michelgeschichten

Gesammelte Werke der Seelengeschichten des Prof.Dr.Strampelcheck. Kuckt mal auf meine Fotowebseite unter www.solarphoto.blogspot.com

Montag, September 05, 2016

Mein Fallschirmsprung

Die Idee dazu bekam ich von diesem wirklich reizenden Foto das mir eine Freundin aus Berlin von sich geschickt hatte. Ich fragte sie, was sie denn da gemacht hatte, und keine fünf Minuten später suchte ich schon spontan in Netz nach Anbietern rund um Berlin. Der Preis war schockierend. Doch ich dachte mir: Sowas tut man vermutlich nur einmal im Leben, aber diese spannende Erinnerung bleibt einem jedoch fürs ganze Leben erhalten. Sogesehen ist der Preis schon in Ordnung. Ich schaute mir einige Videos darüber an, und nach einigem Hin und Her buchte ich dann einfach. Ich konnte es selber eigentlich kaum glauben. Und allein die Vorfreude und das Adrenalin, das ich ab nun jedes Mal nur bei dem Gedanken daran bekam, war ja schon mal einiges Wert. Außerdem brauchte ich auch noch ein leckers Bonbon, um mir meine Zeit in Deutschland etwas versüßen zu können.

Meine Reise und die Tage davor verliefen so turbulent, dass ich leider kaum noch daran denken konnte. Doch ich wunderte mich schon auch ein wenig, dass sich irgendwie gar keine große Aufregung dazu einstellen wollte. Selbst am Tag meines Sprungs, als ich meine definitive Teilnahme zwei Stunden zuvor nochmal telefonisch bestätigen musste, fehlte mir fast schon ein wenig diese Angst, die ich eigentlich dabei erwartet hatte. Sie kam einfach nicht!
Auch nicht, als wir dann an diesem netten kleinen Sport-Flughafen eintrafen, und wir die ersten Fallschirmspringer mit ihren bunten Schirmchen vom Himmel fallen sahen.... Auch nicht, als mir Wolf mein netter Flugbegleiter den genauen Ablauf erklärte und ich mir den schicken Overall und das Gurtzeugs anzog....
Ja, nicht mal, als wir uns mit 18 recht wild aussehenden Fallschirm-Piloten in dieses kleine (aber 1000PS starke) Flugzeug hineinquetschten. Es gab drinnen keine Sitze, wir saßen einfach alle auf dem Boden, und die große Öffnung an der Seite mit dem Rolltor, wurde erst auf dem Rollfeld während des Beschleunigens zugezogen. Die Maschine hob sehr schnell ab und flog recht steil in den Himmel hinauf. Ich genoß es wie immer sehr die Welt an diesem wolkenlosen und strahlend blauen Sommertag von Oben zu betrachten. Sah mir die Gesichter der anderen Fallschirm-Piloten an, die alle auch keinerlei Anzeichen von Angst zeigten. Die Stimmung in der Maschine war freudig erregt und kameradschaftlich. Sie tauschten sich wegen des Motorenlärms mit diversen Handzeichen aus, die wohl “Alles Ok” oder “viel Glück” bedeuteten.

Auf 1200m hielt das Flugzeug kurz an. Ein Wing-Suit-Schüler machte hier seinen allerersten Solo-Sprung, mit nur ganz wenigen Sekunden des freien Falls. Das Rolltor wurde hochgzogen und ein kühler Schwall Luft ströhmte durch die Kabine. Wie wenn man auf der Autobahn kurz alle Fenster öffnet. Der Mann stand in der Hocke vor der Türe und zögerte nur kurz, als er sich mutig aus dem Flugzeug in die Tiefe stürzte. Aus dem Seitenfenster sah ich, dass er noch kurz zurück zur Maschine hoch blickte, als er unter uns in der Leere verschwand.
Der Flug ging nun weiter, das Rolltor wurde wieder geschlossen und der starke Motor brauste erneut auf, Wir stiegen in nur 10 Minuten auf unsere Absprunghöhe auf 4000m. Die Landschaft war so klein unter uns, und so weit weg. Hier oben waren wir dem tief dunkelblauen Himmel schon viel näher, als dem blassen Boden unter uns. Die Sonne tauchte hier alles in ihr helles gleißendes Höhenlicht. Die ganze Mannschaft verließ das Flugzeug binnen weniger Sekunden. Sie purzelten einfach aus der großen Klappe und binnen einer Sekunde waren sie schon nicht mehr zu sehen.
Vor uns saß noch ein weiteres Tandem-Team, das jetzt den Weg zur offenen Luke antrat. Sie saßen dann dort, fest aneinandergegurtet, noch einige Sekunden, die Beine aus der Türe heraus hängend, bis auch diese beiden in der Tiefe verschwanden.

Ein letzter Check: Schutzbrille fest, Mütze auf, Gurte fest..... alles war bereit. Ich fühlte mich sicher und richtig fest mit meinem Piloten zusammen verschnürt. Doch ich hatte das Gefühl das mir hier noch etwas sehr wichtiges fehlte. Es war aber nicht die Reißleine zum öffnen des Rettungs-Fallschirms, oder das letzte Stoß-Gebet zum Schöpfer, nein.... es war meine Angst, die sich auch jetzt partu nicht bei mir einstellen wollte! Bereitwillig zum Sprung bewegte sich nun mein 
gefesselter Körper zusammen mit meinem Tandem-Piloten richtung Ausgang. Die kühle frische Luft hier oben war köstlich und sehr erquickend. Auch wir saßen ein paar Sekunden noch an der Flugzeug-Kante, bis mich ein kräftiger Ruck von Hinten hinaus in die offene Weite vor uns katapultierte.
Das erste Gefühl war: Hilfe wir fallen. Es gab einfach nirgendwo ein Halten mehr.
Dann trudelten wir schnell ein wenig kopfüber und seitlich hin und her, was für meinen Orientierungs-Sinn und mein dann doch etwas erschrockenes Herz zunächst ein gutes Stückchen Arbeit war. Wo war oben und unten? Alles vermischte sich mit dem ohrenbetäubenden Sausen in meinen Ohren. Nach der eingepferchten Enge im Flugzeug umgab mich hier nun eine unfassbar große und schier grenzenlose Weite. Es war irgendwie fast wie eine Geburt und wie Sterben zugleich.
 
Doch die erste innere Panik beruhigte sich ganz schnell wieder, als sich unsere Flugposition nach ein paar Sekunden stabilisierte und wir auf dem Bauch in der Luft liegend zusammen durch die tosende Luft sausten. Das Freiheitsgefühl dabei ist wirklich unbeschreiblich.
Ich war hier ja nicht allein, ich spürte Wolf meinen Piloten direkt hinter mir, der mir nun auf die Schulter klopfte und mir damit das Zeichen gab, dass ich meine Hände vom Gurtzeugs loslassen konnte. Ich ließ nun die frische Lufthülle unserer Erde wie feinen Sand durch meine Finger gleiten. Probierte mal den Mund auf zu machen, doch der trocknete ganz schnell dabei aus. Ich schaute nach oben um zu sehen ob ich unser Flugzeug noch sehen könnte. Doch es war schon ganz ganz klein geworden und flog ganz weit irgendwo da oben in der blauen Weite.

Ich blickte herum und suchte an diesem Tag leider vergeblich nach ein paar Wolken, an denen ich irgendwie unsere Fallgeschwindigkeit von ca. 200 Sachen hätte erkennen können. Der Boden war noch viel zu weit entfernt, als das man ihn hätte schnell näherkommen sehen können. Wir flogen hier einfach zusammen durch die Luft, wie ein dicker schwerer Vogel in einem ohrenbetäubenden Sturm.

Mein Herz beruhigte sich nun für mich ganz deutlich spürbar
und schlug wieder sehr langsam. Die erste Panik, die durch das in die Tiefe fallen in mir ausgelöst wurde, zentrierte sich nun wieder in mir und ich fand dort einen erstaunlich tiefen Ruhepol. Mein Körper und mein Geist entspannte mich nun völlig und genoß einfach meinen schnellen und fast wie schwerelosen Flug durch diese weiche Lufthülle unserer geliebten Erde. Die Luft wurde dabei fast so fest wie Wasser, und wiedermal fühlte ich mich von Mutter-Natur so getragen und geborgen wie ein kleines Baby bei seiner Mama.

Die fantastische weite Aussicht auf die tolle Berliner Seen-Landschaft unter uns, das tiefdunkle Blau des unbefleckten Himmels über uns, und der riesig weite und weiße Horizont der uns hier oben rings herum mit vielleicht über hundert Kilometern Radius umgab, erzeugte ein unermesslich großes Freiheitsgefühl im Außen. Dieses war aber auch nur wie eine Spiegelung meiner inneren Freiheit. Eine Freiheit von jeglichen Gedanken. Denn alle Gedanken verebbten hier oben, vielleicht wurden sie vom starken Gegenwind einfach davongeweht, und das ewige Jetzt des Augenblicks erfüllte mal wieder völlig meine Gegenwart. Alles hätte gerne genau so weitergehen können bis ans Ende aller Zeit.

Doch das zufriedene Lächeln auf meinen Lippen wurde jetzt von einem weiteren Schulterklopfen vom Piloten Wolf und einem Ruck an den Gurten unterbrochen, als sich nun unser Fallschirm über uns öffnete. Die kostbaren 50 Sekunden des freien Falls waren leider auch schon wieder vorbei. Unsere Flug-Gefühl wechselte jetzt von “dicker freier Vogel” zu “schwerer gefesselter Sack”. Da hingen wir nun, in unserem dicken Seilzeugs und waren wieder der krassen Schwerkraft dieses Planeten ausgesetzt, die uns die Gurte jetzt wieder in die Schenkel hinein presste.

Nun begann ein recht flotter Gleitschirmflug, was ich ja selber noch sehr gut aus den alten Tagen in meiner Erinnerung habe. Hier fühlte ich mich in der Luft schon wieder ganz wie Zuhause. Ein paar sanft geflogene Kurven und die netten Zentrifugalkräfte gaben mir das bekannte schöne Gefühl vom Gleitschirmfliegen zurück. Die Augen suchten instinktiv schon nach dem Landeplatz, versuchten mit Hilfe unseres Schattens auf der Erde die restliche Höhe zu erahnen, und mein Gehirn berechnete schon wieder automatisch und ganz fieberhaft den idealen Landeanflug. Nur dass der Fallschirm natürlich sehr viel schneller sinkt und im Gegensatz zum Gleitschirm sogar in seiner Flugbahn nach unten auch sehr gut steuerbar ist. Kurz vor der Landung wird hier dann noch mal richtig Gas nach unten gegeben, um etwas mehr Geschwindigkeit zu bekommen, die dann für genügend Gegen-Luft im Schirm und ein gutes Abbremsen bei der Landung gebraucht wird.
Wir landeten so ganz sanft auf dem Popo auf der grünen Wiese. Schutz-Brille ab, Mütze runter, Gurte los und dann gleich mal wieder die Beine ausprobieren. Dann gar nicht so wackelig, wie zuerst vermutet, der dort wartenden Familie entgegen, die dort eifrig Fotografierten. Noch immer mit diesem Lächeln im Gesicht das einem die 50 Sekunden freier Fall geschenkt hatte, und das mir auch bis heute noch übers Gesicht wandert, wenn ich nur daran denke.

Ich wäre sofort wieder ins Flugzeug eingstiegen und wäre am liebsten gleich nochmal gesprungen, wenn´s nicht gar so teuer wär. Keine Frage, es ist etwas was einen wirklich süchtig machen kann.
So richtig wie fallen fühlt sich das nämlich gar nicht an. Es ist nur am Anfang in den ersten Sekunden aus dem Flugzeug heraus ein reines Fallen. Denn wenn man seine Fallgeschwindigkeit einmal erreicht hat, ist es eher so, als würde einen die Luft tragen, und als schwebte man wie eine Feder wieder zu boden, wenn auch nicht ganz so galant und etwas schneller wie eine solche. Man fühlt sich dabei jedendoch genauso leicht und genauso klein wie eine Feder.....
Beim “Wiedereintritt” in diese überaus zärtliche blaue Lufthülle dieses riesigen, schweren Planeten Erde.
Einmal vom Himmel zu fallen, das sollte nicht nur den Meistern überlassen werden, die am Ende ja dann doch immer keine sind. Es ist schön, dass es heutzutage jedem frei steht diese Erfahrung machen zu können. Ich kann jedem nur empfehlen davon auch einmal Gebrauch zu machen. Es war mit Sicherheit eines der geilesten Erlebnisse meines (neuen) Lebens, und war somit auch ein weiter Meilenstein meiner Gensung nach meinem GBS das jetzt bald schon 4 Jahre her ist.
 
