Marokko 2015
Wiedermal hat
mich die Wüste sehr tief berührt. Es ist, als wenn sie mich immer
auf meine eigenen nackten Füße stellt, und mich die schon oft
zitierte „nackte Rinde unseres Planeten“ unter meinen Sohlen
spüren lässt. Wenn wir Nachts zum klaren Sternenhimmel aufschauen
und dabei wieder mal einen Hauch von einer Ahnung bekommen, wie
unermesslich groß das Weltall ist, sehen wir uns selbst wieder in
unserer wahren Größe. Wir sind nur ein Staubkorn aus dem
Sternenstaub eines längst gestorbenen Sterns. Und sie, die Erde,
unsere Heimat, unser Raumschiff, sie ist die einzige die wir jemals
haben werden.
Die Wanderungen
in den endlos weiten Ebenen, umringt von schroffen Bergen,
beeindruckten mich besonders. Wenn man in solch eine Ebene
hineinläuft ist es genau so wie auch im Leben: Man kann einfach
überall hin laufen, doch man sucht sich irgend ein markantes Ziel am
Horizont und fängt an darauf los zu gehen. Die Wege, wenn es
überhaupt schon welche gibt, entstehen hier auch erst beim gehen.
Sie führen uns manchmal durch wunderschöne wilde Flusstäler, fast
etwas Ziellos schlängeln sich viele kaum erkennbare Ziegenpfade
durch das sehr steinige Gelände. Oft verliert man dabei sein Ziel
aus den Augen, nur auf leichten Erhebungen kann man seine Richtung
dann wieder neu erkennen. Und vor allem, der Weg ist viel weiter, als
es am Anfang aussieht. Wir verlieren hier viel öfter unser gewohntes
Maß, was uns dann aber glücklicher Weise viel mehr im Hier und
Jetzt sein lässt. Es spielt dann kaum noch eine Rolle wohin man
eigentlich geht. Der Weg wird das Ziel. Denn es spielt auch keine
Rolle mehr ob man hier irgendwo ankommt. Nur das, was man beim gehen
alles findet, wird hier zum Lebenselexir.
Die Sonne und
der Wind sind unerbärmlich und als seien sie hier ein ewiger Gast.
Man spürt diesen kleinen inneren Stolz der blanken Existenz, und das
wir vielleicht noch ein Weilchen die Kraft haben werden ihnen trotzen
zu können. Doch dieses Weilchen ist gewiss nicht mehr lange, im
Vergleich zu den Zeiträumen in der Wüste. Hier ticken die Uhren
ganz anders, ein Jahr ist hier nur wie eine Sekunde. Darum spüren
wir so sehr, dass die Ewigkeit hier schon ganz direkt vor unserer
Nasenspitze beginnt. Es gibt in der Wüste einfach nichts was uns
davon ablenken könnte.
Man kann
spüren, dass die Stille der Ewigkeit schon all seine Bewohner tief
durchdrungen hat. Die Nomaden, die Kamele, die Esel, Schafe und
Ziegen, an unserem Lieblingsplatz in Merzouga... alle tragen
irgendwie die Ruhe der Wüste in sich. Alle bewegen sich hier nur
ganz langsam, so als wollten sie ihre Kraft damit sparen. Sie bleiben
oft einfach stehen und machen lange Pausen, so als würden sie lieber
in Ruhe einem Gedanken nachgehen, oder etwas in weiter Ferne
beobachten. Zeit spielt hier absolut keine Rolle. Auch wir vergaßen
bald welchen Tag wir gerade hatten, und mussten dann immer auf dem
Händy nachsehen.
Wir waren
jeweils eine ganze Woche auf zwei original Nomaden-Plätzen, die
meist alle etwas versteckt und abseits der Straße lagen. Manchmal
hatten wir sogar kurze Begegnungen mit Nomaden, die uns von Weitem
scheu wie Tiere vorkamen, doch die dann alle sehr herzlich waren,
sobald wir uns mal Auge in Auge gegenüberstanden. Aber die Meisten
vermieden eher den direkten Kontakt, sie ließen uns in Ruhe, was für
Marokkaner doch eher sehr bemerkenswert ist.
Bei einer
Fluss-Wanderung bei Tata begriff ich, das all diese Steine und selbst
das viele Geröll für die Erde auch nur wie feiner Sand ist. Wasser,
Wind und Wetter haben diese Rinde zermahlen, gespalten, zerfetzt,
geschliffen oder poliert. Man findet die seltsamsten Steine hier. Ein
kleiner Stein sieht hier manchmal genauso aus, wie ein ganzer
Gebirgszug. Mikro und Makro-Kosmos in Einem. Und es gibt auch hier
keine Wiederholungen, jedes noch so kleinste Steinchen ist
einzigartig in Größe, Form und Farbe. Was für eine bodenlose
Kreativität der Natur! Ich begriff, dass nur Sand die gesamte
Oberfläche dieser Erde bedeckt, sei er auch manchmal etwas
grobkörniger.
Unsere
Marokko-Reise war, so im Nachhinein gesehen, eigentlich auch wie eine
Zeit-Reise in die tiefe Vergangenheit der Menschheit. Je weiter wir
in den Süden fuhren, und uns dabei der Sahara immer mehr annäherten,
desto weiter kamen wir auch in unsere kollektive Vergangenheit. Von
nur vereinzelten Nomaden in ihren Zelten, ihren Ziegen und Schafen.
Und das in einer nahezu menschenleeren weiten und stillen Welt. Über
sesshaft gewordene Bauern in den Oasen, die dort Gartenbau betreiben
und in selbstgebauten Lehmhäusern leben. Zu den ersten großen
Ansiedlungen, die aber oft noch über 100Km auseinander lagen, wo es
vielleicht schon ein oder zwei kleine Läden und manchmal auch schon
ein Café gibt. Bis hin zu richtigen Städten, vorallem ganz im
Norden, wo (schon auch wie in Europa) Industriegebiete und separate
Wohnsiedlungen entstanden sind. Für uns dann schon wieder ein
krasser Kulturschock, nach dieser inneren Einkehr-Zeit in der Wüste.
Dieser Schock
wurde aber nochmals getoppt sobald man dann ganz im Norden die Grenze
ins spanische Melilla überschreitet. Der Hafen in dem auch unsere
Fähre vor Anker ging. Es kommt einem dann doch sehr Absurd vor auf
afrikanischen Boden eine echte spanische Stadt vorzufinden, mit all
den irgendwie überflüssigen Luxusartikel-Läden, mit mehrfarbigen
LED-Springbrunnen-Beleuchtungen, mit den gepflegten Haus-Fassaden,
den kunstvollen Pflasterstein-Aleen und den Verkehrs-Ampeln an jeder
kleinen Kreuzung. Eine gute Vorbereitung an das Europäische
Festland, das wir am nächsten Tag nach einer 5 stündigen und sehr
windigen Schiffsreise erreichten.
Nun hat uns die
Neuzeit wieder. Schnell gelingt es uns geübten all das wieder normal
zu finden, doch etwas in uns ist noch immer in der Wüste, und wir
betrachten unsere moderne Welt auch noch immer mit staunenden
Nomadenaugen.