagen mich Hautausschläge die ich durch das Pflaster oder
durch das Antibiotika (Ciprofloxacin) bekommen habe. Ich hatte schon
leichte Panik das es eine beginnende Gürtelrose sein könnte, aber
die Ärzte sagen es sei nichts weiter als eine empfindliche Reaktion
meiner Haut. Claudia war heute da mit den Kindern, auch sie wirkte
sehr ausgebrannt auf mich. Die Zeit wird lange und die Reserven
werden knapp. Ich denke ich brauch jetzt mal wieder etwas Magic!
Der
19.Tag ist jetzt angebrochen. Ich war sehr müde die letzten 2 Tage
und habe unheimlich viel geschlafen. Gestern bin ich nur einmal zum
Duschen aufgestanden. Ich hoffte dass die Ruhe und der Schlaf meinem
Körper vielleicht die Zeit und Kraft gibt die Wunde zu heilen. Sie
nässt jetzt deutlich weniger aber dennoch weiterhin zu viel, um sie
nähen zu können. Der Katheter ist jetzt schon wieder 5 Tage drin
und nervt mich auch schon wieder. Die Hautausschläge sind zwar
größer geworden, aber sie haben sich etwas beruhigt, jucken nur
noch leicht und sind etwas rot. Der Rücken tut mir schon wieder weh
vom vielen liegen. Ich weiß jetzt auch nicht mehr weiter, ich tappe
im Dunkeln. Was immer ich auch versuche, es scheint mich nicht weiter
zu bringen. Einzig die Hoffnung das auch das hier irgendwann ein Ende
haben wird hält mich jetzt noch über Wasser.
8.Teil-
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Der
20.Tag brachte mir wieder einen neuen Energieschub, ich überwand
meine Depression und konnte wieder alles positiver sehen. Mir wurde
klar, dass ich im Vergleich mit den meisten anderen Patienten hier,
immer noch die Jokerkarte gezogen hatte. Ich habe ja keine wirklich
schlimme Krankheit, kann auf 100%ige Genesung hoffen und selbst die
Schmerzen sind eigentlich lächerlich gering.
Aber
immer wieder verschließt sich mein sonst so offenes Herz und badet
sich in Selbstmitleid, bis sich mein Bewusstsein wieder daraus erhebt
und alles relativiert. Dann öffnet sich auch wieder mein Herz und
ich kann die Liebe zu allen Menschen wieder spüren und auch fließen
lassen. Und ich sehe dann erst wieder die Tapferkeit aller Menschen
und kann gar nicht anders als sie alle dafür zu bewundern, diesen
vielfältigen und oft so schweren Anforderungen des Lebens
standzuhalten.
Von
der Putzfrau, die seit 30 Jahren jeden Tag die selben Zimmer putzt
und dabei mit einer entsetzlichen Langeweile kämpft;
Die
Kranken-Pfleger und -Schwestern die ihr Leben lang hier immer nur
Krankheit und Leid vor Augen haben und trotz den immer
wiederkehrenden selben Bedürfnissen ihrer Patienten darum ringen,
sie nicht als Dinge sondern als Menschen zu behandeln;
Die
Ärzte denen von Seiten ihrer Chefs aber auch von ihren Patienten
eine Verantwortung aufgetragen wird die im Grunde kein Mensch zu
tragen im Stande ist;
Und
all die Patienten, die von Schmerzen gemartert nicht selten dem Tod
ins Auge blicken müssen, oder in Scharen rat- und hilflos in
Wartezimmern sitzen und auf verzweifelt auf eine Abhilfe ihrer Leiden
hoffen.
Bis
hin zu den Angehörigen und Besuchern, die trotz ihrer eigenen
Ängste, Schmerzen und Langeweile versuchen den Kranken ihre positive
Kraft zu geben.
Für
alle hier ist ein solches Krankenhaus ein sehr seltsamer und
grausamer Ort. Und doch steckt dieses Haus auch so voller Hoffnung,
Liebe und Mitgefühl, wie sie sonst nur sehr selten zu finden ist.
Ich
lese gerade die Memoiren von meiner alten Freundin Cathy, die schon
ihr Leben lang mit einer chronischen Tuberkulose zu kämpfen hat.
Darin beschreibt sie eine Begegnung mit einem Buddhistischen Lama den
sie bezüglich ihrer vielen körperlichen Leiden um einen Rat gefragt
hatte. Er fragte sie, ob sie wolle das irgend jemand anderes ihr Leid
für sie tragen solle und sie verneinte, denn sie könne ihr Leid
wirklich keinem anderem zumuten. Dann sagte der Lama das wir alle ein
Stück des gesamten Leides auf der Welt zu tragen haben und das uns
dabei immer nur so viel zugemutet wird wie wir es auch ertragen
können.
Und
daran denke ich jetzt immer wenn ich so durch das Krankenhaus
schlender und all die kranken Menschen dort sehe. Überall so viel
Leid und Schmerz, und jeder trägt doch seine kleine Hoffnung auf
Besserung, auch wenn sie noch so klein und aussichtslos sein mag.
Ich
habe hier schon wahre Helden getroffen was das betrifft. Z.B. Johanma
ein wirklich fröhlicher Bursche aus Almeria im Nebenzimmer mit 42
Jahren. Er hatte vor 20 Jahren mit seinem Moped einen schlimmen
Unfall mit einem LKW. Es hatte ihm sein ganzes Becken weg gerissen
samt Blase, Penis und Hüftgelenken. Er bekam jetzt hier eine
Penis-Prothese, mit der er auf Knopfdruck durch einen Plastikschlauch
in einem Stück Haut und Fleisch das sie zu einer Art Penis geformt
hatten, wieder halbwegs normal pinkeln konnte. Er hatte schon 20
Jahre als Dauerpatient hinter sich mit Hüft-Operationen, wieder
gehen lernen, künstlicher Blase usw.... Schlimmer geht immer dachte
ich mir nur.