Aber ein bischen wunderte ich mich selbst auch ein wenig so im Nachhinein.
Ich hab mich dann nämlich wieder an meine Gedanken erinnert, die ich damals im Krankenhaus hatte, als ich so sterbenskrank war. Ich dachte dass ich nie wieder mein Leben aufs Spiel setzten würde, sollte ich je einmal wieder völlig gesund werden. Mir war das Leben selbst und meine Gesundheit damals plötzlich so überaus kostbar geworden. Und jetzt wo sie einem schon wieder so ganz normal und als natürlich gegeben vorkommt, setzt man sein Leben und seine Gesundheit wieder so gerne und fast schon leichtsinnig aufs Spiel:
Ich fahre Motorrad, ich gehe in die Wüste, ich wandere auf hohe Berggipfel, ich springe mit dem Fallschirm und esse auch manchmal gerne wieder Gummibärchen....
Mann glaubt einfach die Gefahr einschätzen zu können, ja sie sogar wirklich gut genug beherrschen zu können und das scheinbar kleine Rest-Risiko einfach in Kauf nehmen zu können. Das Leben ist nun mal gefährlich und gerade doch auch deswegen oft so überaus spannend.

Und ich scheine ja damit auch wirklich nicht der einzige zu sein. Die ganze Menschheit setzt ihr überleben täglich aufs Spiel. Verdrängt überall das sogennante Restrisiko und baut noch immer Atomkraftwerke, provoziert Kriege, spielt mit Gentechnik herum, stürzt sich in den Straßenverkehr und isst frech-fröhlich hormonbehandeltes Fleisch von lebenslang gequälten Tieren.....
Was soll man da noch sagen, es hat mich wohl irgendwie mitgerissen, gepackt, Und ich hab diese Liebe zu mir selbst und zu der Schöpfung vielleicht einfach wieder vergessen, die ich damals so deutlich in mir spürte. Diese kostbare Heiligkeit des Lebens, die ich so hautnah erlebte, als es mir fasst aus meinen Fingern entglitt.

Dienstag, August 02, 2016

Marokko 2016

Mein-Marokko-Tagebuch
Gedanken während einer 2100Km langen Motorrad Reise durch den Hohen und Mittleren Atlas im Juli 2016
Ich blickte richtung Süden, sah neben mir mein Haus, meine Heimat, das warme Licht, das aus den Fenstern heraus, dort die staubige Szene beleuchtete. Dachte an meine Reise in die Wüste, die mir jetzt bevorstand. An das viele Wasser hinter diesem Berg, das ich bald überqueren müsste, um diesen anderen Kontinent zu erreichen. Afrika, dort wo eine völlig andere Zeit wohnt, eine andere Welt gar, fern unserer Heimat Europa, und doch so nah eigentlich.
Ja, ich fühle mich schon wieder reif für die Wüste, freue mich auf meinen wüsten Trip, auf eine weitere Zeitreise “auf der nackten Rinde unseres Planeten”. Nur ein paar Tage noch, ein allerletztes Mal der gewissenhaften Vorbereitung. Die letzten Kontrollen am Fahrzeug, das mich bald zuverlässig durch all diese wunderbaren Mondlandschaften tragen soll. Ich werde mein kleines Leben bald dieser kleinen Maschine anvertrauen. Doch am Ende kann ich nur mir selbst vertrauen und dem guten Mechaniker in mir. Hatte ich an alles gedacht, oder vielleicht auch nur eine Kleinigkeit vergessen? Wird das Material durchhalten, die Ausrüstung ausreichend sein. 
Jeden Fehler würde ich sehr sehr teuer bezahlen müssen, vielleicht sogar mit meinem Leben. Und doch ist es das kleine bischen Freiheit, das wir uns mit all dem zu ermöglichen versuchen, was uns Menschen immer unseren Antrieb gibt.

Warum sonst, sind wir denn auf den Mond gereist? Wir hatten dort nichts zu suchen! Außer vielleicht dieses Freiheitsgefühl, unsere Erde einmal von einem anderen Planeten aus betrachten zu können. So wie ich immer so gerne unsere ganze verwunschene Zivilisation betrache, aus dieser köstlichen Sicht der zeitlosen Ewigkeit in der Wüste.

Strich – Gedanken – Strich
So ein GBS, oder jede schwere Krankheit, fordert wohl seinen Tribut. Aber er kommt mir meistens gar nicht ins Gewahrsein. Man vergisst es einfach, wie das Altern auch. Du denkst auch nicht daran, dass dir das Altern etwas anhaben kann, und doch....
Erwischt es dich kalt oder heiß, wie in meinem Fall vor jetzt bald schon 4 Jahren. Dieser Wüsten-Motorrad-Trip ist für mich ein weiterer Triumpf meiner Heilung.

Seit langem wiedermal bin ich in der Wüste allein mit mir selbst. Kein Kindergeschrei, keiner mit dem man sich austauschen kann. Die abgrundtiefe Stille hier zieht an meiner Seele, doch sie will sich nicht ganz so leicht von ihr mitreißen lassen. Die Seele zögert angesichts dieser endlosen Weite, die sich von hier aus buchstäblich bis an den Rand des Universums erstreckt.
Es ist die Kombination von der Weite und dem unermesslichen Alter der Wüste, die hier wohl diesen Zauber auf mich ausübt. All diese Steine, diese Berge, diese ganze Landschaft, dieser Planet, dieses riesige All... All dies ist schon unfassbar alt.
Gegen all diese milliarden Jahre, ist unser kleines Menschenleben nur wie ein kurzer Augenblick. Vielleicht wie für uns ein Wimpernschlag.
Und doch ist die Wahrnehmungsfähigkeit als solches etwas wahrlich zeitloses. Etwas was nie angefangen hat, oder jemals beendet wurde; ganz einfach: Weil sie nie -nicht- existierte.
Das Wahrnehmen der Zeit ist endlos, also unendlich, darum außerhalb von Zeit. Denn es ist dieser innere Beobachter, den wir alle ja so gut zu kennen glauben, mit dem Nahmen: Ich.
Er beobachtet die Zeit in uns allen. Nur er fühlt, ob es ihm lange oder kurz erscheint. Und er steht immerzu da im Augenblick des Geschehens, im Jetzt und Hier.
Ja, hier sind wir und werden es immer sein. Die Wahrnehmenden des Lebens. Und das gesamte Leben das uns auf diesem Planeten umgibt ist der Ursprung dieses Bewusstseins in uns. Wir sind Teil dieses großen Lebendigseins. Nur das wirklich besondere an uns ist, dass wir in der Lage sind, eben das ganz bewusst zu spüren.
Wir Menschen sind Erwachte, wenn wir es schaffen im ewigen Jetzt zu verweilen. Einfach bewusst DA sein, egal was es beinhaltet. Es ist das leichteste, natürlichste was in uns allen ist. Da-sein.
Dieser Planet nimmt mit all seinen Lebewesen bewusst wahr.
Das Leben, das einst angefangen hatte auf äußerliche Einflüsse zu reagieren. Es hat sich so weit schon fortentwickelt, jetzt in uns, in unseren schönen Körpern, mit denen wir so besonders gut und schön wahnehmen können. Welch eine perfekte Kreation zum Erleben all dieser ausgeklügelten Sinne! Einer würde schon genügen, Ich will mich in die Diskusion gar nicht einmischen, ob es jetzt 6 oder 7 Sinne in uns gibt.... weil für mich nur zählt, dass es mehr als 3 sind und diese uns schon mit ausreichend vielen Stimmulationen versorgen, dass wir gar nicht mehr nachkommen mit Wahrnehmen. So dass viele Anteile davon schon zwangsweise ausgeblendet werden müssen.
Und eben, hier schließt sich dieser, zugegeben sehr weit gezogene Gedanken-Kreis, bis hin zu dem Tribut eines GBS und dem Vergessen des Alterns. Wir alle altern, sind körperlich ans Zeitliche gebunden, aber vergessen wir nicht nochmal zu erwähnen, im Geistigen sind wir das eben nicht.
Daher rührt wohl unsere tiefste aller Ängste: Bei der Verwechslung von Körper und Geist. Der Geist ist unsterblich weil er exitsiert für immer im zeitlosen Jetzt. Das Ich, um mich zu wiederholen, ist immer schon da.
Nicht so der Körper. Er kommt und vergeht. Doch von ganz oben betrachtet ist auch er nur im ewigen Wandel durch Raum und Zeit. Welche in der geistigen Welt auch so nicht existieren. Dort gibt es keine Zeit und dadurch auch keinen Raum. Raum gibt es nur durch die Zeit und der Materie zusammen. Zeit ohne Materie könnte nichts verändern. Es braucht die Materie um Zeit überhaupt feststelllen zu können. Denn die Materie verändert sich unaufhörlich. Nichts bleibt wie es einmal war. Und genau das definiert die Zeit. Ob sie lang oder kurz ist wird allein nur durch Materie bestimmt. Und wo keine Materie ist, ist auch keine Zeit. Im Geistigen ist keine Materie, also auch keine Zeit. Ist doch logisch, glaub mir es stimmt!
Das Geistige ist zeitlos und damit ewig!
Ließe sich dadurch nicht endlich diese alte Angst dabei ertappen ganz völlig unnötig zu sein!? Die Angst ausgelöscht zu werden, zu vergehen, sein geliebtes heiligs ICH zu verlieren, oh weh! Doch ein ICH verliert man nicht. Wohin sollte es auch gehen? Denn bewieserner Maßen gibt es im Zeitlosen keinen Raum. Also nirgens wohin das ICH hingehen könnte. Das Ich ist und bleibt zeitlos und ist auch ohne Raum. Eigentlich logisch und ganz einfach, oder?
Woher kommen wir, wo gehen wir hin? Aus jedem Augenpaar sieht uns das ewige Sein entgegen. Die leuchtende Blüte des Lebens, gefangen in der Zeit.Aber doch immer zeitlos verbunden durch unsere liebenden Herzen. In der ewige Glut und Freudenfeuer lodern. An das Leben, das einzige das uns geschenkt. Behutsam, kostbar gar,denn unser aller Tage sind gezählt,, angefüllt mit ewigem Sein.


Liebes-Augen-Blicke
Ein kleiner Buss hält in der Nähe und spuckt eine kleine Familie aus. Oh welch süßes Kindergeschrei, das macht mich richtig süchtig! Ich will eigentlich hingehen, die Leute sehen, mal wieder in andere Augen blicken, mit ihnen zusammen sein. Es ist die Liebe, die uns zusammenführt. Die Liebe zum Geschöpf, zur Kreatur. Wie auch die Liebe zur Kunst, die wir vielleicht gut kennen.
Auch die Liebe haben wir alle gemeinsam. Weil sie in uns allen ist.
Und was ist noch in uns allen?
Richtig! Das ICH
Währe es nicht naheliegend sich dann mal zu fragen, was das ICH und die Liebe vielleicht gemeinsam haben? Allein schon deswegen, da wir sie ja alle gemeinsam in uns haben!
Jeder der liebt, oder einmal geliebt hat, weiß dass auch die Liebe etwas zeitloses ist. Auch sie ist ewig. Und sie ist in ausnahmslos jedem von uns.
Wir lieben mal das eine oder das andere, oder auch nur uns selbst. Aber es liebt für immer nur im Hier und Jetzt. Darum ist die Liebe auch genauso wie das ICH für immer da.
Je genauer wir die Liebe und das ICH einmal betrachten, desto mehr stellt sich heraus, dass wir hier ein und die selbe Sache nur von zwei Seiten her betrachten. Die Liebe und das ICH sind im Grunde eins. Weil allein schon dort wo sie existieren, ist gar keine Distanz möglich!
So wie für uns Menschen ein Berg genau da bleibt wo er ist. Wir können ihn von verschiedenen Seiten betrachten, und er mag immer unterschiedlich aussehen, doch er bleibt immer ein und der selbe Berg. So ist auch unser Leben wie eine Bergwanderung: Vielfältig, verspielt, anstrengend, aussichtsreich, verführerisch, mitunter gefährlich und irgendwann vielleicht auch mal tödlich. Aber wir alle bleiben immer bei diesem Berg.
Und der Berg sind wir! Das ICH in uns und die Liebe. Das ewige Sein in uns.

Ohne die Liebe würde nichts zusammengeführt werden. Ohne die Liebe wäre auch kein Leben entstanden. Die Liebe ist die Kraft, die alles zum Besseren hin führt, zur Weiterentwicklung, oder wenigstens zur Wiederholung. Die Liebe macht immer dass es weiter geht. Ohne die Liebe kämen wir nirgendwo hin. Auch das Leben würde nicht weitergehen. Und mit ihr würde auch das Wahrnehmende aussterben. Also ist die Kraft, die hinter all dem Leben steckt, die Liebe selbst. Wir sind also das Leben. Unser Ich ist das Leben, unsere Liebe ist das Leben.
Liebe – Leben – ICH ---- alles ein Ding!
Ist doch wirklich nicht so schwer oder?

Wer ist nicht gerne auf diesem Planeten? Hier gibt es solch ein Vielfalt, dass wir garantiert auch etwas zum Lieben finden können. Und sei es, dass wir nur unsere Ruhe suchen. Wir suchen, wir finden, egal was immer es auch sein mag. Wir sind entweder in freudiger Erwartung, oder im erfülltem Glück des Besitzens. Oder wir leiden an Mangel und beginnen erneut eine Suche. Die Liebe ist spielerisch, sie probiert alles aus, sie will das eine und das andere gleichzeitig sein. Genau darum versucht die Liebe alle Dinge zu verbinden. Vielleicht ist das die wahre Antwort auf das WIE aller Dinge.
Ich z.B. Liebe es Dinge zu bauen, seien es Häuser oder Maschinen. Ich liebe es mich in mein Auto oder auf mein Motorrad zu setzen, oder in meinem Haus im Winter den Ofen anzumachen. Ich liebe alle, die mir nahestehen und ich fühle mich als Teil eines größeren Ganzen, in dem jeder seinen Platz findet.



Jammerstunde
Eigentlich bin ich jetzt schon total kaputt. Natürlich auch von vielen Fahren. Gestern 250Km mit viel Sonne und Hitze (bis zu 43 Grad) und einer sehr anspruchsvollen Strecke. Ich laufe viel zu wenig wegen all dieser Strapazen. Alles ist Mega einseitig. Tagsüber auf dem Sattel sich den Arsch halb taub sitzen. Wie gut dass ich ein wahrer Profi darin bin Sitzschmerzen zu ertragen.
Und Nachts dann lange liegen, wegen dem hellen abnehmenden Mond oft auch wach werden und alle 4 Schlaf-Himmels-Richtungen (Rücken, Seite, Bauch, andere Seite) jeweils bis zur Schmerzgrenze durchgelegen... Teilweise morgens sehr kalt (heute 14 Grad!).
Jedenfalls die Glieder schmerzen. Ich fühl mich wie etwa 10 Jahre (vieleicht) älter als sonst. Vermisse es sehr angenehm und bequem sitzen zu können. Bastel mir notdürftige Sofas mit der Isomatte und diversen Kleidungsstücken, doch ein wirklicher Ersatz für das zerfetzte rote Prachtstück Zuhause ist es leider doch nie. Beuemlichkeit wird mir hier zu einem echten Bedürfnis. Alle Begegnung mit der Welt erscheint mir so hart und spitz und schmerzvoll. Nur das Wasser ist einem noch gnädig, es umschmiegt nach wie vor weich und erfrischend meine müden tauben Glieder. Aber sie gehen noch.
Auch die Augen, die beim lesen mittlerweile schon recht schnell an ihre Leistungsgrenze kommen, sind gerade noch gut genug für mein Unterfangen. So viele Schlaglöcher, Sandfallen, Schottergräben und abgerissene Straßenkanten. Dazu das wilde manchmal unerklärliche Verhalten, und nach exotischen Reglen handelnder, afrikanischen Verkehrsteilnehmer.
Selbst die Finger der linken Hand schmerzen schon vom vielen Kuppeln.
Ja ich jammer mich gern mal aus, ich weiß. Ich finde es aber auch mal schön zu jammern. Es tut mir gut. Es tut meiner Seele einen Gefallen. Es ist der jaulende Wolfs-Schrei, der das große Leid in der Welt hinausschreit. Ist es denn nicht auch irgendwie anrührend?
Für mich trägt das Leid der Welt einen Rucksack auf seinem Rücken, den man meist zuerst nicht sieht. Dieser ist angefüllt mit Barmherzigkeit, auch mit Glück und Herzensfreude, mit angenommen sein, Einssein, oder “einfach Zuhause”. (Wie es Annika für sich immer so schön formuliert).
Oh welch ein Glück auch meine liebe Familie. Diese Keimzelle des Lebens. Jetzt ein Teil auch von mir und meinem Leben. Ich hab mich noch nie so geborgen gefühlt wie in meiner Familie damals als kleiner Junge und jetzt auch als Vater. Und ich bin ein alter Vater, nach allem was mir widerfuhr. Doch noch gehe ich an meine Grenzen, ich dehne sie noch mit viel Eifer immer weiter aus. Auch wenn der Aufwand jedes Mal mehr wird um das halten zu können was man hatte. Es wird einem aber trotzdem alles verloren gehen.... Oh, hatte ich nicht doch vorhin schon aufgehört zu jammern?



Sonne, Wind und Wärme
Die Sonne rückt immer höher und mir damit immer näher, meine Schattenzeit an diesem Ort wird schon knapp. Bald werde ich mich wieder auf den Sattel meines “Burro con Ruedas” setzen und den neuen Abendteuern des Tages entgegen rauschen. Unterwegs sein, ein sehr wohlbekannter Luxus aus meinen früheren Tagen. Immer wieder genial und so schön. Der rote Motor unter mir, der mir schon wie zu einem eigenen Muskel wurde, ein ziehen am Gaszug und vorwärts gehts. Weiter und weiter, mühelos und rasant schnell. So schnell dass der Wind fast wie durch einen hindurch bläst. Eine Luftdusche die erquickt, und mit der ich selbst 35 Grad noch als kühl empfinden kann.
Sie wird erst bei 40 Grad wie zu den heißen Quellen, oder wie zur Badewanne (die letztere noch nicht kennen).
Bei 45 Grad dann, und teilweise sicher auch mehr, wenn sich Warmluft in einer Ecke angestaut hat, und zusammen mit der brütend heißen Sonne, wird es wie in einer Sauna, bei der so ein übereifriger Idiot schon wieder zu viel Wasser aufgegossen hat, und man nach Luft ringend nur noch darauf wartet, bis alles endlich wieder erträglicher wird. Doch Gottseidank sind es immer nur wenige Stunden am Tag an denen es gelegentlich so heiß ist.


Ein Unwetter
Der Anblick des großen runden Sees kam so überraschend hinter einer Kurve. Sein Wasser ist unfassbar türkisblau und er starrt wie ein großes rundes Auge in den Himmel, in dem es sich ein paar weiße Wolken bequem gemacht hatten. Das Wasser war nicht einmal kalt, und ich badete gleich zwei mal hintereinander, was meinem Körper sehr sehr gut tat. In den nahen Bergen weiter südlich grollte ferner Donner. Das Gewitter kam aber immer näher und schon bald fielen die ersten Tropfen vom nun schon unheilvoll finsterem Himmel. Ich tat mit Begeisterung, was ich mir für meine Wüsten-Tour niemals ausgemalt hätte, einen Regenspaziergang. Doch aus Spass wurde bald schon Ernst, denn es goss plötzlich heftig wie aus Kannen. Die neue Regenjacke bekam ihr erste Taufe und ich beschloss so schnell es ging das Motorrad hoch zur Straße zu bringen und mich in einem dieser Rohrbrücken zu verkriechen bis es aufgehört hätte. Doch es hörte nicht auf. Ich fand mich bald völlig durchnäßt und zitternd vor Kälte in einer engen Betonröhre kauernd, durch die auch noch ein eisig kalter Wind pfiff. Zu allem Überfluss kamen jetzt von zwei Seiten auch schon kleine Bäche angerauscht, die zwei der drei Röhren der Brücke in Beschlag nahmen. Auf das Schlimmste gefasst versuchte ich, in einer kurzen Regenpause, mit Steinen und Sand einen mickerigen Wall zu errichten, der mich die letzte noch trockene Röhre vielleicht noch etwas länger behalten lassen würde. Denn es sah nicht so aus, als wolle es heute noch aufhören zu regnen, etwas was ich sonst eigentlich nur aus Deutschland her kenne. Also machte ich mich mit dem Gedanken vertraut die Nacht in dieser Röhre zu verbringen. Oben auf der Brücke tronte mein Motorrad, dem Wind und Regen ausgesetzt. Aber ich verkroch mich unten in die noch trockene Röhre, wenn auch der eisig kalte Wind mit nur 15 Grad mir dort sehr zu schaffen machte. Ich zog einfach alles an, was ich mitgenomen hatte, schlüpfte in meinen Schlafsack, und fing an genau das hier aufzuschreiben, in der Hoffnung auf besseres Wetter und Wärme, vor der ich mich zu beginn meiner Reise noch so gefürchtet hatte. Abends um 7 kam dann doch noch in wenig die Sonne zum Vorschein. Was mich gleich ermutigt hatte, die 18 Km ins nächste Dorf zu wagen und mich nach einem Hotelzimmer umzusehen.
Ich hab in dieser Nacht sehr Warm und weich geschlafen, morgens richtig heiß geduscht und bin gut präpariert in den nächsten Tag, an dem auch schon wieder die Sonne lachte.



Ein Paradies im Patriarchat
Was ist das für ein Land, in dem kein schlechtes Wort über den König gesprochen werden darf. Es ist tatsächlich strickt verboten. Der König ist hier der Boss und alle akzeptieren das wortlos. Doch vielleicht existiert auch hier im Untergrund eine systemkritische Szene. Wer weiß, man sieht jedenfalls nur die alles verherrlichende Werbung für den König.
Dazu muss man sich vorstellen, dass Frauen hier leider immernoch als minderwertig gelten. Sie haben hier im gesellschaftlichen Leben eigentlich nix zu suchen. Alles Geschäftliche, Lokale, Autofahren und Entscheidungs-Einrichtungen inkl. der Polizei sind fast ausnahmslos männlich. Nur an der Landesgrenze sah ich ganz erstaunt weibliche Beamte in Uniform, die aber scheinbar nichts anderes zu tun hatten, als sich dort selbst zur Schau zu stellen und dementsprechend wichtig und respektvoll auszusehen.
Nur die Berber scheinen ihren Frauen die Zügel etwas lockerer lassen zu können. Hier sehen die Frauen auch wirklich so schön und schlank aus, dass mann sie wirklich nicht verstecken muss. Hier blickt man oft in unverschleierte Gesichter und hin und wieder sieht man sogar eine Frau in Jeanshosen. Offene Haare leider aber nie.

In Ilmichil und in den langen verspielten Tälern des hohen Atlas scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Es wurde gerade die Getreideernte eingebracht. Alle waren hier am mithelfen. Alles musste sehr schnell gehen, denn ein weiter Gewitterregen drohte. Überall Esel dick bepackt, Frauen und Mädchen auf den Feldern beim ernten. Die Jungs beladen die Esel und die Männer bringen es dann nach Hause zum trocknen und dreschen. Einträchtig und in Harmonie geht hier das Leben noch vonstatten. Es wirkt paradiesisch und wie noch aus einer anderen Zeit, als die Welt noch unschuldig und gut war, wenn sie das jemals gewesen ist.


Im Cafe
Heute wurde ich von einer schwarzen Wolke gejagt. Sie zog mir vorraus oder hinterher auf meinem Weg nach Osten durch den Hohen Atlas. Fuhr ich zu langsam, fing es gleich an zu tröpfeln, fuhr ich zu schnell pratzte mir wieder die Sonne auf die Haut. Jedesmal wenn ich pausierte, für ein Foto, einen Snack oder einen Schluck Wasser, holte mich diee Wolke wieder ein und trieb mich schnell weiter mit ihren bösen kühlen Winden eines nahenden Gewitters. Etwa um 4 wurde ich dann von weiteren Gewittern auch von vorne her eingekreist und ich ließ mich entmutigt in einem Straßencafe zu einem Tee überreden. Die Zeit war mir gnädig, denn die Gewitter verschwanden nach ein er Weile einfach, genau wie sie gekommen waren.

Das Motorradfahren ist eine schlimme Sucht. Die ganze Fahrt war unbeschreiblich schön. Ich war sehr oft einfach 100% im Glück, fand mich so völlig mühelos von einer atemberaubenden schönen Ecke zur Nächsten rollen. Und es konnte für mich mal wieder nichts schöneres auf Erden geben.
Ja, selten sind sie manchmal diese absoluten Glücksgefühle. Doch sie geben einem Nahrung für nicht ganz so gute Zeiten. Heute jedenfalls hatte ich alles abgesahnt. Es gab hier genug Wüste und Weite zum verschwenden. Die pure Schönheit der Natur im Übermaß. Diese ewig verspielten Flusstäler in denen Wasser die Landschaft verzaubert und zu einem Garten-Eden verwandelt. Gesegnet die, die hier leben und einfach von Mutter Natur ernährt werden.

Das Cafe war ein Glücksgriff. Der Ort ein Umsteige und Umschlagsplatz wie aus dem Bilderbuch. Ständig haltende alte Fahrzeuge, mit etwa 10 hineingestopften Fahrgästen, die sich dann direkt vor dem Cafe an einem öffentlichem Wasserfass gütlich taten. Familien mit Kindern und Koffern geduldig am warten, bis der richtige Merzedes-Bus kommt. Zwischendurch wieder Stille, nur die ewig herumlungernden Beobachter, die in Gepräche vertieft oder stumm herumsaßen. Der Nieselregen hörte auf und ich werde versuchen weiter zu kommen, die wärmende Tasse “Whisky de Maroc”, dem berühmten Pfefferminztee des Landes, tat mir wohl im Bauch. Oder sollte man besser dazu sagen: Diese endlos süße Zuckergrütze mit Teegeschmack !?