Er
wünscht sich jetzt nichts mehr als nochmal eine Frau zu treffen und
mit ihr zusammen leben zu können, auch wenn er gar keine
Geschlechtsteile mehr besitzt. Und ich sagte ihm das wenn er seine
Hoffnung darauf niemals verlieren würde, dann würde sich sein
Wunsch ganz sicher irgendwann erfüllen, auch wenn es jetzt noch so
unwahrscheinlich und hoffnungslos aussehen mag. Die Hoffnung hat die
Kraft wahre Wunder zu bewirken. Das weiß ich ja auch aus eigener
Erfahrung, von damals, als ich dieses unverschämte Glück hatte
meine geliebte Claudia kennenlernen zu dürften.
Oder
Luis mein neuer Zimmernachbar hier mit Nierenkrebs, dem sie jetzt
eine Niere entfernt haben obwohl seine zweite auch schon nicht mehr
gut funktioniert. Er ist jetzt 70 und auch er hofft noch wenigstens
ein paar Jahre leben zu können, ob mit Dialyse oder nicht, ganz egal
wie. Der Krebs wird ihn sehr wahrscheinlich weiterhin Stück für
Stück auffressen. Doch die Hoffnung leuchtet auch immer noch in ihm
und gibt ihm die Kraft weiterzumachen, ...seine Schmerzen von der
schweren OP auszuhalten, sich wieder und wieder aufzurappeln aus dem
Bett, auf die Beine zu kommen, raus aus dem Krankenhaus.... bis zu
seiner nächsten unvermeidlichen Runde mit dem Tod.
Ich
bekomme hier wirklich eine sehr große Ehrfurcht vor dieser Hoffnung
in uns Menschen. Sie ist eine gewaltige Kraft in uns. Und unser
Überlebenswille begleitet uns bis zum allerletzten Atemzug. Doch wer
weiß vielleicht auch noch danach! Wir sind ewige Seelen,
ausgestattet mit dieser schier übernatürlichen
Kraft des Lebens. Und auch wenn wir Menschen hier auf Erden auch noch
so viele Dummheiten und Schandtaten vollbringen, auch wenn wir in
unfassbar kindlicher Unwissenheit diesen ganzen einzigartigen
Planeten hier zu Grunde richten, auch wenn wir bis heute die ewige
Kette der Gewalt und des Leids nicht bezwingen konnten,... sind wir
doch alle würdevolle
Träger einer niemals endenden Hoffnung, die immer dem Leben und der
Liebe zustrebt. Einer Kraft die definitiv stärker ist als alles
andere auf der Welt.
Und
selbst wenn wir uns auch noch so viel Mühe geben würden, wir würden
das Leben auf diesem Planeten, dank dieser Hoffnung, niemals
vernichten können. Das Leben ist stärker
als der Tod, auch wenn es für uns sterbliche erstmal so aussieht als
würde der Tod am Ende immer gewinnen. Doch wir übersehen dabei dass
der Tod nicht wirklich das Ende ist, er ist nur der Wandel in eine
andere Dimension, und diese Kraft der Hoffnung in uns ist
unsterblich, denn wer weiß vermutlich hoffen wir nach dem Tod
genauso munter weiter wie vorher! Vielleicht hoffen wir auf ein neues
Leben, oder darauf dass unsere Liebsten uns unsere Fehler vergeben
mögen, die noch leben, oder das wir endlich erlöst werden vom
ewigen Rad von Tod und Wiedergeburt....
Kein
Mensch weiß bis heute darüber etwas mit Sicherheit, auch wenn so
viele, die schon solche Nahtoderlebnisse hatten wie ich, einiges an
Puzzlestücken darüber zusammengetragen haben. Der Tod bleibt ein
geheimes Mysterium, doch es lässt sich aus allen Berichten darüber
eines mit großer Sicherheit sagen: Der Tod ist nicht das Ende, denn
unser Bewusstsein ist nicht das Produkt unseres Körpers, sondern
Umgekehrt.
Auch
ich bin jetzt immer noch nicht am Ende meiner Krankenhaus-Zeit. Es
wurde heute eine Kultur von einer Probe aus meinem Bauch angesetzt,
die in 3 Tagen grünes oder rotes Licht gibt. Wenn der Keim nicht
mehr da ist kann die Wundbehandlung im Gesundheits-Zentrum in Orgiva
dem „Centro de Salut“ fortgesetzt werden.
Ich
bin heute am 22.Tag dann doch ganz überraschend entlassen worden.
Ich habe mir meinen Wunsch erfüllt und bin mit dem Bus heim nach
Orgiva gefahren um meine Familie zu überraschen, was mir auch
gelungen ist.
Die
Fahrt war einfach wunderbar, der Buss fuhr über die alte Landstraße
durch alle kleinen Dörfer und das bei wunderbaren Wetter, auch der
Spaziergang von Orgiva nach El Morreon zeigte mir mal wieder wie
wunderschön es hier ist und wie sehr ich Andalusien, meine neue
Heimat, liebgewonnen habe.
Aber
noch ist nicht alles überstanden, ich habe immernoch zwei riesen
Löcher im Bauch und seit gestern auch noch ein Loch im Zahn, aber
ich freue mich schon jetzt auf Manuel meinen Lieblingszahnarzt in
Orgiva. Das Leben hier geht wieder weiter und ich bin mehr als
glücklich wieder in meinem geliebten Zuhause zu sein.
Danke
fürs viele Lesen, ich hoffe es hat euch gefallen.
euer
Michel