Die Einsamkeit einer Ebene

Der Geist des Menschen hatte den Himmel als Dach und die Erde als Boden,
und nichts hatte einen Namen. Es gab weder Tag noch Zeit, es gab kein Ende und kein Anfang,
aber alles war pure Intensität.
Der Geist des Menschen war das Haus der Welt, und alle Dinge waren seine Freunde.
Jedes Geschöpf lebte in diesem Haus, alle Wesen waren ein einziges Leben.

Als der Mensch das Worte entdeckte sagte er: Du bist Erde und du bist Wasser, du bist Feuer und du bist Luft, und er gewann damit Macht über Dinge und wurde im Laufe der Zeit von ihnen getrennt
Die Dinge in der Welt gingen immer weiter fort von ihm, bis er ganz mit Nostalgie angefüllt war.
Und damit kam er dazu zu verstehen, dass Worte nur Schatten sind. Eine Aufführung von Schatten in seinem Verstand.
                                      (Aus einem schönen Film auf Youtube)

Unsere Ebene bei Rich, die uns als Familie schon so ans Herz gewachsen war. Sie empfing mich heute mit den letzten schwachen Sonnenstrahlen dieses ereignisreichen Tages und mit einem samtig warmen Sahara-Wind tief aus dem heißen Süden. Ich riss mir die Kleider vom Leib um diesen Schirokko überall an meinen Körper heranzulassen. Noch in der Dämmerung lag ich noch fast nackt auf meiner Matte, genoß diese zährtliche Berührung.
Und am nächsten Tag, hier mitten in der Einsamkeit, bei einem Spaziergang zur 4Km entfernten Wasserstelle, kam da ein einheimischer Fahrradfahrer, der mich auf französisch fragte ob´s gut geht? Ja, alles klar, alles bestens, Danke....
Und weg war er auch schon wieder.
Selbst hier bist du nicht wirklich allein, wenn du mal Hilfe brauchst. Doch die Sonne peitscht, die Temperaturen klettern jede halbe Stunde um ein Grad weiter hoch. Noch gibt es ein paar Schattenplätze, aber bald nur noch unter meinem Segeltuch. Es trieb mich weiter, ich brauchte dringend Fahrtwind, und beschloss eine Piste quer durch die Ebene auszuprobieren.


Ich war fast ein wenig entrüstet, denn man hat hier selbst in der abegelegensten Mondlanschaft volles Brett Empfang mit 3G Internet. Das wirklich tolle an diesen Smartphones mit Whatsapp ist, dass es wie zu einer Familie für dich werden kann. Es piepst und quiekt und ständig will es etwas Aufmerksamkeit von dir. Es ist immer dieser Ruck von Außen der uns ständig stimmuliert und welcher auch das besondere an einer Familie ausmacht, nach dem man übrigens schrecklich süchtig werden kann.

Doch eine weiter Sucht wurde mir auch mein Wüsten-Esel (Desert-Donkey) abgekürtzt einfach: De-Do, Dedo wie der Finger, weil er mir schon wie zu einem eigenen Körperteil wurde. Mein Dedo brät da unten in der Sonne, dahinter ebenes endlos weites Land umrahmt von kahlen, schroffen Bergen. Wie eine Mondlandschaft.

Nach 45Km Piste, musste aufgeben der Weg wurde einfach immer schlechter und es war erst die Hälfte bis zu einer anderen Teerstraße. Also alles lieber wieder zurück damit der Dedo nix schlimmes abbekommt und mal die heißen Quellen in der Nähe ausgecheckt. Wow! 46 Grad, du kriegst die Füße keine Minute da hinein. Es beißt und die Haut wird sofort rot. Unfassbar wie sich da nur die Leute einfach reinlegen können. Sie sind wirklich hart gesotten, die Marokkaner, was Hitze angeht.


Der Schirokko bläst die heiße Saharaluft noch immer hoch in die Berge (1400m). Eine Gewitterfront verdeckt nun wieder die glühend heißen Sonne. Donnergrollen rumpelt durch die Stille. Ein paar eher symbolische Regentropfen schaffen es den Boden zu erreichen, bevor sie auch dort gleich wieder verdampfen. Doch bei einem heißen Wind verfliegt sogar meine alte Angst klatschnass zu werden im Regen. Im Gegenteil, die ganze Seele sehnt sich hier nach einer Abkühlung.
Das Gewitter schlägt nun dem Schirokko ins heiße Gesicht. Mächtige Winde schleudern verirrte Regentropfen kilometerweit, die Spannung in der Luft steigt. Wird sie sich hier entladen, oder nur weiterziehen?


Die Stille und der Tod
Ich mag Musik bei der man noch die Stille dazwischen hören kann. Es gibt sie, die Musik aus der Stille, die wie aus dem Nichts heraus zu uns sprechen kann. So wie auch unsere Gefühle (ja, unser ganzes Sein) scheinbar immer aus einem Nichts in uns auftaucht, plötzlich einfach Da ist.
Bewusstsein- das wohl unerforschste und am Ende das unerforschbare schlechthin. Es ist für mich kein bischen weniger faszinierend als der Tod. Aber wieso muss immer der Tod als das Gegenteil vom Leben herhalten? Denn der Tod ist eher wie die Stille hinter der Musik, ohne sie könnte es gar keine Musik geben.
Der Tod ist viel mehr als nur das Gegenteil des Lebens. Das Leben ist so klein und vergänglich und zerbrechlich gegen das Nichts, gegen das “Alles” vor unseren Nasen, das sich immer bis hin zur Unendlichkeit erstreckt. Die Stille ist vielleicht ein Abbild der Unendlichkeit, ...wie sein Bruder womöglich.
Und die Musik so zahrt und leise, wie das Leben. Das Ameisengleich sich überall in den Ritzen und Hautfalten der Landschaft eingenistet hat. Dort wo das Wasser seine Magie betreibt, alles in Grün verwandelt. Die Farbe des Lebens ist frisches Grün. Der beginn alles Lebens, und dessen Bedingung. Ohne Pflanzen könnten wohl keine solchen Lebewesen wie wir überleben.
Es gibt erstaunlich viele Tiere auch hier in der Wüste: Ameisen, Fliegen, Elstern, Störche und Raben, Esel, Hunde, Katzen und auch ganz viele dieser nackten Zweibeiner, die sich immer selbstgemachte Tücher um ihren Leib wickeln müssen. Merkwürdige Wesen, die sich rollende Sofazimmer und maschinelle Pferde erbaut haben, und die sich gerne wabengleich in großen Ansammlungen von Mörtelburgen verstecken. Und was wir noch alles tun! Wir Menschen sind sicherlich die merkwürdigste Kreatur, die je auf diesem Planeten existiert hat. Zu was unsere Gehirne alles fähig sind liegt weit jenseits aller Vorstellungskraft. Allein nur das Internet!
Ich hab hier die aktuellen Wetterdaten von egal wo auf diesem Planeten. Ich schicke Bilder und Worte zu meiner Familie, die 3000Km weit weg sind, und das innerhalb von Sekunden!
Ich meine, was tun wir hier? Da beneide ich oft den Bauern oder Hirten von hier, der noch genau weiß was er tut und warum er es tut. Denn wir Europäher sind schon so losgelöst von diesen Wurzeln. Wir haben ja ach so viele Möglichkeiten, und manche von uns auch den Luxus der Zeit, diese genüßlich auszuprobieren. So wie ich mit meiner tollen Maschine, und dem passendem Reisepass, auch noch mit genügend Geld dazu.... Ich komme hier her, stecke meine kleine handliche Plastik-Karte in einen Schlitz und bekomme ganz locker 1000Diram (umgerechnet ca 95 Euro) ausgespuckt, das Jahreseinkommen einer armen Nomadin vielleicht, das für meine zwei Wochen hier gerade mal so ausreicht. Ich habe dazu noch ein absolut makelloses Fahrzeug, dass mich ohne eine Mucke diese ganzen 2100Km durch Afrika gebracht hat.

Ja, ich liebe treue Maschinen. Sie sind für mich wie gute Freunde, auf die man sich verlassen kann. Mit denen man viel Spass erleben kann, und denen man gerne mal geduldig zuhört oder ihnen hilft, wenn es ihnen mal nicht so gut geht. Für gute Freunde tut man alles...

Aber wir waren beim Tod. Der Tod ist so viel größer wie das Leben. Das Leben ist so selten wie richtig gute Musik. Das Leben ist das besondere hier, das kostbartste dieses Planeten. Wir sollten es noch viel mehr lieben und achten in jeder Form es uns entgegentritt. Das Bewusstsein schläft im Stein, atmet in der Pflanze, träumt im Tier und erwacht im Menschen.


Gestern ein weiterer Gewitterritt. Nach einer Sackgasse durch einen Kartenfehler bei Gourama kam ich pünktlich zur Gewitterstunde am Nachmittag an den letzten Pass des Hohen Atlas an. Kalter stechender Regen und ein gefährlich böiger Seitenwind peitschten mich immer weiter durch die Gewitterfront. Zunächst sah es dahinter in der großen Ebene hinter Midelt viel friedlicher aus. Doch auch dort sah ich mich nach weiteren 50Km direkt vor einer schwarzen, blitzenden, unheimlichen Wolkenwand.
Ich konnte meist zwei oder drei Wolkenbrüche gleichzeitig sehen. Mein Weg nach Norden führte mich glücklicher Weise immer genau zwischen zwei dieser schwarzen Regenschwaden hindurch. Manchmal versuchte ich durch beschleunigen oder verlangsamen meiner Fahrt, den eisigen Regentropfen, die bei 80Km/h wie kleine Nadelsticke auf mich niederprasselten, zu entkommen. Es gelang mir nicht immer. Manchmal waren die Wolken einfach schneller wie ich, und einige Blitze zuckten in meiner unmittelbaren Umgebung zu Boden. Blanke Urangst ergriff mich dabei, doch hatte ich eine Wahl? Ich musste einfach schneller sein als das Gewitter, sonst würde es mich bis auf die Knochen durchnässen und die Weiterfahrt für viele Stunden unmöglich machen. Also fuhr ich beständig in dieser turbulenten Kaltfront dieser Monsterwolke, in der heftige Stürme, Blitze und Regenschauer sich miteinander abwechselten.
Doch ich, der tapfere auf meinem treuen Pferd peitschten ebenso dahin, und entkamen dem Unglück meist immer nur um Haaresbreite.
Das letzte Unwetter dann, das wie aus dem Nichts plötzlich über mir losbrach, erwischte mich dann beinahe doch noch. Nur der heftige Schirokko-Südwind rettete mich dieses Mal und der Regen fiel knapp woanders hin ein paar Hügel weiter. Und wie zur Belohnung schenkte mir die Sonne dann noch einen schönen Regenbogen und ein wunderbares Abendrot zum Abschluss dieses anstrendenden Tages. Ich schaffte 384Km an diesem Tag. Ich schlief tief und fest in der sternenklaren und windstillen Nacht, und der nächste Morgen war wieder so friedlich, als wäre nie etwas schlimmes gewesen.


Swann mein Nachbar wird mich vielleicht als Einzigster wirklich verstehen. Denn auch er lebte seine Motorrad-Leidenschaft mit dem lustigen Motto aus: “Jeder Schritt muss gefahren werden”.
Nun, was mein Laufpensum betrifft bin ich derbe im Rückstand. Ja ich sehe schon Martin vor mir, und ich liebe diesen Gesundheits-Engel, der er für mich geworden ist. Wo käme ich hin ohne ihn! So wenig gelaufen wie in den letzten Tagen bin ich schon lange nicht mehr. Ich bin nur auf der Karre geritten bis mir der Arsch wund wurde. Drum hab ich ihn heute eingesalbt und ne frische Unterhose angezogen. Wurde auch mal Zeit. Aber Mopedfahren Swann, ist einfach sowas von geil! Und das dann auch noch in diesen wunderschönen weiten Landschaften dort in Afrika.

Donnerstag, März 19, 2015

Marokko 2015


Wiedermal hat mich die Wüste sehr tief berührt. Es ist, als wenn sie mich immer auf meine eigenen nackten Füße stellt, und mich die schon oft zitierte „nackte Rinde unseres Planeten“ unter meinen Sohlen spüren lässt. Wenn wir Nachts zum klaren Sternenhimmel aufschauen und dabei wieder mal einen Hauch von einer Ahnung bekommen, wie unermesslich groß das Weltall ist, sehen wir uns selbst wieder in unserer wahren Größe. Wir sind nur ein Staubkorn aus dem Sternenstaub eines längst gestorbenen Sterns. Und sie, die Erde, unsere Heimat, unser Raumschiff, sie ist die einzige die wir jemals haben werden. 
 
Die Wanderungen in den endlos weiten Ebenen, umringt von schroffen Bergen, beeindruckten mich besonders. Wenn man in solch eine Ebene hineinläuft ist es genau so wie auch im Leben: Man kann einfach überall hin laufen, doch man sucht sich irgend ein markantes Ziel am Horizont und fängt an darauf los zu gehen. Die Wege, wenn es überhaupt schon welche gibt, entstehen hier auch erst beim gehen. Sie führen uns manchmal durch wunderschöne wilde Flusstäler, fast etwas Ziellos schlängeln sich viele kaum erkennbare Ziegenpfade durch das sehr steinige Gelände. Oft verliert man dabei sein Ziel aus den Augen, nur auf leichten Erhebungen kann man seine Richtung dann wieder neu erkennen. Und vor allem, der Weg ist viel weiter, als es am Anfang aussieht. Wir verlieren hier viel öfter unser gewohntes Maß, was uns dann aber glücklicher Weise viel mehr im Hier und Jetzt sein lässt. Es spielt dann kaum noch eine Rolle wohin man eigentlich geht. Der Weg wird das Ziel. Denn es spielt auch keine Rolle mehr ob man hier irgendwo ankommt. Nur das, was man beim gehen alles findet, wird hier zum Lebenselexir.

Die Sonne und der Wind sind unerbärmlich und als seien sie hier ein ewiger Gast. Man spürt diesen kleinen inneren Stolz der blanken Existenz, und das wir vielleicht noch ein Weilchen die Kraft haben werden ihnen trotzen zu können. Doch dieses Weilchen ist gewiss nicht mehr lange, im Vergleich zu den Zeiträumen in der Wüste. Hier ticken die Uhren ganz anders, ein Jahr ist hier nur wie eine Sekunde. Darum spüren wir so sehr, dass die Ewigkeit hier schon ganz direkt vor unserer Nasenspitze beginnt. Es gibt in der Wüste einfach nichts was uns davon ablenken könnte.

Man kann spüren, dass die Stille der Ewigkeit schon all seine Bewohner tief durchdrungen hat. Die Nomaden, die Kamele, die Esel, Schafe und Ziegen, an unserem Lieblingsplatz in Merzouga... alle tragen irgendwie die Ruhe der Wüste in sich. Alle bewegen sich hier nur ganz langsam, so als wollten sie ihre Kraft damit sparen. Sie bleiben oft einfach stehen und machen lange Pausen, so als würden sie lieber in Ruhe einem Gedanken nachgehen, oder etwas in weiter Ferne beobachten. Zeit spielt hier absolut keine Rolle. Auch wir vergaßen bald welchen Tag wir gerade hatten, und mussten dann immer auf dem Händy nachsehen. 
 
Wir waren jeweils eine ganze Woche auf zwei original Nomaden-Plätzen, die meist alle etwas versteckt und abseits der Straße lagen. Manchmal hatten wir sogar kurze Begegnungen mit Nomaden, die uns von Weitem scheu wie Tiere vorkamen, doch die dann alle sehr herzlich waren, sobald wir uns mal Auge in Auge gegenüberstanden. Aber die Meisten vermieden eher den direkten Kontakt, sie ließen uns in Ruhe, was für Marokkaner doch eher sehr bemerkenswert ist.

Bei einer Fluss-Wanderung bei Tata begriff ich, das all diese Steine und selbst das viele Geröll für die Erde auch nur wie feiner Sand ist. Wasser, Wind und Wetter haben diese Rinde zermahlen, gespalten, zerfetzt, geschliffen oder poliert. Man findet die seltsamsten Steine hier. Ein kleiner Stein sieht hier manchmal genauso aus, wie ein ganzer Gebirgszug. Mikro und Makro-Kosmos in Einem. Und es gibt auch hier keine Wiederholungen, jedes noch so kleinste Steinchen ist einzigartig in Größe, Form und Farbe. Was für eine bodenlose Kreativität der Natur! Ich begriff, dass nur Sand die gesamte Oberfläche dieser Erde bedeckt, sei er auch manchmal etwas grobkörniger.

Unsere Marokko-Reise war, so im Nachhinein gesehen, eigentlich auch wie eine Zeit-Reise in die tiefe Vergangenheit der Menschheit. Je weiter wir in den Süden fuhren, und uns dabei der Sahara immer mehr annäherten, desto weiter kamen wir auch in unsere kollektive Vergangenheit. Von nur vereinzelten Nomaden in ihren Zelten, ihren Ziegen und Schafen. Und das in einer nahezu menschenleeren weiten und stillen Welt. Über sesshaft gewordene Bauern in den Oasen, die dort Gartenbau betreiben und in selbstgebauten Lehmhäusern leben. Zu den ersten großen Ansiedlungen, die aber oft noch über 100Km auseinander lagen, wo es vielleicht schon ein oder zwei kleine Läden und manchmal auch schon ein Café gibt. Bis hin zu richtigen Städten, vorallem ganz im Norden, wo (schon auch wie in Europa) Industriegebiete und separate Wohnsiedlungen entstanden sind. Für uns dann schon wieder ein krasser Kulturschock, nach dieser inneren Einkehr-Zeit in der Wüste. 
 
Dieser Schock wurde aber nochmals getoppt sobald man dann ganz im Norden die Grenze ins spanische Melilla überschreitet. Der Hafen in dem auch unsere Fähre vor Anker ging. Es kommt einem dann doch sehr Absurd vor auf afrikanischen Boden eine echte spanische Stadt vorzufinden, mit all den irgendwie überflüssigen Luxusartikel-Läden, mit mehrfarbigen LED-Springbrunnen-Beleuchtungen, mit den gepflegten Haus-Fassaden, den kunstvollen Pflasterstein-Aleen und den Verkehrs-Ampeln an jeder kleinen Kreuzung. Eine gute Vorbereitung an das Europäische Festland, das wir am nächsten Tag nach einer 5 stündigen und sehr windigen Schiffsreise erreichten.
Nun hat uns die Neuzeit wieder. Schnell gelingt es uns geübten all das wieder normal zu finden, doch etwas in uns ist noch immer in der Wüste, und wir betrachten unsere moderne Welt auch noch immer mit staunenden Nomadenaugen.








Mittwoch, Mai 21, 2014

Mein Blasenstein - Der Bericht

1.Teil- Der langersehnte Anruf

Endlich gibt es gute Neuigkeiten!
Es war wieder einer dieser Momente, die ich zur Zeit sehr oft erleben darf, in denen ich mich so völlig gluecklich gefühlt und unbeschreiblich dankbar war über all das, was mir gerade so alles vom Leben geschenkt wird, Als endlich dieser so lang erwartete Anruf aus der Klinik in Granada kam.
Keine Stunde zuvor hatte ich noch mit Claudia darüber geredet, wo und in welcher Situation mich wohl dieser vielleicht bedeutendenste Anruf meines Lebens erreichen würde. Ob es ganz laut um mich herum sein wuerde und ich den Hoerer verzweifelt gegen mein Ohr drücken müsste, um nicht irgend ein Detail dieses wichtigen Anrufs zu verpassen? Oder ob er mich in der Ruhe und dem Frieden einer gefassten und gemütlichen Stimmung erreichen wuerde?
Und doch immer wieder stand diese grösste aller Fragen über all solchen Gedanken: WANN ich endlich diesen Anruf erhalten würde.
Ich warte jetzt skandalöse 5 Monate auf eine Behandlung meines so schmerzhaften Blasensteins!

Mein Termin zum Einchecken ins Krankenhaus ist jetzt am Mittwoch den 30.April um 8:00 Morgens. Da ich nüchtern und auch ohne getrunken zu haben kommen soll nehme ich an, dass die OP noch am gleichen Tag stattfinden wird.

Irgendwie hatte ich mir sowas schon fasst gedacht. Mein Schicksal würde den Termin sicher so lange herauszögern, bis mir das elende Leben der letzten Monate mit all meinen Schmerzen gar nicht mehr so elend vorkommen würde. Und Tatsächlich, ich habe in den letzten Tagen viel weniger Schmerzen gehabt, war einfach nur glücklich gewesen das Leben zu geniessen. Die Schmerzen hatten mich nicht mehr beeintächtigt das Leben zu lieben.
Ich war mit meinen Kindern, meiner Frau, und meinen Eltern an der Playa Cabria. Gerade war ich barfuss im noch kalten Wasser mit meinen beiden zuckersüssen Kindern an einem Menschenleeren Strand entlang gelaufen. Wir hatten bei ein paar schwarzen Felsen warme Pfützen gefunden in dem wir unsere Füsse badeten, als mir eine ausgesprochen schöne Frau auffiel, die den Strand entlang joggte. Einen Augenblick später erkannte ich, das es Claudia war die da mit meinem Handy wedelnd auf mich zugerannt kam. Sie stahlte mich an wie eine Sonne. Ich wusste es sofort, es war der lang ersehne Anruf aus der Klinik.
Diese schwere schwarze Wolke der Ungewissheit, die mich die letzten Monate beschattete wurde kurzerhand weggepustet durch diese einfache Gewissheit jetzt schon übermorgen diese so überaus schmerzlich ersehne medizinische Hilfe zu bekommen.
Diese neue Aussicht auf ein neues Leben ohne Schmerzen, in dem ich dann wieder mehr als 50m laufen kann, in dem ich dann wieder weiter trainieren kann, um noch die letzten Behinderungen meiner GBS Erkrankung endlich loszuwerden, in dem ich die Chance habe wieder ein völlig gesundes und fittes Leben zu erhalten. All das liegt jetzt wieder in sehr greifbarer Naehe. Ich könnte platzten vor Glück!


2.Teil- Im Herz des Krankenhauses

Die Operation fand im selben Stockwerk und keine 25m Luftlinie von dem Ort statt, an dem ich 19 Monate vorher mit meinem GBS so lange auf der Intensivstation lag.
Doch diesmal war es so, als brächten sie mich in das wahre Herz des Krankenhauses. Ein achteckiger Raum, vielleicht so groß wie meine Holzhütte, in der Mitte eine schmale harte schwarze Bare, die mir darin fasst schon wie ein Opfer-Tisch vor kam. Auf dem Boden waren rote Blutspuren, die sich auf dem Linoleum schon nicht mehr richtig wegputzen ließen. Drei riesige, mit tausenden von LEDs bestückten und in alle Richtungen schwenkbare Lampen hingen von der Decke wie Krakenaugen. Es war kalt hier, ich begann zu zittern, vor Kälte oder vor Nervosität konnte ich nicht genau sagen, als sie mich danach fragten.
Die Spritze bewirke dass mir plötzlich sehr warm und wohlig wurde. Ich bekam eine Rückenmarks-Anästhesie, was nur den unteren Teil des Körpers gefühllos machte. Ich musste eingeschlafen sein, denn als ich aufwachte spürte ich nur noch wie sie noch ein paar Minuten an mir herum werkelten und die 9cm große Öffnung an meinem Unterbauch schon wieder zu klammerten. Dann wurde ich, noch halb benommen, in die UVI geschoben und mit jeder Menge Kabeln an Überwachungsmonitore angeschlossen. Die selbe Station in der ich so lange war, nur der Raum auf der anderen Seite.
Meine Hände suchten unter der warmen Decke meine Oberschenkel und ich erschrak ein wenig als sie sich wie ein ganz fremder Körper anfühlten. Sie waren warm und ich spürte die kleinen Härchen auf meiner Haut, aber ich bekam von innen keinerlei Rückmeldung. Aber richtig skurril wurde das erst, als ich meinen Penis anfasste. Er kam mir viel größer vor und auch so als sei er nicht von mir. Ich war irritiert, ich kann mich gar nicht erinnern je den Penis eines anderen Mannes angefasst zu haben, aber genau so fühlte es sich an.
Wenn ich versuchte meine Füße zu bewegen war es wie mit meinem Willen gegen eine dicke Mauer aus Schaumstoff anzukämpfen, gar nichts bewegte sich dabei. Mein Wollen verlor sich in eine schwarze Leere, aus der auch nicht mal das leiseste Echo zu mir zurück drang.

All das kam mir ganz furchtbar bekannt vor. Als ich damals, vor gar nicht allzu langer Zeit, genau hier nebenan mit meinem GBS rang war mein ganzer Körper so gewesen. Ich konnte nicht einmal mehr sprechen. Es war vielleicht wie Isolationshaft aber in einer noch viel grausameren Perfektion.
Und wiedermal wurde mir bewusst wie überaus kostbar unsere Fähigkeit des Fühlens überhaupt ist. All diese Gefühle, seien sie nun angenehm oder schmerzhaft, ganz egal, ….sie sind unsere einzige Verbindung zum ganzen materiellen Rest dieser unfassbar wundervollen Welt.
Unsere Körper, ein Millionen Jahre altes Produkt des Lebens auf diesem Planeten, das uns mit all seinen unglaublich vielen Details an Überlebenskünsten eben immer genau das zu ermöglichen versucht.
Und wir Banausen tun normalerweise nichts anders, als all das einfach nur für ganz selbstverständlich zu halten.
Es begann dann bald in den Beinen zu kribbeln, genau so wie wenn ein eingeschlafener Fuß langsam wieder zum Leben erwacht. Die ersten kleinen Bewegungen waren wieder möglich, aber es kostete noch viel zu viel Anstrengung. Mit dem Gefühl kamen dann auch schon die Schmerzen. Die Operationsstelle fing an zu pochen. Mir wurde klar, dass meine lange Leidenszeit immer noch nicht zu Ende sein würde, eine neue Runde wurde eingeleitet, doch ich fühlte mich gewappnet und Erfahren genug um auch noch diese zu meistern. Eine Schwester fragte mich ob ich Schmerzen hätte und hing mir eine kleine Plastiktüte mit 100mg flüssigem Paracetamol an meinen Tropf. Ich war irgendwie baff!
Ich nehme wirklich nicht sehr oft Schmerzmittel, aber selbst eine Tablette mit 600mg Paracetamol bewirkte noch vor kurzem rein gar nichts bei mir, als ich versuchte die üblen Schmerzen meines Blasensteins in den Griff zu bekommen. Was sollten dann 100mg gegen die Schmerzen eines operativen Eingriffs bewirken können. Nach einer guten Weile des stummen Leidens bat ich nach etwas stärkerem und bekam Metaminzol intravenös. Aber auch das hatte ich damals schon mal erfolglos ausprobiert. Doch es schien mir hier jetzt etwas besser zu helfen.


3. Teil- Die Erlebnisse auf der Krankenstation

Ich wurde dann bald wieder auf mein Zimmer Nr.1377 gefahren und die Schmerzen hämmerten auf mich ein, als wollten sie mich zu Brei verarbeiten. Ich wagte nicht mich zu bewegen, denn das machte es noch schlimmer. Ich verfiel also wieder instinktiv in diese Schmerz starre und diese dauerte ganze drei Tage. Ich lag immer nur auf dem Rücken, alle Versuche in die Seitenlage zu kommen musste ich schon nach wenigen Sekunden abbrechen, es schmerze mich viel zu sehr.

Am 2.Tag entzündete sich die Wunde und die Schmerzen wurden immer stärker. Ich bekam immer noch Metaminzol, doch es reichte einfach nicht aus.
Am 3.Tag war ich schon morgens früh völlig verzweifelt. Ich konnte nicht aufstehen, nicht sitzen und langsam auch nicht mehr liegen. Mein Rücken und mein Popo brannten wie verrückt.
Die Schwestern sagten ich solle mich in den Stuhl setzen oder herumlaufen, doch das war völlig unvorstellbar.
Ich war am Ende meiner Kräfte, und endlich weinte ich wie schon ganz lange nicht mehr. Doch jeder Schluchzer tat mir unsagbar weh an den Bauchmuskeln.

Es war noch früh am Morgen als ich noch ganz verträumt aus dem Fenster schaute um das köstliche dunkelblau des Morgens in mich einzusaugen, als mich plötzlich eine große türkisfarbene Sternschnuppe wachrüttelte, die genau in der Mitte meines Fensters zu sehen war, so als war sie extra für mich an dieser Stelle niedergegangen.
Sie erinnerte mich daran dass das Leben dort draußen immer noch stattfand, und dass ich bald schon wieder zu diesen glücklichen zähen würde, die unter den Sternen, auf der nackten Rinde unseres Planeten umher wandeln und das einmalige Privileg haben das Wunder des Lebens zu zelebrieren.

Diese Sternschnuppe veränderte mein ganzes Bewusstsein. Ich verlangte ein stärkeres Schmerzmittel und bekam Dexketoprofen (25mg), was mir endlich wirkliche Linderung verschaffte. Ich weiß nicht wieso ich nicht schor viel früher etwas stärkeres verlangte, nun, vielleicht hatte ich das Vertrauen daran verloren, als ich wegen dem Blasenstein bis hin zu Valium alles an Schmerzmitteln ausprobierte und mir am Ende nur noch Marihuana wirklich etwas helfen konnte. Ich war mit dem GBS und dem Blasenstein durch eine sehr lange schmerzhafte Zeit hindurch gegangen und ich hatte meine ganz eigenen Wege gefunden damit umzugehen.

Und dann am 4. Tag geschah ein kleines Wunder! Meine Frau Claudia kam mich an diesem schlimmsten aller Morgende besuchen. Ich weinte mich an ihrer Schulter so richtig aus, Sie half mir auf die Toilette und ich machte endlich meinen schon längst Überfälligen ersten Schiss nach der OP. Das tat wirklich gut.
Aber ich war wirklich traurig und verzweifelt, und hatte eine scheiß Wut im Bauch. Ich hatte über die ganze Situation nachgedacht. Das mache ich oft um mir einen Überblick zu verschaffen, um so irgend einen Weg heraus finden zu können. Genau so wie ich auch früher schon immer auf Berggipfel gestiegen bin um meine Lage zu überdenken und um den richtigen Platz im Leben für mich finden zu können.

Ich fühlte irgendwie mit allen Patienten mit, die hinter jedem dieser Fenster sicher auch viele Schmerzen litten. Ich fand ein Krankenhaus sollte eher Schmerzenhaus heißen. Es gab hier 1200 Betten und das schiere Ausmaß des Leids in diesem Gebäude überwältigte mich.


4.Teil- Ein krankes System für kranke Menschen

Doch das war noch nicht alles: Ich hatte mir also einen dieser berüchtigten Krankenhaus-Keime eingefangen, genau wie mein Nachbar Antonio neben mir im Zimmer, und noch sicher viele weitere Patienten auf der Station. Dabei hatten sie mich schon von Anfang an prophylaktisch mit allen möglichen Antibiotika vollgestopft. Sie hatten also mein Immunsystem konsequent überrumpelt und es damit geschwächt anstatt es zu unterstützen und zu stärken für die Operation.
Diese Ärzte! Sie haben sich alle so auf ihr Antibiotika eingeschworen, etwa so, als sei Coca Cola das einzigste Lebensmittel auf Erden. Dabei wollen sie immer noch nicht sehen, dass sie sich selbst und die gesamte Medizin damit in eine fatale Sackgasse treiben. Je mehr Antibiotika auf der ganzen Welt verteilt wird, desto höher werden die Chancen dass sich dadurch resistente Keime bilden. Das ganze Gesundheitssystem wäre heute völlig machtlos gegen einen super-resistenten Keim. Schon heute mussten deswegen ganze Krankenhäuser geschlossen werden. Die Medizin steht an ihrem eigenen Abgrund und meint trotzdem zielsicher und mit Scheuklappen ihren Weg genau zu kennen.
Schon oft kam es mir so vor als das die Ärzte heutzutage mehr als Anwälte oder Verkäufer ihrer Profession fungieren. Mit allen sauberen und manchmal auch schmutzigen Tricks versuchen sie doch nur ihre unantastbare Glaubwürdigkeit zu erhalten, vermutlich auch hauptsächlich um sich damit stets vor Regressansprüchen schützen zu können. Schuld hat doch Grundsätzlich immer der Patient. Fehler können in so einer Atmosphäre einfach nicht zugegeben werden. Sie verkaufen den Leidenden Hoffnung mit ihren Diagnosen, aber sehr oft werden die Patienten (engl.: patient – geduldig!) gar nicht mal mehr wirklich angesehen. Ganzheitlich schon gar nicht. Ein Arzt im Centro de Salut hat ganze 7min. Zeit für einen Patienten, von der Begrüßung bis zur Ausstellung des Rezeptes.
Und diejenigen die den kranken Menschen dann wirklich helfen, die Krankenpfleger und Krankenschwestern sind alle schwer unterbezahlt und werden zu Akkordleistungen gedrängt, als behandeln sie Dinge auf einem Fließband. Eine gute Freundin von mir arbeitet in diesem Hospital. Sie hat mir gesagt dass nur noch die Oberschwestern ordentliche Verträge bekommen. Alle anderen arbeiten hier mit Jahresverträgen, ohne Lohnfortzahlung bei Krankheiten und mit weniger Urlaubstagen als normalerweise Erlaubt. Seit neustem müssen sie sich für ein internes Programm an einem unbezahlten extra Arbeitstag in der Woche in anderen Abteilungen einarbeiten, damit alle noch leichter austauschbar werden. Wer da nicht mitmacht kann gehen. Sie werden gezwungen an ihrem eigenen Ast zu sägen, und das bei dieser bis heute andauernden Arbeitslosigkeit und Aussichtslosigkeit, die hier in Spanien noch kein Ende gefunden hat.
All diese wundervollen Menschen, die ihr Leben und ihre ganze Arbeitskraft der größten und würdevollsten Aufgabe widmen die es hier auf Erden überhaupt geben kann, und genau diese müssen ausgerechnet unter fast unmenschlichen Arbeitsbedingungen arbeiten. Mir kommen oft die Tränen wenn ich sehe, dass sie ihre Arbeit trotz allem immer noch sehr gerne und mit Freude für die Patienten tun. Sie sind wirklich Tapfer.

Und ich, ein klitze kleines Lichtchen in diesem ganzen Gefüge liege nun mit einer dummen Infektion auf diesem kostbaren Krankenbett, auf das schon wieder sicher hunderte von Menschen sehnsüchtig warten die, wie auch ich, monatelang auf ihren Termin warten müssen. Antonio mein Zimmernachbar hatte eine schlimme Prostatavergrößerung. Er bekam einfach einen Harnröhren-Katheter und wartete damit ein ganzes Jahr bis er den erlösenden Anruf bekam! Unfassbar!

Nach all diesen finsteren und depressiven Gedanken über das Gesundheits-System, die ich aber nun hinter mir ließ, ging es nun steil bergauf. Die wunderschöne türkisblaue Sternschnuppe hatte mir wieder ein Ziel gegeben für das es sich lohnte zu kämpfen. Ich fing an im ganzen Krankenhaus herum zu laufen. Die Schmerzen wurden erträglicher und meine Laune klärte sich auf. Mein Herz öffnete sich wieder und ich konnte allen Menschen verzeihen für all das noch Ungelöste. Noch am Abend des selben Tages war ich ein ganz anderer Mensch. Ich hatte Hoffnung und Vertrauen und die Zeit spielte keine große Rolle mehr, denn ich war endlich wieder im JETZT angekommen. Wünschte mich nirgends wo anders hin als da wo ich war und die Welt war wieder in Ordnung wie sie eben ist. Mehr noch, sie war das größte Wunder an dem ich heute noch teilhaben durfte


5.Teil- Die Zimmernachbarn

Heute am 6. Tag sind die unglaublichsten schönen und schlimmen Dinge hier passiert. Zuerst das Schlimme:
Mein Zimmernachbar Antonio wurde heute hier entlassen. Bei der letzten Visite, vom Chefarzt der Station persönlich durchgeführt, fragte dieser harmlose, liebenswürdige, pensionierte, kleine, einfache Maurer aus Granada was denn da jetzt eigentlich schief gegangen war wegen seiner Infektion und... ob es hier im Krankenhaus vielleicht nicht wirklich sauber genug sei.... Ich traute kaum meinen Ohren was dann geschah: Barsch und lautstark wurde er vom Oberarzt regelrecht zusammen gestutzt, ...was er sich nur einbilden würde, alle Angestellten würden sich hier immer die allergrößte Mühe geben und wenn hier bei einem was schief lief, dann sicher wohl eher bei ihm in seinem verwirrten Kopf....
Der arme wusste gar nicht wie ihm geschah und saß erstmal eine ganze Stunde ganz verbittert da.
Doch mir wurde dadurch klar wo hier der Hase lang läuft. Sie haben hier massiv Probleme mit resistenten Keimen, und höllische Angst dass es raus kommt, denn dann können sie diese Station hier dichtmachen und der Oberarzt, der schon seit 35 Jahren brav seinen Dienst tut, kann seine Koffer packen. Nur deswegen, weil die Verantwortung einfach ihm auferlegt wird, in dem behauptet wird, dass er seine Mitarbeiter nicht gut genug im Griff hat, wenn sich solche Keime auf seiner Station breit gemacht haben.

Tatsache ist aber dass das ganze Problem ja von ganz woanders her kommt. Doch darüber darf nicht mal geredet werden. Es ist ein Tabu das sowohl Patienten als auch die Ärzte einhalten. Hinter allem steht die allmächtige Pharma-Maffia, die so viele Antibiotika und Schmerzmittel verkaufen wollen wie nur irgend möglich. Das ganze System ist eigentlich dafür verantwortlich, aber es wird einfach auf die Ärzte abgewälzt, die dann ihre unschuldigen Köpfe dafür herhalten müssen. Wie lange das wohl noch gutgeht?
So kann es sein, dass die erfahrensten und besten Ärzte gefeuert und durch junge billigere ersetzt werden, was aber nicht nur die Kosten senkt, sondern auch die Qualität. Aber wen sollte das überhaupt kümmern....

Gleich nach dieser Show wurde meine stark entzündete Wunde behandelt, es haben sich jetzt schon 2 große Löcher in der Narbe gebildet und es musste geprüft werden ob unter der ersten zusammen geklammerten Schicht eine offene Verbindung besteht. Salzwasser wurde in ein Loch hineingedrückt und es kam aus dem anderen wieder heraus! Also musste jetzt auch die Bauchdecke unter der Haut mit hochreinen Tüchern gereinigt werden. Er fädelte eine Gaze zu einem Loch hinein und zum anderen wieder heraus. Eine makabere Prozedur, bei der einem sicher nur vom zusehen schon schlecht werden konnte. Aber das Gefühl und die Schmerzen dazu waren wirklich mehr als widerlich.

Jetzt aber schnell zu den schönen Dingen bevor euch allen hierbei auch noch schlecht wird:
Kurz vor diesem Arzt-Desaster kam kurz noch eine alte Freundin von Antonios Frau zu Besuch, sie wohnt wie ich auch irgendwo in den Alpujarras. Sie war vielleicht so um die Mitte 60 und ich würde sagen, dass sie genau wie jede dieser doch ziemlich Spießig anzusehenden älteren spanischen Frauen aussah, die man hier und da in der Stadt treffen kann. ….Und da nimmt diese einfach Antionios Kopf in ihre beiden Hände und redet ein paar Minuten ganz beruhigend auf ihn ein und macht noch irgend einen Zauber. Dann drehte sie sich um zu mir, betrachtete etwas besorgt meine Wunde am Bauch, legte ihre Hände in 10cm Abstand darüber und gab mir 2Minuten lang Reiki, dann sagte mir noch das jetzt alles wieder gut werden würde und verschwand mit einem kurzen tschüss, genau wie eine gute Zauber-Fee. Ich war einfach nur sprachlos. So etwas hätte ich von dieser Frau niemals erwartet.
Da kann man mal wieder sehen, wie sehr ich noch im Schubladendenken feststecke.... hahaha!

Dann ging ich eine kleine Runde durchs Krankenhaus spazieren und als ich wieder kam sagten sie mir ganz aufgeregt dass ein grauhaariger Arzt aus der UVI nach mir gesucht habe. Das konnte nur mein Lieblingsarzt von damals gewesen sein. Sofort lief ich runter in den 2.Stock, ich kannte ja immer noch den Tür-Code zur Intensivstation... 2-4-5-6
Wir redeten eine ganze Weile, er hatte sich bei dem Chirurg der mich operiert hatte erkundigt und erfahren dass alles bestens lief, und dass der Stein diese typische Rundung aufwies, wie sie wohl immer bei Katheter-Steinen auftritt, und dass ich nicht damit rechnen musste dass der Stein durch irgend eine andere Störung in mir entstanden sei. Ich wäre schon bald wieder ganz gesund und könnte mich freuen den kommenden Sommer zu genießen. Ich hätte ihn am liebsten abgeknutscht, dieser Süße! Er hatte mir so sehr geholfen einen schnelleren Termin für die Aufnahme meines Falls zu bekommen und das hatte mir 2 ganze Monate Wartezeit erspart. Und er hatte sich nach einer E-Mail-Anfrage an ihn die Mühe gemacht nachzufragen wann etwa mein Termin sein würde..... und ich kenne ja auch diese Schreckschraube die einem das nur erzählen kann....
Er ist wirklich zu unserem Familien-Engel hier geworden.

Heute ist der 7.Tag, der an spannenden Ereignissen den letzten in nichts nachsteht. Meine Wunde sieht viel besser aus. Die Infektion scheint vorbei zu sein und der Heilungsprozess nimmt seinen Verlauf. Heute wurde der Katheter diesmal ohne Komplikationen entfernt.
Die Blase ist jetzt hoffentlich dicht und das Pinkeln macht wieder unheimlich Spaß. Es ist keine Schmerzhafte und langwierige Prozedur mehr, sondern eine ungewohnt schnelle Erleichterung mit einem so dickem Strahl, wie ich ihn nur aus meiner Jugend her kenne. Mal sehen ob das jetzt so bleibt, oder ob es nur eine vorübergehende Erweiterung der Harnröhre vom Katheter ist.
Ich kann wieder laufen ohne Behinderung, zwar noch mit Schmerzen im Unterbauch, aber kein Vergleich zu Vorher. Super, ich spüre: Alles wird wieder gut.


6.Teil- Mein neuer Nachbar der Multi-Millionär

Manuel Jesus, jetzt mein neuer Zimmernachbar, ist wirklich ein spannender Vogel. Als er gestern von seiner Prostata-OP in mein Zimmer kam, stand er vermutlich noch unter dem Einfluss der partiellen Betäubung. Er kam mir zuerst vor wie ein alter noch etwas angetrunkener Zigeuner mit schrecklich schlechter und unverständlich andalusischer Aussprache. Er redete wie ein Radio gleichzeitig auf vier seiner Verwandten ein, die ihm aber alle ganz brav zuhörten, obwohl sie dabei sehr müde auf mich wirkten. Ich machte mir zuerst gar nicht die Mühe verstehen zu wollen über was er alles sprach, aber ich dachte mir schon da, dass er irgend ein dickes Tier in seiner Familie sein musste. Er war gewiss irgend eine Berühmtheit, ein Zigeunerbaron oder vielleicht ein pensionierter Politiker? Er hatte etwas besonderes, wie ein guter Lehrer der seine Schüler fesseln konnte, eine Art magische Anziehungskraft und eine sanfte Autorität.

Doch die erste Nacht mit ihm war schlimm, er schnarchte entsetzlich und vergaß sein Radio abzuschalten als er einschlief. Er legte es einfach samt den unaufhörlich zwitschernden Kopfhörern auf sein Nachttischehen. Und weil es in Granada des Nachts sehr ruhig ist verstand ich fasst jedes Wort und konnte höchstens für 3 Stunden schlafen. Die Nachtschwester hatte keine Idee wie man diesen Apparat ausschalten konnte, und wir versuchten einfach ein Handtuch draufzulegen, was leider wenig nützte. Was für ein schräger Vogel, dachte ich mir, wenn er nicht selbst ununterbrochen auf seine Mitmenschen einredete, dann musste es sein Radio für ihn tun. Er selbst schlief dabei natürlich wie ein Stein.
Es fiel mir also anfangs gar nicht so leicht mit ihm, doch der Morgen entspannte meinen Groll. Es stellte sich nämlich heraus dass wir sehr vieles gemeinsam haben und so einiges unfassbar Gegensätzlich ist, was die Sache für uns beide wirklich interessant machte.

Er fing an mir aus seinem Leben zu erzählen und mir wurde dabei fasst schwindelig.....
Er ist Pensioniert und wenn er arbeitet dann nur zum Spaß. Er besitzt mehrere Fincas mit insgesamt 45 Angestellten, die Olivenöl herstellen, hat einige luxuriöse Häuser direkt am Meer, eines mit einem Naturschutzgebiet dahinter, ein riesiges direkt im Zentrum von Malaga, eines in Granada.... Er ist aber hauptamtlich Modedesigner für bekannte Marken aus Italien, Er hat ein exklusives Geschäft im Zentrum von Malaga. Zu seinen exklusiven Kunden zählen Leute wie Picasso. Er fährt einige Mercedes und hat aus reiner Nostalgie sogar irgendwo noch eine nagelneue Ente und einen Fabrikneuen Fiat 500 in seiner Garage stehen. Sogar ein E-Bike hat er sich mal gekauft, aber nur 2x gefahren. Er fährt nicht gerne Auto und reist deswegen am liebsten in Luxusbussen umher. Er spielt auch gern Klavier, hat 4 Klaviere und einen hundert Jahre alten Flügel aus England. Seine vielen Kinder sind entweder Ärzte oder haben hohe Positionen... und diese Liste wäre sicher noch endlos fortzusetzen.....
Zuerst konnte ich all das kaum glauben, war er vielleicht einfach nur ein Hochstapler? Doch ich glaube ihm, als ich seine Kinder sah. Aber spätestens bei der Arzt-Visite wurde mir klar, das ich es hier mit einem wahren Multi-Millionär zu tun hatte. Ich hatte noch nie so viele Ärzte gleichzeitig im Zimmer gesehen, die ihm allesamt in den Arsch krochen. Als dann noch eine aus der Küche kam um mit ihn eine Liste durchzugehen was er denn gerne essen wollte und sogar eine Putzfrau mit einer großen Leiter auftauchte, die den Fernseher und die Klimaanlage sogar von oben entstaubte, waren all meine Zweifel restlos beseitigt.
Manuel hat wirklich alles erreicht was man so in der Gesellschaft erreichen kann. Und normalerweise mache ich ja lieber einen galanten Bogen um solche Leute Aber was mir Manuel dann wirklich sympathisch gemacht hatte war, als er mir erklärte dass der hier nach seiner OP erst einmal einen richtig fetten Urlaub um die halbe Welt machen wird, weil er jetzt auf einmal daran denkt, dass er sein ganzes Geld nicht mitnehmen kann wenn der einmal stirbt. Er ist jetzt 68, und hat voll begriffen, dass das Leben nur im jetzt und hier stattfindet.
Echt spannend, wir beide sitzen hier zusammen in einem kleinen Zimmer, beide haben wir unsere Kleider abgegeben und tragen die selben hellblauen Sträflingsanzüge. Zwei Männer, die gegensätzlicher kaum sein könnten, der eine reich der andere vergleichsweise arm, und doch sind wir beide spirituell auf gleichem Level, total glücklich und zufrieden weil wir beide wissen was wirklich zählt im Leben.
Er sagte, ihm bleibe jetzt nur noch sich darum zu kümmern all seine Besitztümer gut zu verteilen, damit alles wirklich einen Zweck gehabt hätte. Denn er braucht all das nicht mehr wirklich. Jetzt liebt er die einfachen Dinge des Lebens viel mehr.
Wir erzielten uns Stundenlang über unsere tiefen Erfahrungen im Leben und lernten uns rasend schnell kennen und lieben. Ich zeigte ihm Bilder von unserem Holzhaus, meinem Solar-Moped und der Werkstatt. Spielte ihm meine letzten Klavier-Aufnahmen vor. Er war total begeistert und versprach mir mich bald zu besuchen.
Seine Tochter, eine Ärztin in Malaga kam zu Besuch. Ich gab ihr meinen GBS-Krankheitsbericht und sie verschlang es und war hingerissen, vor allem wegen meiner Beschreibung der anderen Realität des Jenseits. Es entspreche genau ihrem Bild sagte sie mir begeistert. Sie will versuchen ihn in einem Krankenhaus-Magazin unterzubringen.

Selten in meinem Leben hatte ich so fruchtbare Begegnungen gehabt.
Dann kam der Tag an dem er entlassen wurde, er marschierte mit seinem blauen Krankenhaus-Kostüm ins Bad und als er wieder herauskam sah er original aus wie einer aus einem dieser Mafiosi-Filme. Wir mussten beide darüber lachen und umarmten uns herzlichst zum Abschied.
Ich war total gerührt über die Offenheit dieses Mannes. Er wusste alles aus der spirituellen Welt, er hatte alles und ist bereit es loszulassen, und er war ein genauso glücklicher Mensch wie ich. Unfassbar, er ist jetzt wirklich mein Freund! Wir haben schon einmal telefoniert und viel zusammen gelacht. Er ist wirklich ein wahrer Gentleman !
Ich habe beschlossen mir einen Nadelstreifen-Anzug zu besorgen, nur um ihn, und vielleicht auch meine Eltern, das nächste Mal damit zu überraschen.


7.Teil- Die Zeit wird langsam lange

Meine Wunde hat sich vielleicht wieder infiziert und heilt einfach nicht zu. Heute ist schon der 15.Tag im Krankenhaus. Es wird mir jetzt schon etwas langweilig und Claudia bräuchte auch dringend mal eine Pause mit den Kindern. Sie hat auch Schmerzen an ihrem Arm und obendrein noch ihre Tage bekommen. Und wir vermissen uns alle so sehr. So gerbe würde ich jetzt endlich nach Hause gehen, doch ich muss wohl noch eine weitere Woche hier bleiben. Die klaffende Wunde an meinem Bauch ist so groß wie ein Teelöffel und nässt unaufhörlich. Aber es tut Gottseidank nicht besonders weh und ich nehme schon seit 6 Tagen keinerlei Schmerzmittel mehr.
Täglich wandere ich im Krankenhaus umher, kenne alle Gänge, Feuertreppen und versteckten Balkone, trainiere meine Kondition im großen Treppenhaus des 11 stöckigen Hauptbaus. Es vergeht kaum ein Tag an dem ich nicht meine 500 Treppenstufen rauf und runter laufe.

Die Tage sind schon heiß, in der Mittagszeit sind es manchmal 35 Grad im Schatten. Doch ich scheine hier einer der wenigen zu sein, die das lieben. Die meisten Spanier verkriechen sich bei diesen Temperaturen in abgedunkelte Räume und schalten die Klimaanlage ein.
Ich sehe die Leute hier kommen und gehen, habe schon viele Patienten von hier verabschiedet die entlassen wurden. Fühle mich schon ein wenig wie ein Ladenhüter hier, den sie nicht losbekommen. Doch so habe ich das Privileg einige der ausgesprochen netten Krankenschwestern und Pfleger etwas besser kennenzulernen. Bei vielen bin ich schon wieder sowas wie der Liebling der Station geworden. Fast alle hier grüßen mich und lächeln mich an, wie bei einen Kollegen. Auch die Putzfrauen.... Es wird nie viel geredet, außer wie geht’s heute usw., was gäbe es auch mehr zu sagen. Die Konversationen aller Patienten ähneln sich hier wie eine endlose Reihe von Spiegelbildern in Spiegelbildern. Doch gerade das macht es, das man hier eher mit den Augen und einem Lächeln kommuniziert. Es ist eher ein gesehen werden in diesem Durcheinander von ständig wechselnden Leuten, und das Lächeln bezeugt das Maß der Sympathie, die man für jemanden empfinden kann, was mir ja meist nie besonders schwer fällt.
Also lächle ich mich so durch die Tage, höre viel Musik, lese in meinem Roman „Der Junge ohne Schatten“ von Michael Roads. Oder schreibe hier an diesem Bericht weiter. Langsam genieße ich es wie einen Erholungs-Urlaub mit Vollpension.
Und die Tage rutschen immer schneller an mir vorbei, weil die tägliche Routine sie schon wieder eingeebnet hat. Alltag im Krankenhaus... Das kenne ich doch von irgendwo her.... In der Tat bin ich, was das betrifft, ja ein alter Hase.



Heute ist mein 16.Tag im Krankenhaus. Der Chefarzt hatte gestern bei der Visite eine gute Idee. Er vermutete dass meine Blase auf Grund der Infektion vielleicht doch noch nicht ganz dicht ist und der Urin in den Bauchraum gelangt und dann auch durch die Wunde austritt, und sie deswegen immer noch so sehr nässt. Er hat mir wieder einen Katheter verordnet um zu sehen ob seine Theorie stimmt. Und sie stimmte, heute ist meine Wunde fasst trocken geblieben. Klar ist es unangenehm und lästig einen Katheter zu haben, aber wenn es dazu beiträgt dass alles gut wird bin ich mehr als froh darüber. Meine unerschütterliche positive Einstellung hilft mir mal wieder sehr auch das alles zu meistern.

Heute ist der 17.Tag. Die Wunde nässt leider immer noch, doch trotzdem wollen sie den Katheter erstmal drin lassen, um sicher zu gehen. Also wieder warten bis Montag, dann wird weiter entschieden. Wenn sie bis dahin aufgehört hat zu nässen, kann sie wieder genäht werden. Und dann wird’s spannend ob sie sich nicht wieder infiziert.
Seit gestern plagen mich Hautausschläge die ich durch das Pflaster oder durch das Antibiotika (Ciprofloxacin) bekommen habe. Ich hatte schon leichte Panik das es eine beginnende Gürtelrose sein könnte, aber die Ärzte sagen es sei nichts weiter als eine empfindliche Reaktion meiner Haut. Claudia war heute da mit den Kindern, auch sie wirkte sehr ausgebrannt auf mich. Die Zeit wird lange und die Reserven werden knapp. Ich denke ich brauch jetzt mal wieder etwas Magic!

Der 19.Tag ist jetzt angebrochen. Ich war sehr müde die letzten 2 Tage und habe unheimlich viel geschlafen. Gestern bin ich nur einmal zum Duschen aufgestanden. Ich hoffte dass die Ruhe und der Schlaf meinem Körper vielleicht die Zeit und Kraft gibt die Wunde zu heilen. Sie nässt jetzt deutlich weniger aber dennoch weiterhin zu viel, um sie nähen zu können. Der Katheter ist jetzt schon wieder 5 Tage drin und nervt mich auch schon wieder. Die Hautausschläge sind zwar größer geworden, aber sie haben sich etwas beruhigt, jucken nur noch leicht und sind etwas rot. Der Rücken tut mir schon wieder weh vom vielen liegen. Ich weiß jetzt auch nicht mehr weiter, ich tappe im Dunkeln. Was immer ich auch versuche, es scheint mich nicht weiter zu bringen. Einzig die Hoffnung das auch das hier irgendwann ein Ende haben wird hält mich jetzt noch über Wasser.


8.Teil- Die Hoffnung stirbt zuletzt

Der 20.Tag brachte mir wieder einen neuen Energieschub, ich überwand meine Depression und konnte wieder alles positiver sehen. Mir wurde klar, dass ich im Vergleich mit den meisten anderen Patienten hier, immer noch die Jokerkarte gezogen hatte. Ich habe ja keine wirklich schlimme Krankheit, kann auf 100%ige Genesung hoffen und selbst die Schmerzen sind eigentlich lächerlich gering.
Aber immer wieder verschließt sich mein sonst so offenes Herz und badet sich in Selbstmitleid, bis sich mein Bewusstsein wieder daraus erhebt und alles relativiert. Dann öffnet sich auch wieder mein Herz und ich kann die Liebe zu allen Menschen wieder spüren und auch fließen lassen. Und ich sehe dann erst wieder die Tapferkeit aller Menschen und kann gar nicht anders als sie alle dafür zu bewundern, diesen vielfältigen und oft so schweren Anforderungen des Lebens standzuhalten.
Von der Putzfrau, die seit 30 Jahren jeden Tag die selben Zimmer putzt und dabei mit einer entsetzlichen Langeweile kämpft;
Die Kranken-Pfleger und -Schwestern die ihr Leben lang hier immer nur Krankheit und Leid vor Augen haben und trotz den immer wiederkehrenden selben Bedürfnissen ihrer Patienten darum ringen, sie nicht als Dinge sondern als Menschen zu behandeln;
Die Ärzte denen von Seiten ihrer Chefs aber auch von ihren Patienten eine Verantwortung aufgetragen wird die im Grunde kein Mensch zu tragen im Stande ist;
Und all die Patienten, die von Schmerzen gemartert nicht selten dem Tod ins Auge blicken müssen, oder in Scharen rat- und hilflos in Wartezimmern sitzen und auf verzweifelt auf eine Abhilfe ihrer Leiden hoffen.
Bis hin zu den Angehörigen und Besuchern, die trotz ihrer eigenen Ängste, Schmerzen und Langeweile versuchen den Kranken ihre positive Kraft zu geben.
Für alle hier ist ein solches Krankenhaus ein sehr seltsamer und grausamer Ort. Und doch steckt dieses Haus auch so voller Hoffnung, Liebe und Mitgefühl, wie sie sonst nur sehr selten zu finden ist.

Ich lese gerade die Memoiren von meiner alten Freundin Cathy, die schon ihr Leben lang mit einer chronischen Tuberkulose zu kämpfen hat. Darin beschreibt sie eine Begegnung mit einem Buddhistischen Lama den sie bezüglich ihrer vielen körperlichen Leiden um einen Rat gefragt hatte. Er fragte sie, ob sie wolle das irgend jemand anderes ihr Leid für sie tragen solle und sie verneinte, denn sie könne ihr Leid wirklich keinem anderem zumuten. Dann sagte der Lama das wir alle ein Stück des gesamten Leides auf der Welt zu tragen haben und das uns dabei immer nur so viel zugemutet wird wie wir es auch ertragen können.
Und daran denke ich jetzt immer wenn ich so durch das Krankenhaus schlender und all die kranken Menschen dort sehe. Überall so viel Leid und Schmerz, und jeder trägt doch seine kleine Hoffnung auf Besserung, auch wenn sie noch so klein und aussichtslos sein mag.

Ich habe hier schon wahre Helden getroffen was das betrifft. Z.B. Johanma ein wirklich fröhlicher Bursche aus Almeria im Nebenzimmer mit 42 Jahren. Er hatte vor 20 Jahren mit seinem Moped einen schlimmen Unfall mit einem LKW. Es hatte ihm sein ganzes Becken weg gerissen samt Blase, Penis und Hüftgelenken. Er bekam jetzt hier eine Penis-Prothese, mit der er auf Knopfdruck durch einen Plastikschlauch in einem Stück Haut und Fleisch das sie zu einer Art Penis geformt hatten, wieder halbwegs normal pinkeln konnte. Er hatte schon 20 Jahre als Dauerpatient hinter sich mit Hüft-Operationen, wieder gehen lernen, künstlicher Blase usw.... Schlimmer geht immer dachte ich mir nur.
Er wünscht sich jetzt nichts mehr als nochmal eine Frau zu treffen und mit ihr zusammen leben zu können, auch wenn er gar keine Geschlechtsteile mehr besitzt. Und ich sagte ihm das wenn er seine Hoffnung darauf niemals verlieren würde, dann würde sich sein Wunsch ganz sicher irgendwann erfüllen, auch wenn es jetzt noch so unwahrscheinlich und hoffnungslos aussehen mag. Die Hoffnung hat die Kraft wahre Wunder zu bewirken. Das weiß ich ja auch aus eigener Erfahrung, von damals, als ich dieses unverschämte Glück hatte meine geliebte Claudia kennenlernen zu dürften.

Oder Luis mein neuer Zimmernachbar hier mit Nierenkrebs, dem sie jetzt eine Niere entfernt haben obwohl seine zweite auch schon nicht mehr gut funktioniert. Er ist jetzt 70 und auch er hofft noch wenigstens ein paar Jahre leben zu können, ob mit Dialyse oder nicht, ganz egal wie. Der Krebs wird ihn sehr wahrscheinlich weiterhin Stück für Stück auffressen. Doch die Hoffnung leuchtet auch immer noch in ihm und gibt ihm die Kraft weiterzumachen, ...seine Schmerzen von der schweren OP auszuhalten, sich wieder und wieder aufzurappeln aus dem Bett, auf die Beine zu kommen, raus aus dem Krankenhaus.... bis zu seiner nächsten unvermeidlichen Runde mit dem Tod.

Ich bekomme hier wirklich eine sehr große Ehrfurcht vor dieser Hoffnung in uns Menschen. Sie ist eine gewaltige Kraft in uns. Und unser Überlebenswille begleitet uns bis zum allerletzten Atemzug. Doch wer weiß vielleicht auch noch danach! Wir sind ewige Seelen, ausgestattet mit dieser schier übernatürlichen Kraft des Lebens. Und auch wenn wir Menschen hier auf Erden auch noch so viele Dummheiten und Schandtaten vollbringen, auch wenn wir in unfassbar kindlicher Unwissenheit diesen ganzen einzigartigen Planeten hier zu Grunde richten, auch wenn wir bis heute die ewige Kette der Gewalt und des Leids nicht bezwingen konnten,... sind wir doch alle würdevolle Träger einer niemals endenden Hoffnung, die immer dem Leben und der Liebe zustrebt. Einer Kraft die definitiv stärker ist als alles andere auf der Welt.
Und selbst wenn wir uns auch noch so viel Mühe geben würden, wir würden das Leben auf diesem Planeten, dank dieser Hoffnung, niemals vernichten können. Das Leben ist stärker als der Tod, auch wenn es für uns sterbliche erstmal so aussieht als würde der Tod am Ende immer gewinnen. Doch wir übersehen dabei dass der Tod nicht wirklich das Ende ist, er ist nur der Wandel in eine andere Dimension, und diese Kraft der Hoffnung in uns ist unsterblich, denn wer weiß vermutlich hoffen wir nach dem Tod genauso munter weiter wie vorher! Vielleicht hoffen wir auf ein neues Leben, oder darauf dass unsere Liebsten uns unsere Fehler vergeben mögen, die noch leben, oder das wir endlich erlöst werden vom ewigen Rad von Tod und Wiedergeburt....
Kein Mensch weiß bis heute darüber etwas mit Sicherheit, auch wenn so viele, die schon solche Nahtoderlebnisse hatten wie ich, einiges an Puzzlestücken darüber zusammengetragen haben. Der Tod bleibt ein geheimes Mysterium, doch es lässt sich aus allen Berichten darüber eines mit großer Sicherheit sagen: Der Tod ist nicht das Ende, denn unser Bewusstsein ist nicht das Produkt unseres Körpers, sondern Umgekehrt.

Auch ich bin jetzt immer noch nicht am Ende meiner Krankenhaus-Zeit. Es wurde heute eine Kultur von einer Probe aus meinem Bauch angesetzt, die in 3 Tagen grünes oder rotes Licht gibt. Wenn der Keim nicht mehr da ist kann die Wundbehandlung im Gesundheits-Zentrum in Orgiva dem „Centro de Salut“ fortgesetzt werden.

Ich bin heute am 22.Tag dann doch ganz überraschend entlassen worden. Ich habe mir meinen Wunsch erfüllt und bin mit dem Bus heim nach Orgiva gefahren um meine Familie zu überraschen, was mir auch gelungen ist.
Die Fahrt war einfach wunderbar, der Buss fuhr über die alte Landstraße durch alle kleinen Dörfer und das bei wunderbaren Wetter, auch der Spaziergang von Orgiva nach El Morreon zeigte mir mal wieder wie wunderschön es hier ist und wie sehr ich Andalusien, meine neue Heimat, liebgewonnen habe.
Aber noch ist nicht alles überstanden, ich habe immernoch zwei riesen Löcher im Bauch und seit gestern auch noch ein Loch im Zahn, aber ich freue mich schon jetzt auf Manuel meinen Lieblingszahnarzt in Orgiva. Das Leben hier geht wieder weiter und ich bin mehr als glücklich wieder in meinem geliebten Zuhause zu sein.

Danke fürs viele Lesen, ich hoffe es hat euch gefallen.
euer
Michel